Ein Haircut – gegen die Griechen?
Nur zehn Tage nach dem Euro-Gipfel musste Griechenland schon die zweite Runde von „Reformen“ durchs Parlament peitschen. Die Medien machen daraus aus einen Vertrauenstest für Premier Tsipras.
Auf die Inhalte des Diktats geht kaum jemand ein. Da ist eine „Modernisierung“ der Justiz, mit der tausende Wohnungsbesitzer schneller aus ihrem Heim geklagt werden können – toll!
Und eine „Umsetzung“ der europäischen Bankenrichtlinie, mit der Sparer künftig ab 100.000 Euro zur Kasse gebeten werden können, wenn ihre Bank pleite geht. Auch nicht schlecht!
Denn die griechischen Banken wurden von den Gläubigern systematisch geschwächt. Erst wurde Athen der Bankenrettungsfonds entzogen, dann wurden die Institute von der normalen Geldversorgung abgeschnitten.
Sie hängen nur noch am Tropf der EZB-Notfallkredite – einigen dürften bald die Luft ausgehen. Und dafür gibt es offenbar schon EU-Pläne, die auf einen „Haircut“ ab 8000 Euro hinauslaufen!
Wenn das umgesetzt wird, dann müssen viele kleine Sparer massiv bluten. Derweil weigert sich der größte Gläubiger – Deutschland – immer noch, über einen Haircut auf seine Forderungen auch nur zu reden!
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GS
24. Juli 2015 @ 02:24
Meine Prognose: Ein Bail-In ist unvermeidlich und die Schwelle wird nicht 100.000€ sein, sondern weit niedriger. Das ist auch okay. Bei einem Grexit gibt’s ja schließlich auch einen Haircut, nur dass der dann anders heißt, nämlich Abwertung.
Johannes
23. Juli 2015 @ 19:27
„mit der Sparer künftig ab 100.000 Euro zur Kasse gebeten werden“
100.000 Euro auf dem Konto, davon träumt jeder normale Bürger in Deutschland.
Ich soll Mitleid mit reichen Menschen haben???????????
100.000 Euro, Mensch wer so viel Geld auf dem Konto hat, ist ja echt total arm dran 😉
DerDicke
23. Juli 2015 @ 19:52
Mal zumindest ein wenig über den eigenen Horizont hinaus denken …bitte…
Mittelständische Firma, 20 Angestellte. Das Gehalt wird sich nicht jeden Monat auf dem Konto materialisieren. Außerdem braucht man permanent Geld für den Wareneinkauf. Mit ein paar Rücklagen für Maschinen und Gebäude ist man auch als Kleinbetrieb sehr schnell auf mittleren sechsstelligen Guthaben.
Wer also die Guthaben > 100k entsprechend rasiert schickt damit auch einen hohen Anteil an Firmen in den sofortigen Bankrott.
Peter Nemschak
23. Juli 2015 @ 20:13
Erstens kann man die Beträge auf mehrere Banken aufteilen, zweitens eine Bank wählen, bei der das Ausfallsrisiko sehr gering ist.
DerDicke
24. Juli 2015 @ 06:13
Eine Bank mit geringem Risiko… in Griechenland? Echt jetzt? Welche Bank könnten Sie denn im Moment empfehlen?
Als Firmeninhaber hat man i.d.R. etwas besseres zu tun, als sich um zig Konten bei zig Banken zu kümmern, zumal relativ schnell auch die „mehreren“ Banken ausgehen, man kann also höchstens „Freibeträge“ sammeln. Wie viele verschiedene Banken gibt es in Griechenland, wie hoch wäre also der „Freibetrag“ wenn man alle nutzen würde?
Eine Firma mit 100 Mitarbeitern und Durchschnittlich 3000€ pro Mitarbeiter zahlt schon 3 Millionen nur an Löhnen aus. Wie sähe es bei einem griechischen Siemens, VW oder Bayer aus?
Carlo
23. Juli 2015 @ 20:00
Und was ist daran viel, wenn man sein Leben lang für den Lebensabend gespart hat oder eine Familie es „angehäufte“, um sich ein Haus zu bauen? Wie viele haben überhaupt so viel auf dem Kontoauszug? Was ist dabei, wenn eine echte Leistung dahinter steht, für die jemand entlohnt wurde?
Man muss nicht unbedingt Mitleid haben, aber vielleicht einen kleinen Augenblick länger nachdenken.
