Machtverfall und Richtungsstreit
Krise in Berlin, Krise in Paris, Untätigkeit in Brüssel und Richtungsstreit beim EU-Gipfel in Budapest: Fünf Monate nach der Europawahl geht nichts mehr.
Erinnern Sie sich noch? Bei der Europawahl im Juni ist die EU voller Elan durchgestartet. Angespornt durch ein kraftvolles Bekenntnis zu Ursula von der Leyen, haben wir uns auf den Weg in eine glückliche Zukunft gemacht.
Indes: Fünf Monate später ist die Leyen-Kommission immer noch nicht in Amt. Brüssel macht Pause. Das Europaparlament fragt die Kandidaten, ob sie ihre “Mission letter” auswendig gelernt haben, und verschickt Pressemitteilungen.
Auch aus Paris und Berlin kommen keine Impulse. Scholz und Macron haben keine Mehrheit mehr, der deutsch-französische “Motor” steht still, die Wirtschaft stagniert und die Kassen sind leer. Ergebnis: ein Machtvakuum, in Deutschland gar ein Machtverfall.
Als wenn das nicht schon bitter genug wäre, ist beim EU-Sondergipfel in Budapest auch noch ein heftiger Richtungsstreit ausgebrochen. Die einen wollen Selenskyj folgen, die anderen Trump, einig ist man sich nur gegen Putin.
Vom Elan der Europawahl ist nichts übrig.
Wie jetzt, da war gar kein Elan? Und eine echte Wahl gab es auch nicht?
Vielleicht ist das ja die Erklärung.
Die EU-Führung wollte “Biden forever” und die gescheiterte Ukraine-Politik einfach fortschreiben, ohne Rücksicht auf die Bürger und die begrenzten Ressourcen.
Nun steht sie mit dem Rücken zur Wand…
Siehe auch “Orbans Trump-Moment” (Newsletter)
P.S. In Budapest wird heute über die verlorene “Wettbewerbsfähigkeit” diskutiert. Das gab’s schon mal – vor 24 Jahren in Lissabon. Da wollte die EU zur “wettbewerbsfähigsten Region der Welt” werden. Davon ist nichts übrig…
KK
8. November 2024 @ 14:02
„Angespornt durch ein kraftvolles Bekenntnis zu Ursula von der Leyen, haben wir uns auf den Weg in eine glückliche Zukunft gemacht.“
ROFL – Ursula von der Leyen und eine Zukunft, zumal eine glückliche, ist für uns Bürger doch ein Widerspruch in sich.
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„Die EU-Führung wollte „Biden forever“…“
Also einen Untoten…
„…ohne Rücksicht auf die Bürger und die begrenzten Ressourcen. “
Ja, das ist es, was die EU heute ausmacht. Die Bürger sollten also den Schalter umlegen und die EU „ausmachen“.
Man kann es dann ja nochmal versuchen, mit wirklicher Demokratie und einer EU für die Bürger – und eben keiner EU für die Konzerne und die NAhTOd.
Helmut Höft
8. November 2024 @ 12:07
Gerade gelesen (sinngem.): “Putin will Neustart der Beziehungen zu den USA zu seinen Bedingungen”
Jetzt wird es spannend: Wenn Timothy Snyder recht hat (ebenfalls sinngemöß: “Trump Präsident von Putins Gnaden”) müsste das ja im Zeitablauf ab jetzt erkennbar werden.
Aber vllt. ist Trump ja der … für den wir ihn alle halten und zeigt Putin – seinem Vorbild als “Staatsmann” – den Stinkefinger?
“Schaun merr ma, dann seng merr scho!” (dt. Filosoff 😉 )
Michael
8. November 2024 @ 14:06
Mit Verlaub, sollte ich jemals Snyder zitieren, wörtlich oder sinngemäß, würde ich mich selbst diskreditieren!
Helmut Höft
9. November 2024 @ 08:22
Mit Verlaub: Niemand behauptet das TS die Wahrheit™ gefunden hat. Quellenstudium – z. B. die von ihm angegebenen – tut gut! Der Link zu Illjin ist schon etwas aussagekräftig … gelesen?
Argumentum ad hominem ist nit sachdienlich.
Arthur Dent
8. November 2024 @ 09:10
Mit der Zukunft ist es wie mit dem Horizont, sie ist nie da – liegt immer in der Ferne.
