Lieferketten-Gesetz: Merz versucht’s mit der Kettensäge
Es war sein erster Auftritt in der EU-Kommission in Brüssel, und gleich gab es Ärger: Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) will nach dem deutschen auch das europäische Lieferkettengesetz abschaffen.
“Wir werden in Deutschland das nationale Gesetz aufheben, und ich erwarte auch von der EU, dass sie diesen Schritt nachvollzieht und diese Richtlinie aufhebt“, sagte Merz in der Brüsseler Behörde.
Nicht nur der Befehlston war ungewöhnlich. Es ist auch unüblich, dass sich ein Regierungschef in die laufende EU-Gesetzgebung einmischt.
Kommissionspräsidentin von der Leyen (ebenfalls CDU) hat die europäische Lieferketten-Richtlinie (CSDDD) gerade erst gelockert und aufgeschoben. Sie soll nun erst ab 2028 gelten, die Nachhaltigkeitsberichterstattung wird aufgeweicht.
Merz reicht dies nicht. Er will nicht nur die Sozial- und Umweltstandards kippen, die im CSDDD verankert sind, sondern gleich das ganze Gesetz.
Und das sei erst der Anfang, so Merz: Die „viel zu groß gewordene europäische Regulierung“ müsse gekappt werden, sagte er in Brüssel. Es klang nach Kettensäge, also nach radikaler Deregulierung wie in Argentinien oder in den USA.
Von der Leyen hörte sich Merz’ Forderungen an, ohne mit der Wimper zu zucken.
Auf Druck der Christdemokraten im Europaparlament hat sie bereits so genannte Omnibus-Reformen zum Bürokratieabbau gestartet; die Entschlackung der Lieferketten-Richtlinie ist ein Teil davon.
Dazu sind auch bereits Beratungen im Europaparlament und im Rat angelaufen. Merz’ Vorstoß kommt deshalb zur Unzeit…
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KK
12. Mai 2025 @ 12:09
“Nicht nur der Befehlston war ungewöhnlich.”
Was ist der Unterschied zwischen Friedrich Merz und GOTT?
GOTT hält sich nicht für Friedrich Merz.
Wolf Böse
12. Mai 2025 @ 11:57
Einfach ‘mal fordern, was ohnehin schon läuft. Kostet nix. Ein politisches Manöver, um als radikaler Reformer zu erscheinen. Möglicherweise vorher mit von der Leyen abgesprochen.
Thomas Damrau
12. Mai 2025 @ 09:00
So stellt sich halt der kleine Fritz Wirtschaft vor:
Arbeitnehmerrechte, Soziales, internationale Verantwortung zur Seite schieben + Unternehmenssteuern senken = Wirtschaft ankurbeln
Schon allein das Bild von der Wirtschaft, die angekurbelt wird, ist grotesk: Als sei die Wirtschaft eine große Maschine, die Rohstoffe und Energie in Waren verwandelt – und halt geölt werden muss und zwischendurch mal ein bisschen Kurbeln gegen die Müdigkeit braucht.
Kein Gedanke,
— dass ein immer größerer Teil des BIP nichts mehr mit Warenproduktion zu tun hat
— dass die produzierte Ware auch Abnehmer braucht
Und gerade mit den Abnehmern sieht es schlecht aus:
— nix Russland
— China nur noch unter Vorbehalt
— Trump will sein Handelsbilanzdefizit reduzieren
— Austeritätspolitik verbietet anderen Ländern Schulden aufzunehmen, um den deutschen Exportüberschuss zu kaufen
— In Deutschland wird die Massenkaufkraft weiter reduziert, indem man den Reichtum von unten nach oben umverteilt – und die so beschenkten Wohlhabenden bunkern ihr Vermögen in Steuerparadiesen.
… aber das ist eben eine der Kernüberzeugungen der neoliberalen Ideologie ( https://redfirefrog.wordpress.com/2025/01/14/das-progressiv-8-analyse-neoliberalismus ): Der magische Markt schafft schon die Nachfrage für das Angebot, wenn nur günstig genug angeboten wird. Und um günstig produzieren zu können, müssen im Zweifelsfall halt mal Arbeitnehmerrechte usw. (siehe oben) geschleift werden.
In Wirklichkeit wird die durch die diversen Schuldenpakete finanzierte zusätzliche staatliche Nachfrage das BIP hochtreiben. Aber wenn dieser Aufschwung nicht durch eine Stärkung der Binnennachfrage durch eine Umverteilung von oben nach unten unterstützt wird, kollabiert das System, sobald wieder auf Austerität umgeschaltet wird.
european
12. Mai 2025 @ 10:13
Dieser Analyse kann man nur zustimmen. Da behauptet jemand, etwas von Wirtschaft zu verstehen und kennt die einfachsten Zusammenhaenge nicht. Jedes Unternehmen braucht zahlungskraeftige Kunden. Die Chinesen haben 400 Mio Menschen aus der Armut geholt waehrend Europa die Loesung seiner Probleme in zunehmender Verarmung sieht. Aber wie immer hat nichts etwas mit nichts zu tun und so leiden die Sozialkassen bestimmt nicht darunter, dass Nichtsverdiener kaum etwas beisteuern koennen, dafuer aber im Alter bezuschusst werden muessen. Die Demographie ist nicht das Problem, sondern versicherungsfremde Leistungen in der RV und die voellige Ignoranz maschineller Produktion, die das BIP seit den 90ern mehr als verdoppelt hat.