Alles wäre kein Problem, wenn die Banken das Geld tatsächlich hätten. Sie hatten es nie.
GS
24. Juli 2015 @ 02:21
Die implizit von Johannes aufgeworfene Frage halte ich dafür berechtigt: Warum soll jemand anders für die Sicherung dieser Vermögen aufkommen, wofür auch immer sie gedacht sind?
Alexander
23. Juli 2015 @ 14:15
In seinem 2014 erschienenen Buch „Stress Test“ schreibt der frühere US-Finanzminister Tim Geithener über seinen Besuch bei Schäuble auf Sylt im Sommer 2012:
„Er sagte mir, es gäbe immer noch viele in Europa, die dachten, die Griechen aus der Währungsunion zu werfen, sei eine plausible – ja sogar wünschenswerte – Strategie. Die Idee, war, dass, wenn Griechenland draußen wäre, die Deutschland eher bereit wäre, die finanzielle Unterstützung zu leisten, die der Euroraum brauchte, weil die Deutschen dann nicht länger Hilfen für Europa als Herauspauken der Griechen interpretieren würden. Gleichzeitig wäre ein Grexit traumatisch genug, um dem Rest Europas die nötige Furcht einzuflößen, damit es mehr Souveränität für eine stärkere Bankenunion und Fiskalunion aufgibt. Griechenland brennen zu lassen, so das Argument, würde es leichter machen, ein stärkeres Europa mit glaubwürdigeren Brandschutzmauern zu errichten. Ich war schockiert von dieser Argumentation.“
Entnommen: Norbert Häring Blog
Beate
23. Juli 2015 @ 11:29
Lieber werden weiter Kinder ermordet!
„Die von Berlin oktroyierte Austeritätspolitik der vergangenen fünf Jahre sowie die aktuellen, ebenfalls von Berlin erzwungenen Kapitalverkehrskontrollen führen inzwischen zu einer sich stets weiter verschärfenden humanitären Notlage in Griechenland. Es sei „ganz hässlich“, was da gegenwärtig „auf dem Buckel der Bevölkerung ausgetragen wird“, klagt der Schweizer Jakob Kohn, ein Therapeut, der Hilfstransporte nach Griechenland organisiert und am Wochenende den Verein „Griechenlandhilfe Schweiz“ gegründet hat. Am meisten litten Krankenhäuser sowie Kinder- und Behindertenheime; sie „können praktisch keinen normalen Betrieb mehr aufrecht erhalten“, berichtet Kohn und nennt Beispiele. „Eine Ärztin schilderte mir, wie ein Kind in ihren Armen gestorben ist. Sie konnte keine Infusion legen, um das Leben des Kindes zu retten, weil es im Spital keine Nadeln mehr gab.“
Peter Nemschak
23. Juli 2015 @ 13:50
Man darf nicht für jeden Skandal die EU oder Deutschland verantwortlich machen. Dieser, von Ihnen erwähnte, ist hausgemacht. Durch Umschichtung im Budget hätte man zu Lasten des Militärs die Spitäler besser versorgen können. Dafür benötigt man allerdings eine effektive Verwaltung, die Griechenland bis heute nicht hat. Daher ist eine Modernisierung, auch wenn sie manchen Gruppen in Griechenland weh tut, dringend nötig.
Willi
23. Juli 2015 @ 14:20
Genau. Man darf nicht für jedes Missmanagement in Griechenland und bei griechischen Banken die EU verantwortlich machen. Die griechischen Banken selbst litten unter drei hausgemachten Fehlentwicklungen: Zu geringer Kapitalstock, zuviel Kapitalabfluss von illegal erworbenen , unversteuerten Geldern ins Ausland, ein zu hoher Bestand an nicht werthaltigen griechischen Staatsanleihen. Nach rein kaufmännischen Gesichtspunkten wären die griechischen Geschäftsbanken schon lange pleite. Dass Rettungsgelder von der EU auch immer mit unpopulären Auflagen einhergehen, konnten man dort auch schon vorher wissen. Die Bankenvorstände hätten an ihre Politiker appellieren müssen, Gegenmaßnahmen zu ergreifen.. Doch wie so oft, lässt man in Griechenland das Kind erst in den Brunnen fallen und dann präsentiert man der NOrd-EU- das ertrinkende Kind, an dem dann natürlich die NORD-EU schuld ist .
