Linksammlung zum “Grexit”

Die Bundesbank will Griechenland den Geldhahn abdrehen 

Eine Wahl löst einen globalen Marktalarm und Notstandspläne in ganz Europa aus: Das hat es seit den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts nicht mehr gegeben. Was sich am Wochenende in Griechenland abspielt, schreit nach kritischer und unvoreingenommener Berichterstattung. Leider folgen die deutschen Medien fast nur dem “Pleite-Griechen-müssen-unsere-Buddys-wiederwählen-oder-sie-fliegen-raus”-Spin aus dem Kanzleramt und dem BMF.

Was sich jetzt, so kurz vor der Wahl in Griechenland in Presse und Medien in ganz Europa abspielt, “ist nichts anderes als ein mediales, dämonisierendes Powerplay gegen das Linksbündnis Syriza von Alexis Tsipras. In einer solch massiven Form hat es das in Europa wohl noch nicht gegeben”, kritisieren die “Querschüsse”. Ich bin derselben Meinung. Viele wichtige Infos erhält man nur im Internet. 

Deshalb hier eine aktuelle Linksammlung mit etwas anderen Perspektiven. Ich werde versuchen, sie laufend zu aktualisieren – gerne nehme ich auch Hinweise meiner Leser auf.  

Bloomberg: Greek creditors matter as much as voters

The troika should be ready with proposals of its own that are more flexible on timing and more targeted in cutting public- service jobs to improve Greece’s inefficient state, rather than just meeting head counts. In doing so they should try to remember the ordinary Greeks they are stepping in to help, rather than the feckless politicians who have so frustrated efforts to date. This would doubtless take more money, primarily from Greece’s reluctant euro-area partners, including Germany. The alternative is a high stakes roll of the dice on Greek contagion.

The Economist: Germany, Greece and the Marshall Plan

Widerlegt die These von H.-W. Sinn, dass Deutschland schon jetzt mehr gezahlt hätte als die USA nach dem Krieg

New York Times: As Europe’s Curreny Union Frays, Cospiracy Theories Fly

Geht dem Gedankenspiel nach, dass Deutschland die Krise bewußt nutzt, um andere Länder zu unterwerfen (was heute vornehm “mehr Europa” oder “Verzicht auf Souveränität” heißt). Eine Gegenthese zu der in Berlin gern erzählten Verschwörungstheorie, “die Amis” hätten alles verbockt und würden Kanzlerin Merkel in eine Milliarden-Falle locken.

FAZ: Streit in der EZB über Notfallplan für Griechenlandkrise

Die Bundesbank argumentiert offenbar, dass in einem solchen Szenario der griechische Staat und die griechischen Banken nicht mehr als solvent zu bezeichnen seien. Das Eurosystem dürfe Kredit aber nur an solvente Banken vergeben. Deshalb müsse unter den beschrieben Umständen jeglicher neue Kredit verweigert werden und – um dies sicherzustellen – die griechische Notenbank vom Zahlungsverkehrssystem Target abgeschnitten werden, hieß es in Notenbankkreisen. Das wäre faktisch der Ausschluss Griechenlands aus dem Euro. 

Bundesbank Monatsbericht Mai 2012

Dieser Bericht ist wichtig, weil er schon den Rauswurf Griechenlands vorbereitet und seine Folgen “beherrschbar” nennt.

Die aktuelle Entwicklung in Griechenland ist in hohem Maße besorgniserregend. Griechenland droht, die im Gegenzug zu den umfangreichen Hilfsprogrammen vereinbarten Reform- und Konsolidierungsmaßnahmen nicht umzusetzen. Hiermit wird die Fortführung der Hilfen aufs Spiel gesetzt. Griechenland hätte die damit ver- bundenen Folgen zu tragen. Für den Euro- Raum und Deutschland wären die Herausforde- rungen in diesem Fall erheblich, aber bei vor- sichtigem Krisenmanagement beherrschbar. Ein spürbares Aufweichen der getroffenen Verein- barungen hingegen würde das Vertrauen in Vereinbarungen und Verträge in der EWU be- schädigen und die Anreize für eigenverant- wortliche Reform- und Konsolidierungsmaß- nahmen stark schwächen. Der bestehende Ordnungsrahmen von Haftung, Kontrolle und Eigenverantwortlichkeit der Mitgliedstaaten würde dann grundlegend infrage gestellt. 

FT: “I will keep Greece in the Eurozone”

Das deutsche Feindbild Nr. 1, Alexis Tsipras, legt in der britischen FT seine Sicht der Dinge dar. Besser als der Artikel in der FTD. 

DJ: Europe Stocks rise on Central Bank Hopes

Eine bemerkenswerte Meldung. Die Märkte hoffen, dass die Zentralbanken nach der Wahl in Athern intervenieren. Heißt das, dass die Anleger am Ende enttäuscht sind, wenn die aus Brüsseler Sicht “Richtigen” gewinnen – und dann erst recht in Depression verfallen?

AFP: Griechen empört über Wahlempfehlung

Die FTD empfiehlt, die Konservativen zu wählen, und könnte damit genau das Gegenteil bewirken…

Project Syndicate: The end of the World as we know it

Consider the following scenario. After a victory by the left-wing Syriza party, Greece’s new government announces that it wants to renegotiate the terms of its agreement with the International Monetary Fund and the European Union. German Chancellor Angela Merkel sticks to her guns and says that Greece must abide by the existing conditions.