Es kann allerdings auch sein, dass wir von minderbegabten Personal regiert werden. Die haben nie was anderes kennengelernt als ihre eigene Blase. Die haben nie auf dem Bau gearbeitet, als Paketbote, an der Supermarktkasse. Wenn die ein Gesetz beschließen, dann glauben sie, sie hätten die Welt schon ein bisschen verbessert und sind ganz erschöpft von dieser Anstrengung.
Stef
8. November 2024 @ 08:39
ebo hat Recht. Das wird mit dieser Generation an politischen Führungsfiguren nicht wieder gut werden. Im Gegenteil, die Macrons und Scholzens dieser Welt merken jetzt erst, dass sie sich selbst in eine ausweglose Situation gebracht haben. Und das birgt eine ganz eigene Art von Gefahren. In der Verzweiflung ist schon so mancher Krieg vom Zaun gebrochen worden, um andere fundamentale Probleme zu überdecken. Von wegen Taurus und Fremdenlegion.
Dem Abgrund mal ins Auge schauen?
Welchen Sinn machen Zahlungen und Waffenlieferungen an die Ukraine für den Krieg, der erkennbar verloren ist? Sollte es Trump gelingen zusammen mit Russland einen Waffenstillstand in der Ukraine zu arrangieren, wird Europa den Preis dafür alleine zu tragen haben, weil es nicht am Verhandlungstisch sitzen wird.
Gleichzeitig wird Europa wirtschaftlich von den USA eigennützig den eigenen Kriegsvobreritungen mit China geopfert. Welche Antworten haben wir in Berlin, Paris , Warschau und Brüssel jenseits von Appellen und Treueschwüren darauf? So wenige wie auf den Ukrainekrieg, nämlich gar keine.
Beide Entwicklungen sind jedenfalls durch Europa weder aufzuhalten noch zu steuern. Wenn sie eintreten und entfalten, wovon ich ausgehe, verschwindet mit dem Ukrainekrieg das letzte funktionierede verbindende Element zwischen den europäischen Nationalstaaten. Die Fliehkräfte werden, um einen bekannten AfD-Politiker zu paraphrasieren, das was wir bisher an EU-Krise hatten als “einen Fliegenschiss” erscheinen lassen.
Meine Prognose: In fünf Jahren ist die EU am Boden und flächendeckend gewinnen die nationalen Unabhängigkeitsparteien. In zehn Jahren haben wir Krieg in Europa zwischen Stellvertreterstaaten der USA, Russlands und Chinas. In zwanzig Jahren fragen wir uns auf den Trümmern Europas, wie es so weit kommen konnte.
Ich will mich irren und freue mich über positivere Aussichten.
Kleopatra
8. November 2024 @ 09:03
Der Verzweifelte, der einen “Krieg vom Zaun gebrochen [hat], um andere fundamentale Probleme zu überdecken”, heißt aber Vladimir Putin; und er hat einen Krieg nicht erst 2022 vom Zaun gebrochen, sondern bereits 2014 (und die Annexion der Krym hat seine Popularität in Russland enorm gesteigert).
Arthur Dent
8. November 2024 @ 10:41
@Kleopatra
Es geht weniger um die Krim als vielmehr um Sewastopol. Man wollte Russland den Weg zum Meer versperren. Wird keine Großmacht einfach so hinnehmen.
Stef
8. November 2024 @ 10:53
Das halte ich für einen Wunschtraum. Russland gewinnt den Krieg und hat damit die gesamte Nato düpiert. Russland kann uns die Probleme mit der Restukraine überlassen, sie haben die Ressourcen und wir haben die Belastungen. Die Probleme von Putin hätten wir gerne.
Unabhängig von der moralischen und politischen Bewertung der Kriegsgründe, wir sind die eindeutigen Verlierer.
