So schwach ist Frau Leyen – Kaum Licht im Brexit-Tunnel
Nach dem Debakel um seine Kandidatin Goulard ergreift Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron die Initiative – und bittet die künftige Kommissionschefin von der Leyen nach Paris. Beide haben ein Problem – es gibt keine Ersatz-Kandidaten!
Man wähnte ihn gedemütigt und geschwächt. Schließlich hat Macron nicht sehr souverän auf die Ablehnung seiner Kandidatin Goulard durch das Europaparlament reagiert. Er versuchte, die Schuld auf Frau Leyen abzuwälzen.
Doch nun ist er wieder obenauf. Macron hält Hof – und empfängt der Reihe nach Kanzlerin Merkel, von der Leyen und EU-Ratspräsdient Tusk im Elysée. Offiziell steht der EU-Gipfel am Donnerstag im Mittelpunkt der Gespräche.
Aber mit der Kommissionschefin dürfte er auch über den Fall Goulard und die Folgen sprechen. Macron muss nun eine/n Ersatzkandidaten/in finden, von der Leyen muss zustimmen.
Das hätte man freilich auch per Telefon regeln können. Wenn es stimmt, was Macron behauptet – dass er von Anfang an drei Namen für die EU-Kommission genannt hat – dürfte die Wahl nicht allzu schwer fallen.
Doch Macron geht es um mehr. Er fordert vor allem ein mächtiges Portfolio, wie es für Goulard gedacht war: Binnenmarkt plus Industriepolitik plus Rüstung plus Raumfahrt plus neue Medien.
Wenn von der Leyen eine starke Kommissionschefin wäre, hätte sie dieses Portfolio nicht akzeptiert – es ist viel zu groß, wie auch das Europaparlament moniert. Wenn sie fest im Sattel säße, würde sie nun auch nicht nach Paris reisen.
Doch sie ist nicht stark, und sie sitzt nicht fest im Sattel. Noch nie hat eine angehende Kommissionschefin drei Kandidaten abschreiben müssen, noch nie wurden die Aufgaben in Brüssel so ungerecht verteilt.
Doch von der Leyen kann sich dagegen offenbar nicht wehren. Schließlich hat sie ihr Amt Macron zu verdanken. Und über eine Mehrheit im Europaparlament, auf die sie sich stützen könnte, verfügt sie auch nicht.
Mittlerweile darf sie schon froh sein, wenn ihr Team noch im November startet. Der ursprünglich geplante Amtsantritt am 1. November sei kaum zu halten, so Parlamentspräsident Sassoli.
P.S. Aus Paris ist zu hören, dass Macrons Ersatzkandidaten – Verteidigungsministerin Parly und Finanzminister Le Maire – nicht nach Brüssel wechseln wollen. Macron hat ein Problem, von der Leyen auch…
Siehe auch „Macron vs. Leyen: Die nächste Führungskrise„
Watchlist
- Wie geht es weiter im Brexit-Streit? Nachdem Premier Johnson in der Irland-Frage Kompromissbereitschaft gezeigt hatte, gab es am Wochenende Verhandlungen. Doch die Gespräche im „Tunnel“ haben bisher wenig gebracht – das sprichwörtliche Licht am Ende des Tunnels läßt auf sich warten. EU-Unterhändler Barnier sprach am Sonntagabend von „schwierigen“ Gesprächen; ein Deal sei nicht in Reichweite.
- Hat die EU noch eine Türkei-Politik? Das dürfte sich am Montag beim Treffen der Außenminister in Luxemburg zeigen. Nach Schweden und den Niederlanden haben auch Deutschland und Frankreich erklärt, keine neuen Waffen mehr an den Nato-Alliierten liefern zu wollen – wegen des Einmarschs in Syrien. Das ist kaum mehr als eine symbolische Geste. Die deutschen Panzer rollen ja längst… Mehr hier
Was fehlt
- Der Erfolg der Opposition in Budapest (Stadt). Ihr Kandidat Gergely Karacsony kam bei einem Auszählungs-Stand von knapp 50 Prozent der Stimmen auf 49,9 Prozent, teilte das Nationale Wahlbüro am späten Sonntagabend mit. Er dürfte sich damit gegen den seit 2010 amtierenden Istvan Tarlos von der Regierungspartei Fidesz durchgesetzt haben. Wenn sich das bestätigt, wäre es eine Klatsche für Regierungschef Orban…
Peter Nemschak
14. Oktober 2019 @ 10:09
Die Türkeipolitik der EU muss Teil ihrer Gesamtstrategie bezüglich des Nahen und Mittleren Ostens sein. Seit 2012, als die USA unter Obama in Syrien nach Überschreiten der roten Linie durch Assad untätig geblieben sind, wäre eine vorausschauende Strategie der EU dringend geboten gewesen. Der mittlerweile deutlich erkennbare geopolitische Rückzug und Isolationismus der USA hinterlässt in der regionalen Nachbarschaft der EU ein Vakuum, das über kurz oder lang geopolitische Mitbewerber der EU, allen voran Russland aber auch China, das am Erdöl interessiert ist, auf den Plan rufen werden. Die USA sind mittlerweile weitgehend energieautark. Entsprechend nachgelassen hat ihr nationales Interesse an einer Region, in der man sich leicht die Finger verbrennen kann. Am autoritären Wertesatan und Intellektuellenschreck Erdogan kommt die EU auch in Zukunft nicht vorbei. Es geht um gemeinsame Interessen nicht um demokratische Verhältnisse in der europäischen Nachbarschaft.