Hier übrigens Lesenswertes zur Mär. „Es wurden ja nur die Banken gerettet“
http://www.jjahnke.net/rundbr114.html#3338
DerDicke
23. Juli 2015 @ 15:07
Sie wollen um jeden Preis im Euro bleiben. Was soll man da noch sagen? Warum nehmen sie ihr Schicksal nicht selbst in die Hand? Mit dem Euro geht es immer weiter abwärts, ohne Euro gäbe es wenigstens Hoffnung auf langfristige Besserung.
Andreas Moser
23. Juli 2015 @ 08:26
Hatte Griechenland der Europäischen Bankenrichtlinie nicht schon vorher zugestimmt?
Und müssen europäische Richtlinien nicht sowieso in jedem Land umgesetzt werden?
Und ist die Beteiligung von Leuten, die mehr als 100.000 € bei einer (!) Bank auf dem Konto liegen haben, nicht fairer als die Bankenrettung durch (griechische oder italienische oder bulgarische) Steuerzahler?
ebo
23. Juli 2015 @ 08:49
Wie gesagt, es gab einen griechischen Bankenrettungsfonds mit eigens für solche Fälle bestimmte Mittel. Kurz nach Amtsantritt von Tsipras wurde er Griechenland entzogen. So viel zur Fairness
Peter Nemschak
23. Juli 2015 @ 09:45
Wer hat ihn entzogen? Wofür? Was ist mit dem Geld geschehen?
ebo
23. Juli 2015 @ 10:12
http://www.reuters.com/article/2015/02/17/eurozone-greece-efsf-idUSL5N0VR27B20150217
S.B.
23. Juli 2015 @ 10:22
@ebo: So viel zur Art und Weise wie die EU-„Partner“ miteinander umgehen.
BTW: Der Haircut kommt mit hundertprozentiger Sicherheit auch noch im Rest von EU- und Euro-Staaten. Denn allen steht das (Schulden-) Wasser bis zum Hals. Den Griechen nur am offensichtlichsten.
Ich frage mich allerdings, was der drohende Haircut überhaupt noch bringen soll. Die meisten Griechen werden ihren Bankrun schon erledigt haben. Die EZB stellt ja mit ihren ELA-Krediten sicher, dass auch weiterhin Geld abgehoben werden kann. Je länger dieser Zustand andauert, desto geringer sind die noch verbleibenden Guthaben. Die meisten Griechen haben sowieso keine nennenswerten Ersparnisse. Das wird dort nicht anders sein als in D. Die reichen und wohlhabenden Griechen wird ein Haircut dagegen gar nicht treffen. Die haben ihr Geld nicht bei GR-Banken deponiert. Ist ein Haircut unter diesen Bedingungen nicht nurmehr ein „formeller“ Akt?
Carlo
23. Juli 2015 @ 14:17
„Und ist die Beteiligung von Leuten, die mehr als 100.000 € bei einer (!) Bank auf dem Konto liegen haben, nicht fairer als die Bankenrettung durch (griechische oder italienische oder bulgarische) Steuerzahler?“
Allein die Fragestellung zeigt, dass das Geldsystem nicht verstanden wurde. Niemand hat 100.000 € auf dem Konto seiner Bank zu liegen. Das ist sachlich falsch. Wenn sie dort lägen, könnte er sie auch abholen und das könnten alle. Das können sie aber nicht, weil sie nicht dort sind und nie dort waren. Das einzige, was der Kontoinhaber hat, ist ein Kontoauszug. Alle Girokonten werden auf der Passivseite der Bankbilanz geführt, sind dementsprechend Bankschulden. Genau das wird durch den Kontoauszug angezeigt.
Wenn Bürger in Griechenland (das gilt überall auf der Welt, wo mit dem gleichen Schöpfungssystem Geld erzeugt wird ) nun ihr Geld abheben wollen, stehen die Banken vor dem Problem, dass sie ihre Schulden einlösen müssen. Das können sie nicht, weil die geforderten Summen als Bargeld (gesetzliches Zahlungsmittel) nie existiert haben.
Das ist der Knackpunkt. Banken schaffen keine Werte, sie schaffen Schulden.
Dresdner-Bank-Vorstand Ernst-Moritz Lipp sagte 1998: „Deutschland ist ein Supertanker, aber im Führerhäuschen sitzt nicht der Bundeskanzler, sondern da sitzen die Leute, die hier auf dem Podium sind!“ ( http://www.heise.de/tp/artikel/44/44622/1.html )
Ich denke, darüber sollte man sich mal Gedanken machen.