Helmut Höft
8. November 2024 @ 11:00
Vorsicht! Kleopatra könnte nicht ganz schief liegen. Putin hat sich mit Geistern umgeben – und beruft sich auf solche – die nicht so sehr in die heutige Zeit gehören, z.B.: Iwan Illjin, Zitat:
“Der russische Präsident Wladimir Putin beruft sich bei seiner spezifisch russischen Gesellschaftsphilosophie, die auf religiösen Werten beruhe, auf Iljin. Ulrich Schmid nannte Iljin den Stichwortgeber des neuen Putin’schen Nationalismus. Die russische Präsidialverwaltung verteilte im Januar 2014 „Unsere Aufgaben“ an Gouverneure, wichtige Beamte und die Kader von Einiges Russland, nachdem der „geliebte und gefürchtete“ (Eltchaninoff) Präsident u. a. Iljin zitiert hatte.”
https://de.wikipedia.org/wiki/Iwan_Alexandrowitsch_Iljin#Nachleben
Zu Putins Umfeld – und seinem eigenen Denken – gehören noch viele solcher Gestalten. Buchempfehlung: “Der Weg in die Unfreiheit” https://www.chbeck.de/snyder-david-weg-unfreiheit/product/24058570
Kleopatra
8. November 2024 @ 13:42
@Arthur Dent: Sevastopol’ versperrt Russland nicht den Weg zum Meer, sondern ist eine Militärflottenbasis, die Russland langfristig von der Ukraine gepachtet hatte. Für Sevastopol’ hätte Putin also keinen Krieg gebraucht. Hingegen hat die Krym-Annexion seine Popularität enorm gesteigert.
Ulla
8. November 2024 @ 19:46
@ Kleopatra
„Sevastopol‘ versperrt Russland nicht den Weg zum Meer, sondern ist eine Militärflottenbasis, die Russland langfristig von der Ukraine gepachtet hatte. Für Sevastopol‘ hätte Putin also keinen Krieg gebraucht. „
Wie naiv sind Sie eigentlich, glauben Sie, die NATO-Strategen haetten mit ihren russischen Kollegen Doppelkopf in der Offiziersmesse und das bis 2042/47 gespielt?
„Angesichts der Tatsache, dass die EU nach der 2007 erfolgten Erweiterung direkt an das Schwarze Meer angrenzt, stellt sich die Frage, welche Folgen die Präsenz dieser mächtigen russischen Marinebasis in der Nähe der EU-Grenzen für die langfristige Sicherheit der EU haben wird. „
https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/H-7-2010-0219_DE.html
Solche Fragen kommen Ihnen scheinbar nicht in den Sinn!
Kleopatra
9. November 2024 @ 07:17
@Ulla: Wie ich geschrieben hatte: Russland hatte für die Marinebasis Sevastopol‘ – wie aus dieser Anfrage hervorgeht – seit 2010 einen bis 2042 gültigen Pachtvertrag mit der Option auf Verlängerung bis 2047. Dies geschah offensichtlich auf massiven russischen Druck wenige Monate nach der Amtsübernahme von Janukovič, und wie aus den in Ihrer Fundstelle referierten Tumulten im ukrainischen Parlament und der recht knappen Mehrheit dort hervorgeht, war die Zustimmung alles andere als unumstritten. Durch die Vertragsverlängerung hat Janukovič seine Einschätzung als stark unter Moskauer Einfluss, bzw. jemand, der in der Ukraine Moskauer Wünsche auch gegen starken Widerstand durchsetze wollte, bestätigt. Wer anderen den Zugang zum Meer Abschnitt, waren die Russen, die nach der Okkupation der Krym und dem Bau der Brücke über die Meerenge ukrainische Schiffe mit Destination Mariupol‘ anhielten und ihre Besatzung kidnappten.
Was mich fassungslos lässt, ist Ihr Versuch, hinter den Geschehnissen finstere NATO-Manipulationen zu sehen. Wer hier aktiv war, war eindeutig die russische Seite. Die von Ihnen zitierte litauische EP-Abgeordnete hat diese Aktion (die überhastete Verlängerung der Pacht auf russischen Druck und um einen sehr langen Zeitraum), wie Russlands Aktionen seither zeigen, zu Recht als Angriff auf die ukrainische Souveränität angesehen. Die NATO und die EU haben dem allem bis 2022 im Wesentlichen passiv zugesehen und sich auf selektive Sanktionen nach der Krym-Annexion beschränkt, aber beispielsweise Deutschland hat ja den Vertrag über Nord Stream 2 noch 2015 abgeschlossen.
Ulla
9. November 2024 @ 14:47
@ Kleopatra
Da Sie eine durch und durch NATO-affine Person sind, lohnt es sich nicht darauf ausfuehrlich zu anworten, nur einige Anmerkungen, danach wars das!
