Leyens schwache Bilanz, Scholz’ später Erfolg – und Lebenszeichen von der Nato


Die Watchlist EUropa vom 1. Dezember 2020 –

Alles war bis ins kleinste Detail geplant. Zu ihrem ersten Jahrestag in Brüssel hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine eigene Website aufsetzen lassen, die ihre Arbeit dokumentiert. Sie hatte einen ehemaligen „Spiegel“-Journalisten engagiert, der packende Reden schreiben soll. Und sie wollte selbst vor die Presse treten, um sich als Vorkämpferin für Klimaschutz und Coronahilfen zu präsentieren.

Schaut her, ich mache es mindestens genauso gut wie mein Amtsvorgänger Jean-Claude Juncker: Das sollte die Botschaft der ersten Frau an der Spitze der Brüsseler Behörde sein.

Doch die Inszenierung ist ins Wasser gefallen. Der Termin am Dienstag im Pressesaal des Berlaymont wurde abgesagt. Von der Leyen habe leider zu viel zu tun, bedauerte ihr Sprecher. Die Arbeit gehe vor, das Krisenmanagement sei wichtiger.

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Krisen hat die deutsche CDU-Politikerin seit ihrem Wechsel von Berlin mehr als genug erlebt. Als sie am 1. Dezember 2019 ihr neues Amt in Brüssel antrat, rief das Europaparlament prompt den „Klimanotstand“ aus.

Kurz danach brach der türkische Sultan Erdogan eine neue Flüchtlingskrise mit Griechenland vom Zaun. Und dann war da noch der Brexit – die Probleme mit Großbritanniens EU-Austritt sind bis heute nicht gelöst.

Die größte Bürde war und ist aber die Coronakrise. Die Pandemie hat die EU-Kommission gelähmt und die Schwächen der Union schonungslos offen gelegt. Von der Leyen mußte hilflos mitansehen, wie Grenzen geschlossen und Solidarität verweigert wurden.

Das Schengen-Abkommen und der Binnenmarkt standen auf der Kippe, Jacques Delors warnte vor Nationalismus und einem Scheitern der EU.

Nur mit Hilfe von Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel gelang es von der Leyen, die Lage wieder in den Griff zu bekommen.

Macron und Merkel einigten sich auf einen 500 Milliarden Euro schweren schuldenfinanzierten Corona-Aufbaufonds, um die Krisenländer zu stabilisieren. Die Kommissionschefin war erleichtert, sie legte nochmal 250 Milliarden drauf.

Damit war der Weg für – zusammen mit dem neuen EU-Budget – 1,8 Milliarden Euro schwere Finanzpaket bereitet, das auf einem EU-Sondergipfel im Juli beschlossen wurde. Doch der “historische” Deal ist immer noch nicht in trockenen Tüchern.

Nun blockieren Ungarn und Polen eine Einigung; der erbitterte Streit um den Rechtsstaat verhindert den überfälligen Beschluss.

Stichtag 7. Dezember

Dies wirft nicht nur einen Schatten auf von der Leyens Bilanz. Es könnte sogar die Arbeit der EU gefährden.

Wenn Ungarn und Polen nicht bis zum Stichtag 7. Dezember einlenken, muß die Brüsseler Kommission einen Nothaushalt für 2021 aufstellen. Viele EU-Beschlüsse gegen die Krise könnten dann nicht oder nur eingeschränkt umgesetzt werden.

Auch der Corona-Aufbaufonds ist in Gefahr. Doch weder von der Leyen noch ihre Parteifreundin Merkel lassen erkennen, wie sie die Krise lösen wollen. Merkel sagt zwar, dass sich “alle Seiten” bewegen müßten – doch wer macht den ersten Move?

Siehe auch “Merkels Doppelkrise” sowie zur Klimapolitik “Viel Green, wenig Deal”

Watchlist

Erwacht die Nato zu neuem Leben? Dies ist die Hoffnung vieler Transatlantiker, wenn sich am Dienstag die Außenminister der Nato-Staaten beraten. Thema bei der Videokonferenz sind u.a. die Zukunft des Nato-Einsatzes in Afghanistan und die Bemühungen um eine Stärkung der politischen Dimension der Nato. Außenminister Maas setzt auf den neuen US-Präsidenten Biden. Doch ob der den “Hirntod” der Allianz überwinden kann, bleibt abzuwarten… Mehr zur Außenpolitik hier

Was fehlt

Der Eurorettungsfonds ESM wird aufgewertet. Er soll künftig enger mit der EU-Kommission bei der Bewertung der Finanzlage der Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, beschloß die Eurogruppe. Zudem soll er eine größere Rolle bei der Überwachung von Krisenprogrammen spielen und marode Banken besser abstützen. Für Finanzminister Scholz ist dies ein später Erfolg – die Reform war schon 2012 geplant. Allerdings weiß niemand, ob der ESM in der Coronakrise noch gebraucht wird.. – Alles zum ESM hier

Das Letzte

Der deutsche EU-Vorsitz will mehr öffentliche Debatten im Ministerrat, aber nicht volle Transparenz. Dies sagte Europa-Staatsminister Roth dem Portal “Investigate Europe”. “Der Rat ist kein Parlament, aber wir bemühen uns, auch da Verfahren zu entwickeln, um mehr Offenheit zu erreichen” sagte Roth. Zugleich wehrte er sich gegen das “Zerrbild” der Geheimniskrämerei bei der EU-Gesetzgebung betreiben. Dabei erleben wir dies in Brüssel jeden Tag… – Dazu gibt es ein lesenswertes Dossier “Die Geheimnisse des Rates”