Forex live: Greek-pro-bailout-win-would-be-a-short-term-plus-but-not-enough

Eine ziemlich klare Sicht aus US-Marktperspektive. Selbst wenn die Sparpolitiker gewinnen, geht die Krise weiter, denn Griechenland wird EU und IWF noch jahrelang auf den Taschen liegen und massive soziale Probleme bekommen…

The Big Picture: Could this weekend become the most important since Fall 2008?

Zieht eine Parallele zum Crash der Lehman Brothers und der konzertierten Aktion der Notenbanken. Ziemlich beunruhigend, denn offenbar ist die Lage viel ernster, als die BuBa uns glauben macht!

Naked Capitalism: How the Crisis is being used to break the social contract

Geht auf die sozialen Folgen des Spardiktats vor allem in Griechenland ein – Selbstmorde, Zusammenbruch des Gesundheitswesens etc. pp. Die “afrikanischen Verhältnisse”, vor denen Merkel & Co. für den Fall des “Grexit” warnen, sind schon längst da – als Folge ihrer Politik…

New York Times: Über den Zusammenbruch der griechischen Wirtschaft

Er findet jetzt, vor unser aller Augen statt, und nicht erst nach der “Schicksalswahl”. Gerade erst hat Carrefour angekündigt, sich zurückzuziehen, weil die Umsätze einbrechen – offenbar haben die Griechen nicht mehr genug Geld für den Discounter…

Charlemagne: Is Grexit good for the Euro?

One has to assume that, so some extent, German officials want to send a tough signal to Greek voters. And if one listens carefully to the discourse in Berlin, there seems to be a bit of room for negotiation – even if Alexis Tsipras, leader of the radical anti-austerity Syriza, should become prime minister.

Atlantico: Week-end de tous les dangers: l’euro est-il entré en phase terminale?

Nach Ansicht dieser französischen Newssite geht es nicht nur um Griechenland, sondern um den Bestand des Euro insgesamt. Er könnte in seine “Endphase” eintreten – auch, weil zwischen Berlin und Paris nichts mehr geht, wie mittlerweile viele Zeitungen berichten (Le Monde, Financial Times, Libération) – nur in Deutschland nicht.

Libération: Interview mit Ex-Premier Papandreou

Eine echte Bombe. Der ehemalige Liebling Merkels erzählt, dass die Kanzlerin in seine Referendums-Pläne seit monaten eingeweiht war. Sogar der Zeitplan für die Bekanntgabe des Referendums über den Sparkurs und den Verbleib im Euro war mit Merkel und Sarkozy abgestimmt. Dann habe Sarko alles vermasselt, so Papandreou. Hätte man das Referendum damals schon abgehalten, sässe die Eurozone heute nicht so tief in der Sch…

Welt: Den Griechen bleiben noch viele Schlupflöcher

Überraschung: Ersten kann die Eurozone Griechenland nicht einfach ausschließen (es gibt dafür keine Rechtsgrundlage), und zweitens kann die griechische Notenbank im Notfall selbst Euro drucken. Dies sagt ausgerechnet der regierungsnahe L. Gerken, hier ein Auszug:

 Griechenland droht selbst bei einer Aufkündigung seines Sparprogramms durch eine neue Regierung kein Rausschmiss aus dem Euro. Dies sagte der Chef des Centrums für Europäische Politik (CEP), Lüder Gerken, im Gespräch mit der “Welt”. Da juristisch der Ausschluss überhaupt nicht möglich sei, gebe es nur die Möglichkeit, dass die Griechen freiwillig austreten. Weil das Land aber notfalls selbst Euro-Geld drucken dürfe, hätten die anderen Mitgliedstaaten keinerlei Möglichkeit, Hellas den Geldhahn abzudrehen und auf diesem Weg zum Austritt aus der Union zu zwingen. Der Europa-Experte widerspricht damit dem von der Regierungskoalition und der EU-Kommission vermittelten Eindruck, die griechischen Wähler entschieden an diesem Wochenende über ihren Verbleib in der Währungsunion.  

Wall Street Journal: Fear and Exhaustion in Brussels

Der Titel spricht für sich selbst…nun macht sich sogar bei EU-Profis Angst breit.

Reuters: Europas Ruf ist ramponiert

Whether the euro lives or dies, the chaotic way Europe has tackled the crisis could undermine the region’s geopolitical clout for years to come and leave it at a distinct disadvantage in a rapidly changing world.

Welt am Sonntag: Merkel lässt die Griechen nicht fallen

Dieser Bericht steht in absolutem Gegensatz zu dem, was man bisher aus dem Kanzleramt hörte – und was die Medien eifrig verbreitet haben. Angeblich ist Merkel das Risiko eines Euro-Austritts nun doch zu hoch, gleichzeitig wolle sie aber die Zahlungen einstellen. Wie das zusammenpasst, verstehen wohl nur die “Welt”-Reporter – oder die Spindoktoren Im Kanzleramt (falls was dran sein sollte).

Der “Welt”-Artikel ist ein würdiger Schluß für diese kleine Linksammlung. Er zeigt, falls dies noch nötig wäre, wie groß die Verwirrung über den “Grexit” ist, und wie widersprüchlich die Analysen und Interessen ausfallen. Mein Tipp ist, dass Griechenland den Euro verlassen muss, aber 1. nicht sofort, sondern frühestens im Herbst und 2. nicht freiwillig (wie die mediale Rede vom “Austritt” suggeriert), sondern weil man den Geldhahn zudreht. Allerdings vermute ich, dass Merkel diese heikle Entscheidung nicht allein fällen möchte… 

 


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