K(r)ampf an drei Fronten, Streit um Skiurlaub – und Schweigen zu Assange

Die Watchlist EUropa vom 26. November 2020 –

Jede EU-Präsidentschaft kennt ihre Höhen und Tiefen. Für den deutschen Ratsvorsitz war der Höhepunkt schon im Juli erreicht, als es Kanzlerin Merkel gelang, ein 1,8 Bill. Euro schweres Finanzpaket zu schnüren. Vier Monate später ist nun der (vorläufige) Tiefpunkt erreicht: Rien ne va plus.

Das Finanzpaket kommt nicht voran, Polen und Ungarn haben ihr Veto eingelegt. Merkel versucht zwar, die Blockade zu lösen – mit vertraulichen Gesprächen hinter den Kulissen und unausprechlichen Zugeständnissen. Doch es hilft nichts, im Gegenteil.

Am Donnerstag wird der polnische Ministerpräsident Morawiecki zu einem Besuch in Budapest erwartet. Er will sich mit dem ungarischen Regierungschef Orban über das weitere Vorgehen abstimmen, eine Lösung zeichnet sich nicht ab.

Auch beim Brexit geht nichts voran. Weil sich die Briten nicht bewegen, droht EU-Verhandlungsführer Barnier nun mit dem Abbruch der Gespräche über ein Handelsabkommen. Von Merkel hört und sieht man nichts.

Last but not least hakt es auch noch beim Reizthema Migration. Spanien, Italien, Griechenland und Malta haben mehr Solidarität bei der Aufnahme und Verteilung von Migranten und Flüchtlingen gefordert.

Sie reagieren damit auf einen Vorschlag der EU-Kommission, der mit Innenminister Seehofer abgestimmt war. Darin wurde Solidarität klein, Abschiebung hingegen groß geschrieben. Doch die Mittelmeerländer fordern mehr.

Der deutsche EU-Vorsitz ist nun an allen drei Fronten gefordert – doch aus Berlin kommt nichts. Merkel möchte die Probleme offenbar aussitzen – in der Hoffnung, dass die Beteiligten letztlich mehr zu verlieren haben als Deutschland.

Und wenn es genau anders herum wäre? Morawiecki und Orban haben sich auf Merkel und die „deutsche Verantwortung“ eingeschossen, auch der britische Premier Johnson würde den Schwarzen Peter gern an die Kanzlerin abschieben.

Ihr Kalkül ist einfach: Wenn man sich doch noch irgendwie einigt, dann haben alle ihr Gesicht gewahrt. Wenn es hingegen schief geht, dann ist der deutsche EU-Vorsitz schuld…

Siehe auch „Das ist Merkels Stunde der Wahrheit“ und „Corona-Präsidentschaft: In the middle of nowhere“

Watchlist

Wird der Skiurlaub über die Feiertage verboten? Dafür will sich Kanzlerin Merkel einsetzen. Merkel und die Ministerpräsidenten fordern die Deutschen auf, „alle nicht zwingend erforderlichen beruflichen und privaten Reisen, insbesondere touristische Reisen auch ins Ausland, u.a. in Hinblick auf die Skisaison“ zu unterlassen. Die Bundesregierung will zudem versuchen, auf EU-Ebene zu abgestimmten Regelungen zu kommen, um bis zum 10. Januar Skitourismus nicht zuzulassen. Doch Österreich zieht nicht mit – Streit liegt in der Luft…

Was fehlt

Das „Recht auf Reparatur“. Im Interesse der Nachhaltigkeit sollen technische Produkte reparierbar sein, „damit sie so lange wie möglich auf dem Markt bleiben können“, fordert das Europaparlament. Eine entsprechende Entschließung mit detaillierten Forderungen nahmen die Abgeordneten mit 395 zu 94 Stimmen an. Darin fordern sie unter anderem einen „verbindlichen Mindestzeitraum“ für Ersatzteile. Die sogenannte geplante Obsoleszenz – wenn Produkte absichtlich frühzeitig kaputt gehen oder altern – soll verboten werden. 

Das Letzte

Das Europaparlament weigert sich, den Wikileaks-Gründer J. Assange zu würdigen. In einem Bericht zu den Grundrechten in der EU wurde Assange am Mittwoch nicht einmal erwähnt. Die Berichterstatterin C. Daly aus Irland versuchte zwar bis zuletzt, seinen Namen wenigstens zu erwähnen. Doch sie scheiterte an der „Großen Koalition“ aus Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen. Die etablierten Medien haben über den Eklat am Mittwochabend nicht einmal berichtet – nur Sputniknews (englisch) brachte eine Meldung…

P.S. Die Grünen und einige Sozialdemokraten sind ausgeschert. Dies geht aus einer Aufstellung von M. Sonneborn hervor. Danke für den Hinweis!

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