Fuer mich ist die NATO ein aggressives Buendnis,
(Beispiel Kosovo/Jugoslawien), das seine
Einflusssphaeren auf dem Globus ruecksichtslos selbst festlegt, die USA sind federfuehrend und der NATO-Generalsekretaer die Sprechpuppe, der Name ist Programm!
Noch ein Satz zu der Vertragsverlaengerung, die gab es natuerlich nicht durch Erpressung sondern durch „Deals“ billiges Gas/Oel gegen die Nutzung des Hafens und eine jaehrlich Pacht obendrauf von mehreren Millionen Dollar.
Dass die Verlaengerung tumultartige Szenen in der Rada ausloeste, war abzusehen, denn
die westlich-orientierte Opposition hatte anderes vor mit Sewastopol und der Krim!
Die Kuendigung des Pachtvertrages waere so sicher wie das Amen in der Kirche gewesen.
Bleibt eigentlich nur noch ein Hindernis, der Vertrag von Montreux, der wird von der Tuerkei aber ziemlich gut erfuellt!
Es gab/gibt westliche Ueberlegungen, den Vertrag zu aendern, so dass unter anderem die US Marine u.a. freie Fahrt im Schwarzen Meer das ganze Jahr ueber haetten, mit allen Kriegsschiffen.
Nun ist die Krim weg und kommt auch nicht mehr zurueck, die Bevoelkerung hat in einem Referendum entschieden, dass die „Schenkung 1954“ an die Ukraine falsch war.
Kleopatra
10. November 2024 @ 09:07
@Ulla: 1) In der Tat bin ich entschieden NATO-affin, denn die Alternative zur NATO wäre, sich möglichen russischen Kriegsverbrechen und verbrecherischen Angriffskriegen wehrlos auszuliefern.
2) Dass Russland für die Pacht zahlen musste, ist selbstverständlich – darum heißt es ja Pacht; und die kann man genauso in Naturalien (Erdgas) zahlen wie in Geld. Und der Widerstand gegen die Verlängerung dürfte auch mit ihrer exzessiven Frist zusammenhängen (ursprünglich war der Vertrag auf 20 Jahre geschlossen worden und galt bis 2017; dass sieben Jahre vor Auslaufen bereits eine Verlängerung um potenziell dreißig Jahre kontrahiert wurde, und das kurz nach dem Amtsantritt Janukovičs, den die Russen als ihren Agenten ansahen, macht den Protest ebenfalls nachvollziehbar).
3) Sie unterstellen offenbar, die NATO hätte darauf spekuliert, Sevastopol‘ selbst als Flottenbasis zu nutzen. Aber da Rumänien und Bulgarien bereits in der NATO waren, hätte die NATO an deren Küsten Flottenbasen anlegen können und nicht auf das Auslaufen des Pachtvertrages für Sevastopol‘ zu warten brauchen.
4) In seiner Antwort auf die von Ihnen zitierte Anfrage einer litauischen Europaabgeordneten betont der Rat, dass er Sevastopol‘ nicht als Bedrohung für die EU ansehe (und verweist dabei auf die Ostsee, ,an der Russland ja ebenfalls Flottenbasen habe).
5) Für die Angliederung der Krym an die Ukraine gab es gute Gründe, nicht zuletzt die Verkehrsverbindungen.
Badum
8. November 2024 @ 11:16
Doch erstmal schön dass Du davon ausgehst den Krieg zu überleben ;), ich weiß ich würde es nicht.
Back to basics wäre wohl die einzige Lösung, wieso müssen es Vasallenstaaten werden?
Meinste seit 04 ist auch die Westunion unmoeglich geworden?
Fand es interessant das Afrika nun ein Währungssystem einführt was an das in der EG vorm € erinnert…
Aber ja, Angst muss man vor Polen z.B. haben, ihre Armeeverdoppelung hatten sie schon im Sommer 21 beschlossen und dass ein Volk das noch deutlich zu deutlich über 90% einer Religion und Ethnue angehört, der Nationalismus überparteilich Konsens ist, weil der macht ja ein Land stark (Mearsheimer), das ist natürlich eine Riesengefahr für so gespaltene, Nachwuchsarme Länder wie D und Fr, die schon viel länger unter Austerität leiden.
Polen steht ja z.B. besser da als Spanien,Portugal und Griechenland sowieso was den tatsächlichen pro Kopf Konsum nach Kaufkraftstandard angeht laut eurostat.
Ungarn sogar besser als alle Vorgenannten. Muss man sichnmal reinziehen.