Deutsch-französische Drohkulisse
Wie geht es weiter im Rechtsstaatsverfahren gegen Polen? Lange tat sich nichts, doch nun scheint Bewegung in die Sache zu kommen. Denn Deutschland und Frankreich machen gemeinsam Front.
Bei einem Ministertreffen in Brüssel stellten sich die deutsche und französische Regierung geschlossen hinter das Strafverfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags, das die EU-Kommission eingeleitet hatte.
Es sieht auch die so genannte Nuklearoption vor – also den Entzug des Stimmrechts bei Abstimmungen im Ministerrat. Allerdings wäre dafür Einstimmigkeit nötig, und Ungarn steht hinter Polen.
In Berlin und Brüssel denkt man deshalb bereits über “Plan B” nach. Demnach könnten EU-Hilfen künftig von der Einhaltung der Grundwerte wie Rechtsstaat und Demokratie abhängig gemacht werden.
Doch auch das müsste einstimmig beschlossen werden, Polen könnte ein EU-Budget mit dieser Konditionierung per Veto abblocken. Auch diese Drohung führt also nicht sehr weit.
Die EU hat keine guten Optionen. Man darf deshalb gespannt sein, wie das Europaparlament mit dem Streit umgeht – am Mittwoch ist eine Debatte, am Donnerstag eine Abstimmung geplant.
Derweil startet Warschau eine Charmeoffensive. Man sei zu Gesprächen bereit, heißt es neuerdings – doch auch das heißt nicht viel, denn die umstrittene Politisierung der polnischen Justiz ist längst vollzogen…
WATCHLIST!
EU-Chefunterhändler Barnier will heute den Entwurf eines Austrittsvertrags mit Großbritannien vorlegen. Es wäre die juristische Umsetzung der Vereinbarung zwischen London und Brüssel vom Dezember. Doch die wesentlichen Probleme sind noch immer ungelöst – und für London ist nichts vereinbart, so lange nicht alles vereinbart wurde.
WAS FEHLT?
- Aufklärung in der Causa Selmayr. Nun hat auch SPON berichtet – und neue Ungereimtheiten aufgedeckt. So soll EU-Kommissar Oettinger die umstrittene Beförderung doch abgenickt haben – hat Merkels Mann in Brüssel getrickst?
- EU-Begeisterung in Italien. Die Italiener sind “unzufrieden und desillusioniert”, behauptet eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Das heiße aber nicht, dass sie am “europäischen Projekt” zweifeln, wiegeln die Forscher ab.
- Eine klare Linie zu Bitcoin und anderen Kryptowährungen. “Die EU-Kommission möchte Kryptowährungen regulieren. Irgendwann. Vielleicht.” – schreibt Netzpolitik. Gut zusammengefasst.
Claus
28. Februar 2018 @ 08:29
„. . . umstrittene Politisierung der polnischen Justiz“ (?)
Ich habe ein Problem mit dem Adjektiv „umstritten“ in seiner journalistischen Zuordnung. Christopher Lauer, Blog „Über Medien“, schreibt dazu: „Umstritten“ hat klar eine negative Konnotation, es erzeugt ein Framing, das den Eindruck erweckt, dass hier etwas nicht stimmt. Dabei wertet „umstritten“, ohne zu erklären, worum es eigentlich geht.“
Kann mir jemand erklären, warum ich nicht in gleicher medialer Häufigkeit von der „umstrittenen EU“, vom „umstrittenen Kommissionspräsidenten Juncker“ oder von der „umstrittenen Kanzlerin Merkel“ höre oder lese? Da es auch dazu sehr verbreitete kontroverse Ansichten gibt, könnte es sein, dass etwas nur dann „umstritten“ zu sein hat, wenn es außerhalb des etablierten politisch-medialen Meinungskorridors liegt?
Auch der politische Einfluss auf die deutsche Justiz bis zum BVerfG Karlsruhe ist in Fachkreisen äußerst „umstritten“. Nur habe ich von einer „umstrittenen Politisierung der deutschen Justiz“ noch nichts gehört.
Peter Nemschak
28. Februar 2018 @ 10:28
Im Fall Polens ist der Verfassungsgrundsatz Rechtsstaatlichkeit bedroht. Dieser Grundsatz ist unabdingbar für ein liberales pluralistisches demokratisches System. Dass die EU oder Juncker “umstritten” sind, ist Teil der politischen Auseinandersetzung in genanntem System. Diese Art der Auseinandersetzung innerhalb des rechtsstaatlichen Systems ist legitim, das System als solches auszuhebeln nicht. Das würde in ein autoritäres System führen. Deshalb gibt es im deutschen Grundgesetz Bestimmungen, die unabänderbar sind und auch durch eine Volksabstimmung nicht geändert werden können.
ebo
28. Februar 2018 @ 10:50
@Claus Natürlich ist fast alles irgendwie umstritten. Ich nutze dieses Adjektiv hier für Tatbestände, die von der EU-Kommission und/oder dem Rat angefochten werden. Auch die Justiz-Reform in Polen trifft beides zu, und das seit Monaten.
Claus
28. Februar 2018 @ 12:00
@ebo: Wäre es demnach eine „aus Sicht der EU umstrittene Politisierung der polnischen Justiz“? Denn in der Regierung Polens, die hiermit der EU-Kommission gegenübersteht und über eine stärkere demokratische Legitimation verfügt als diese, ist sie nicht umstritten. Ich beende das Thema damit (;-))