Krisenszenario: 2040 ist heute
Die Bundeswehr (ver-)zweifelt am Westen: In einer Studie für das Jahr 2040 will sie weder den Zerfall der Nato noch der EU ausschließen. Das Szenario hat allerdings einen Haken: Es ist weitgehend schon Realität.
Unter der Überschrift „Die EU im Zerfall und Deutschland im reaktiven Modus“ entwirft die Studie, aus der SPON zitiert, folgende Vision:
„Die EU-Erweiterung ist weitgehend aufgegeben, weitere Staaten haben die Gemeinschaft verlassen. Europa hat seine globale Wettbewerbsfähigkeit verloren“, schreiben die Bundeswehrstrategen: „Die zunehmend ungeordnete, zum Teil chaotische und konfliktträchtige Welt hat das sicherheitspolitische Umfeld Deutschlands und Europas dramatisch verändert.“
Das soll die Zukunft des Jahres 2040 beschreiben? Fast alles ist schon eingetreten. Die EU-Erweiterung ist bereits gestoppt, niemand glaubt mehr an den Beitritt der Türkei.
Nach UK hat auch Polen die Gemeinschaft verlassen – zwar nicht offiziell, aber durch innere Kündigung. Ungarn und Tschechien stehen kurz davor, Österreich hat sich von Deutschland gelöst.
Die „globale Wettbewerbsfähigkeit“ ist auch schon futsch, wenn man ans Internet denkt. Zudem macht die deutsche Exportstrategie die Industrie im Rest der EU platt – heute, nicht erst 2040.
Auch zwei weitere Szenarien sind schon weitgehend eingetreten. So frieren einige östliche EU-Staaten den Stand der europäischen Integration ein – wer das ist, steht weiter oben.
Und dass es EU-Partner gibt, die „sogar gelegentlich eine spezifische Annäherung an das ’staatskapitalistische Modell‘ Russlands“ suchen, ist ein offenes Geheimnis. Zypern macht daraus sogar ein Geschäftsmodell.
Was lernen wir also aus der „Strategischen Vorschau 2040?“ Entweder haben die Bundeswehr-Experten keine Ahnung von dem desolaten Zustand, in der sich die EU schon heute befindet.
Oder aber sie extrapolieren einfach jene Trends, die der Bundesregierung schon heute Sorgen macht, auf die Zukunft. Dann ließe sich die Studie als versteckte Kritik am IST-Zustand der EU lesen…
…aber auch am IST-ZUstand in Berlin. Denn Deutschland ist längst „im reaktiven Modus“. Kanzlerin Merkel versucht nur noch, den Status Quo im „deutschen Europa“ zu retten, nach vorn denkt sie längst nicht mehr…
Mehr zur EU-Krise hier. Siehe auch mein E-Book „Aufstieg und Fall im deutschen EUropa“
hintermbusch
6. November 2017 @ 13:16
„nach vorn denkt sie längst nicht mehr“
Lustig. Wo hat sie das jemals getan?
Etwa bei der Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken? Aus der sie dann selbst eine Blitzabschaltung gemacht hat?
Thomas
6. November 2017 @ 10:31
Sie begreifen immer noch nicht das Deutschland (erneut) der Geisterfahrer ist. Nicht Trumps USA, nicht die Visegrad Staaten, nicht Österreich. Am Ende, wenn Frankreich abgefallen ist, bleibt ein zerstörtes balkanisiertes Deutschland mit einigen kleinen, finanziell abhängigen Vasallen (Balkan, Baltikum, Spanien).
Der nächste Fluchtkandidat ist Italien.
ebo
6. November 2017 @ 10:40
@Thomas Lesen Sie mal die Rubrik „Deutsches Europa“. Dann werden Sie sehen, dass wir auch diesen „Geisterfahrer“ im Blick haben
Oudejans
5. November 2017 @ 03:41
>>“Die EU-Erweiterung ist bereits gestoppt, …“
„Gestoppt“ ist ja gut… Uns gehen einfach die Staaten aus. Doch halt. Wenn jetzt der Kabinettschef einmal ganz diskret (nun gut: schon sein diesbzgl. ernsthaftes Bemühen würden wir positiv vermerken) gewissen südeuropäischen Regierungschefs gut zuredete, hätte in Bälde der Kommissionschef überraschend frisches Material zum Erweitern, das ihn erbaut. Stattdessen stehen die Herren sich trüb im Wege, zum Gespött der Leute.
Peter Nemschak
4. November 2017 @ 17:45
Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben. Die Bundeswehr vertritt eigene Interessen, durchaus legitim, ihre Einschätzung sollte aber mit einem Körnchen Salz genossen werden. Nur weil die integration derzeit nicht voran kommt, heißt das noch nicht, dass die EU zerfällt, ebenso wenig die NATO. Klar scheint zu sein, dass sich Europa auch nach Trump auf eigene Beine stellen muss. Das kostet Geld, geschieht am kostengünstigsten gemeinsam. Die Bundeswehr hat noch vor der neuen Regierung ihre Ansprüche an das Budget angemeldet. Immerhin besteht ein Nachholbedarf nach jahrelangem Schleifenlassen.
Kleopatra
4. November 2017 @ 12:24
„Österreich hat sich von Deutschland gelöst“. – Das würde ich jedenfalls nicht als Symptom für den Zerfall der EU ansehen. Eine Distanz zu Deutschland ist mit Loyalität zur EU durchaus vereinbar. Oder warum nicht?
ebo
4. November 2017 @ 12:49
Ja sicher. Aber hier geht es um die deutsche Angst vor Des-Integration!