Die neue “europäische Lösung” heißt Abschiebung

Fünf Jahre nach der Flüchtlingskrise setzt die EU-Kommission auf Härte, die Nato freut sich über ein bißchen Frieden zwischen der Türkei und Griechenland – und ausgerechnet Belgien lockert die Corona-Maßnahmen: Die Watchlist EUropa vom 24. September 2020.

Die Chefin fand schöne Worte. In der Asyl- und Flüchtlingspolitik sei ein „neues Gleichgewicht zwischen Verantwortung und Solidarität“ nötig, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. „Unser altes System funktioniert nicht mehr, wir brauchen einen neuen Start.“

Dann kamen die harten Fakten – und die sehen nicht so schön aus. Künftig sollen alle Migranten, die auf Lesbos, Lampedusa oder anderswo in der EU ankommen, binnen fünf Tagen erfasst und durchgecheckt („gescreent“) werden.

Wer durch das Raster der Asylberechtigten fällt, soll binnen 12 Wochen abgeschoben werden, schneller denn je.

Schnellere Erfassung, schnellere Entscheidung, schnellere Abschiebung möglichst schon an den Außengrenzen: Das sind die wichtigsten Neuerungen, die die Kommission in ihrem „Migrations- und Asylpakt“ vorschlägt.

Von der Leyen setzt auf Tempo und Härte – und kommt damit widerborstigen Ländern wie Ungarn oder Polen weit entgegen.

Seit der Migrationskrise 2015 und 2016 haben sich die Osteuropäer der Aufnahme von Asylbewerbern widersetzt und ein solidarisches Quotensystem torpediert.

Bevor man über Solidarität sprechen könne, müssten die Grenzen gesichert und die Abschiebung forciert werden, forderten sie.

Genau das versucht von der Leyen nun – in der Hoffnung, dass diesmal alle EU-Staaten mitmachen. Verbindliche Quoten soll es gar nicht mehr geben, eine Pflicht zu Solidarität nur noch in Ausnahmefällen.

Ansonsten sollen die Länder selbst entscheiden können, ob sie Asylbewerber aufnehmen oder eine „Abschiebe-Patenschaft“ eingehen.

„Sie können zwischen Aufnahme und Hilfe bei der Abschiebung wählen“, sagte Innenkommissarin Ylva Johansson.

„Nicht alle Mitgliedsstaaten werden Flüchtlinge aufnehmen“, gab sich Migrationskommissar Margaritis Schinas realistisch. Für sie gebe es nun eine „tragfähige Alternative“.

Die EU-Kommission will Abschiebungen aber auch anders beschleunigen. So will Brüssel einen “EU-Koordinator für Rückführungen“ ernennen.

Auch der Außengrenzschutz soll verbessert werden. Dafür will die Kommission die Grenzschutzagentur Frontex einsetzen und aufrüsten.

Alles ist mit der “Flüchtlingskanzlerin” abgestimmt

Die Vorschläge sind mit Kanzlerin Angela Merkel abgestimmt, die derzeit den EU-Vorsitz innehat. Von der Leyen wollte am Mittwoch zudem mit dem türkischen Präsidenten Recep Erdogan sprechen.

Merkel hatte mit Erdogan 2016 einen umstrittenen Flüchtlingsdeal ausgehandelt, der nun ausgebaut werden soll. Und das, obwohl dieser Deal in Moria in Flammen aufgegangen ist…

Siehe auch “Merkel und Michel hofieren Erdogan”, “Europäische Lösung fällt Merkel auf die Füße” und “Update: Dublin”

Watchlist

Wie reagieren die EU-Staaten auf den “Migrationspakt”? Bundesinnenminister Seehofer hat sich schon geäußert, er sprach von einer “guten Grundlage” und will gleich in Gespräche einsteigen – er ist ja Ratsvorsitzender. Doch was sagen die Osteuropäer, die sich bisher jeder Flüchtloingshilfe verweigert haben? Das will von der Leyen am Donnerstag bei einem Treffen mit der Visegrad-Gruppe herausfinden. Ungarns Orban hat schon durchblicken lassen, dass er bei seinem “Nein” bleiben will…

Was fehlt

Die Erleichterung bei der Nato über einen “deutschen Vermittlungserfolg” (dpa). Generalsekretär Jens Stoltenberg freute sich, dass sich die Bündnismitglieder Türkei und Griechenland auf die Wiederaufnahme von Gesprächen über eine Beilegung ihres Streits über Seegebiete verständigt haben. Die Nato hatte das nämlich nicht hingekriegt. Allerdings kam dann gleich wieder ein Dämpfer aus Berlin: Sanktionen gegen die Türkei werde es vorerst nicht geben. Was für eine Überraschung…

Das Letzte

Während München die Maskenpflicht auf öffentlichen Plätzen einführt, schafft Brüssel sie wieder ab. Obwohl die Infektions-Zahlen in Belgien weiter ansteigen, kündigte Premierministerin Wilmès eine Lockerung der Corona-Maßnahmen an. Sogar das Reiseverbot für “rote” Zonen wird aufgehoben – während Deutschland seine Reisewarnungen ausweitet. Der Flickenteppich wächst also weiter – doch die groß angekündigte “Corona-Präsidentschaft” lässt auf sich warten. – Mehr hier (Beitrag für den Cicero)


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