Klimapolitik als Fußnote – Parlament als Zuschauer
Wie war das noch gleich mit der “Klimawahl”? Vier Wochen später zeigt sich, wie es in der EU wirklich läuft. Erst stand Deutschland wochenlang auf der Bremse, nun degradiert Polen die Klimapolitik zur Fußnote. Was für eine Blamage!
Die 28 Staats- und Regierungschefs konnten sich bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel am Donnerstagabend nicht auf das angepeilte Ziel der Klimaneutralität bis 2050 einigen.
Polen und drei weitere osteuropäische Staaten verhinderten einen Beschluss. Das Ziel wurde schließlich in eine unverbindliche Fußnote verbannt.
“For a large majority of Member States, climate neutrality must be achieved by 2050.”
Council Conclusions, Fußnote 1 zu Artikel III, Punkt 4
Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sagte, westeuropäische Länder verbrauchten doppelt soviel Energie wie sein Land. Trotz der Abhängigkeit von der Kohle habe Polen die Klimaschutzziele des Kyoto-Protokolls von 1997 erfüllt.
Die Osteuropäer fordern nun Entlastungen oder finanzielle Entschädigungen. “Wenn wir nicht wissen, wie der Ausgleichsmechanismus aussieht, können wir nicht zustimmen”, begründete ein polnischer Diplomat die ablehnende Haltung seines Landes.
Umweltverbände und die Grünen zeigten sich enttäuscht. Es sei „eine Schande“, dass sich die EU nicht auf die Klimaneutralität bis 2050 einigen könne, sagte die grüne Spitzenkandidatin Ska Keller.
“Protecting business interests and power still seems to be more important”, heißt es in einer grünen Pressemitteilung. “We will continue to fight for concrete climate action in the negotiations in the European Parliament.”
Allerdings läuft es auch dort – im EU-Parlament – nicht wirklich rund (mehr dazu unten)…
Watchlist
- Wird das Eurozonen-Budget endgültig begraben – oder auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertagt? Darüber entscheidet am Freitag der so genannte Eurogipfel, an dem alle EU-Staaten teilnehmen dürfen, obwohl es nur um die Eurozone geht. Zuletzt hatte Deutschland das Projekt von Emmanuel Macron auf Linie gebracht; nun könnte die Hanseatische Liga, angeführt von den Niederlanden, die Reißleine ziehen… Mehr hier
Was fehlt
- Die Zuschauer im Europaparlament. In den vier Wochen seit der Europawahl haben es die Abgeordneten weder fertig gebracht, eine Mehrheit für den nächsten Kommissionschef zustande zu bringen – noch eine Koalitionsvereinbarung, die die etablierten Parteien großspurig angekündigt hatten. Beim EU-Gipfel am Donnerstag konnten sie nicht einmal eine gemeinsame Position zu den umstrittenen Spitzenkandidaten formulieren.
- Zwar erklärten Sozialdemokraten und Liberale, dass es keine Mehrheit für Manfred Weber gebe. Doch dann kehrten sie – zusammen mit den Grünen – zurück an den Verhandlungstisch. Wozu eigentlich? Um doch noch einen Koalitionsvertrag vorzulegen, heißt es. Er soll nun am Montag kommen, eine Woche später als geplant. Doch wozu soll er jetzt noch gut sein? Die EU-Chefs haben längst ihre eigene Agenda beschlossen…
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Peter Nemschak
23. Juni 2019 @ 20:36
@ebo die Verquickung nicht zusammenhängender Themen ist im politischen Prozess eine übliche Unart.
Peter Nemschak
21. Juni 2019 @ 11:38
Wer glaubt dass die Wahlen zum Europaparlament Walen mit europäischen Anliegen waren, ist naiv und blind. Es waren nationale Zwischenwahlen mit nationalen Agenden, die naturgemäß sehr unterschiedlich sind. Die wirtschaftlichen Interessen der Länder im Osten sind verschieden von denen im Westen. Selbst im Westen ist die Ausgangslage verschieden, denkt man an die Bedeutung der Atomkraft für die Energiegewinnung in Frankreich während Deutschland traditionell atomenergiefeindlich ist. Trotzdem werden in Brüssel Themen entschieden, die oft weitreichender als die nationalen sind. Die EU unterscheidet sich durch nichts von den Nationalstaaten, wo verschiedene Interessen aufeinanderprallen.
Alexander
21. Juni 2019 @ 10:57
Man soll ja auch nichts überstürzen …
https://www.sueddeutsche.de/wissen/kanada-permafrost-klimawandel-co2-1.4489525
(„Was in der Arktis derzeit passiert, die Seen, die sich dort bilden, wo der Boden eigentlich durchgefroren sein sollte, hatten die Klimaforscher vom UN Intergovernmental Panel on Climate Change IPCC erst für Ende des Jahrhunderts erwartet. Dass sie sich bereits jetzt bilden, übersteigt die schlimmsten Erwartungen der Wissenschaftler.“)
Peter Osten
21. Juni 2019 @ 08:23
Totalausfall im Parlament? Im Rat, würde ich sagen, das neugewählte Parlament tritt erstmals im Juli zusammen!
Rudi Ehm
21. Juni 2019 @ 08:09
Ich gratuliere mir täglich, dass ich an dieser Wahlfarce nicht teilgenommen habe. Das EU Parlament hat 100 Prozent Wählerstimmen bekommen und das Politbüro kann weiter machen.
Peter Nemschak
23. Juni 2019 @ 14:48
So gesehen sind nationale Wahlen keine geringere Farce als Wahlen zum EU-Parlament.
ebo
23. Juni 2019 @ 19:10
Wieso? Bei nationalen Wahlen braucht man keine doppelte Mehrheit, um Regierungschef zu werden. Zudem werden wohl nirgendwo wie in der #EU fünf Topjobs miteinander verquickt, was zwangsläufig zu Komplikationen führt
Kleopatra
21. Juni 2019 @ 07:45
Was soll die Aufregung? Es ging darum, ob man ein „anspruchsvolles Ziel“ formuliert; ohne auch nur eine Sekunde lang daran zu denken, ob das Ziel zu ereichen ist, und wenn ja wie und auf Koseten welcher anderer Ziele. Die „Klimapolitik“ scheint im Formulieren „anspruchsvoller“ oder „ehrgeiziger“ Ziele zu bestehen, ohne sich über deren Erreichbarkeit oder Maßnahmen zu ihrer Erreichung Gedanken zu machen. In gewisser Weise erinnert das an das Fünfjahrplan-Unwesen des Kommunismus, wo es auch einen politischen Druck gab, sich gegenseitig mit möglichst ehrgeizigen bzw. wahnwitzigen Zielen zu übertreffen. Dass die Polen dagegen waren, zeigt im Grund, dass sie nicht bereit waren, diese Komödie mitzuspielen. Dass Merkel innerhalb kurzer Zeit von Skepsis auf Unterstützung der Maximalformulierungen umgeschwenkt ist, zeigt auch, wie sehr es hier nur um diplomatische heiße Luft geht. Was sie sagt, ist ihr im Grund ohnehin egal, und es geht ja auch nur darum, dass es für die kritiklose Presse gut klingt.