Aber, liebe Deutsche, habt mal mehr Respekt vor den Besserverdienenden und keine Angst vor dem Atomkrieg. Ausserdem ist der Staat fuer euch da unten, ihr Fussvolk, kein Selbstbedienungsladen. So gesprochen vom neuen Obermuffti Merz, der den Muff alter Textbausteine nicht durch eigene Ideen ersetzen kann.
Gestern habe ich ein sehr interessantes Gespraech mit Ulrike Guerot, Marco Buelow und Michael Sailer gesehen, das in diesem Zusammenhang sehr empfehlenswert ist. Aktuell fragt man sich erstaunt bis entgeistert, was zum einen fuer leere Karrieristen nach oben gespuelt werden und woher das kommt. Eine zumindest teilweise Antwort liefert das Konstrukt der Parteiendemokratie, wozu Marco Buelow interessante Aspekte liefert.
https://youtu.be/Y0NTR9xaT48?feature=shared
Die EU bekommt die wirtschaftlichen Probleme nicht geloest, aber immerhin bestraft sie die Mitgliedslaender dafuer, dass sie den DSA nicht ordnungsgemaess umsetzen. So setzt eben jeder seine Prioritaeten.
Skyjumper
12. Mai 2025 @ 11:11
“— dass ein immer größerer Teil des BIP nichts mehr mit Warenproduktion zu tun hat
— dass die produzierte Ware auch Abnehmer braucht”
Auch wenn Ihre Bedenken zunächst mehr als logisch klingen, liegt der Pferdefuss doch genau in der Nichtberücksichtigung (bzw. nicht ausreichenden) des von mir zitierten.
Gerade dieser immer größere Anteil des BIP der keine Warenproduktion beinhaltet, benötigt auch keine Abnehmer im klassischen Sinne.
Was wir (seit Jahren) sehen, ist ein immer größerer Anteil an Dienstleistungen im BIP. Und die kann, und das tut er auch, der Staat einfach verpflichtend anordnen. Ein recht aktuelles Beispiel: Dann wird eben angeordnet dass ältere Fahrzeuge jedes Jahr zum TÜV müssen.
Wartungspflichten, Kontrollpflichten, Zertifizierungspflichten, Nachweispflichten, Ausstattungspflichten. Der Staat “schafft” ohne Ende BIP. Der Abnehmer hat dabei gar keine Wahl ob er Abnehmer sein will oder nicht. Das vergrößert die Kaufkraft natürlich nicht, aber sie wird “sorgfältig” gelenkt. Steuern und Abgaben sind zunehmend durch Zwangsausgaben ergänzt worden und sorgen dafür dass in DE bis weit in die obere Mittelschicht hinein nur noch ein Taschengeld übrig bleibt, über dessen Ausgabe man frei entscheiden kann. In der Unterschicht nicht mal das.
Deutschland hat, wenn man diesen schnell wachsenen Bereich einbezieht, eine noch viel höhere Staatsquote als allgemein ausgewiesen.
Thomas Damrau
12. Mai 2025 @ 12:13
@Skyjumper
Danke für den Hinweis.
Die verordnete Nachfrage gilt auch für “Waren”: Bauvorschriften, Sicherheitsvorschriften, usw. sorgen dafür, dass zusätzliche Produkte nötig sind und eingeführte Produkttypen aufwendiger werden.
Monika
12. Mai 2025 @ 18:11
Wartungspflichten, Kontrollpflichten, Zertifizierungspflichten, Nachweispflichten, Ausstattungspflichten. Der Staat “schafft” …
Mit dieser Art Schaffenskraft des Staates wird schon seit Jahren auch die gesamte freie Kulturszene geschrumpft. Frei und spontan war gestern, heute überlebt die freie Kulturszene nur durch Beantragung von Europa- Bundes- Länder- und Kommunalzuschüssen. Wenn es ihnen z.B. gelingt, für ihr “Projekt” einen Bundesfördertopf anzuzapfen, bekommen sie auch vom Land und von der Kommune….sonst Ofenrohr ins Gebirge. Die Kosten welche die staatlichen “Pflichten” einem Künstler auferlegen, werden aus Steuermitteln zum Teil wieder erstattet, alles ein riesiger Aufwand der ein ganz spezielles “Geschick” erfordert, so dass kleine, aber für den Zugang zur Kunst wichtige, lokale Projekte auf der Strecke bleiben. Noch nicht zu reden von spontanen Aktionen…
Da “gedeiht” das bürgerliche, ehrenamtliche Engagement….
KK
12. Mai 2025 @ 19:46
Binnenkaufkraft stärken: viel davon fliesst in Dienstleistungen, und die werden idR vor Ort, also im Inland, erbracht – und bringen auch hier Steuereinnahmen und Beschäftigung. Aber genau das Gegenteil in Gestalt von Lohndumping wird seit Jahrzehnten praktiziert, unter tätiger Mithilfe der Gewerkschaften – Hauptsache „Exportweltmeister“!