Wie mit „Fake News“ Politik gemacht wird

Nach Brüssel bläst nun auch Berlin zum Kampf gegen „Desinformation“, das Europaparlament diskutiert über Rassismus – und Frankreich hat ein Problem mit organisierten Tschetschenen-Gangs: Die Watchlist EUropa vom 17. Juni 2020.

Wenn sich die deutschen Innenminister am Mittwoch in Erfurt treffen, dann wollen sie über „gezielte Falschmeldungen, Verschwörungstheorien und Desinformationskampagnen“ reden. Die Coronoa-Pandemie ebbt zwar spürbar ab, aber nach Ansicht der Minister droht nun eine „Infodemie“ mit gezielten Falschmeldungen. Sogar der Verfassungsschutz ist alarmiert.

Auch die EUKommission macht sich Sorgen. In der vergangenen Woche hatte sie ihren „Infokrieg“ ausgeweitet und erstmals auch China beschuldigt, gezielt Desinformation zu betreiben.

Doch der scheinbar so hehre Kampf, dem sich auch Journalistenverbände und Nachrichtenagenturen angeschlossen haben, führt in die Irre. Jedenfalls so, wie er bisher geführt wird.

Denn zum einen richtet er sich bisher fast ausschließlich gegen die neuen „sozialen“ Medien im Internet. Enten und Falschmeldungen in den alten Medien werden nicht thematisiert.

Dabei gab es davon in der Coronakrise jede Menge, auch in Deutschland. Selbst die öffentlich-rechtlichen Medien waren davon nicht frei, wenn sie Regierungsinformationen ungeprüft übernahmen.

Zum anderen wird so getan, als kämen Fake News nur von „bösen“ ausländischen Akteuren aus Russland und China. Dabei haben auch deutsche und europäische Politiker in den letzten Wochen viel Unsinn erzählt.

Die Beispiele sind Legion. Es begann mit einer „leichten Grippe“, dann wurde der Nutzen von Masken bestritten, und schließlich wurde der nahende „Shutdown“ geleugnet – bis er dann doch kam.

Aus dieser Erfahrung – den Fehlinformationen der Politik und dem Konformismus der alten, allzu regierungsnahen Medien – speist sich nun das Bedürfnis nach „alternativer“ Information im Internet.

Politik und Medien sind Mitschuld an dem Phänomen, das sie nun beklagen. Wenn sie wirklich gegen „Fake News“ und Desinformation vorgehen wollten, müßten sie auch die eigenen Fehler aufarbeiten.

Gegen die freie Presse

Das Hauptproblem ist aber ein anderes. Der angeblich so hehre Abwehrkampf im Namen der „Wahrheit“ lässt sich nur allzu leicht gegen die freie Presse wenden, wie wir in den USA und Ungarn sehen.

US-Präsident Trump nutzt „Fake News“ als Kampfbegriff, den er gegen CNN und die „New York Times“ in Stellung bringt. Und Orban nutzt „Fake News“ als Vorwand für den Ausnahmezustand.

Das zeigt, dass wir es hier mit einem zweischneidigen Schwert zu tun haben. Die Angst vor der „Infodemie“ kann nur allzu leicht genutzt werden, um Macht zu erhalten oder auszubauen…

Siehe auch „So einseitig kämpft Brüssel gegen Desinformation“

P.S. Orban hat den Ausnahmezustand in Ungarn mittlerweile zurückgenommen. Doch mit „Fake News“ hantiert er weiter…

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Watchlist

Wie hält es die EU mit dem Rassismus? Das dürfte sich am Donnerstag zeigen, wenn das Europaparlament über die anti-rassischen Demos (und Ausschreitungen) nach dem Mord an George Floyd diskutiert. Bisher hat die EU-Kommission sich vor einer Stellungnahme gedrückt – unter Behördenchefin von der Leyen ist die Brüsseler Behörde zwar weiblicher geworden, aber kein Stück farbiger… – Mehr hier

Was fehlt

Die europäische Corona-App. Obwohl davon seit Beginn der Pandemie gesprochen wurde, gibt es bisher nur nationale Insellösungen – nach Frankreich hat nun auch Deutschland „seine“ App ausgerollt. Sie ist mit der französischen Anwendung nicht kompatibel, doch immerhin will sich die EU-Kommission nun um passende „Schnittstellen“ bemühen. Wann die fertig werden, weiß aber niemand… – Mehr hier

Das Letzte

Seit Tagen leisten sich Tschetschenen aus Frankreich, Deutschland und Belgien heftige Straßenschlachten in der französischen Stadt Dijon. Dabei werden auch scharfe Waffen eingesetzt – offenbar gegen einheimische Drogendealer. Die Ausschreitungen erinnern an ähnliche Vorfälle in Schweden – dort haben sie die Rechtspopulisten gestärkt. Marine Le Pen frohlockt schon… – Mehr hier (SZ)