Merkel-Vakuum? – Die EU führt längst ein Eigenleben

Das befürchtete “Merkel-Vakuum” ist ausgeblieben. In Brüssel geht die Arbeit weiter wie vor der Bundestagswahl, die EU führt längst ein Eigenleben. Doch die Energiekrise und der Streit mit Polen wird sich nicht ohne Deutschland lösen lassen.

(Teil 2 einer zweiteiligen Miniserie. Teil eins steht hier)

Der Rat, das Parlament und die Kommission in Brüssel sind vollauf mit sich selbst beschäftigt. Die Bundestagswahl hat daran nichts geändert, wie wir in Teil 1 dieser Miniserie beschrieben haben.

All das zeigt, dass die EU ein Eigenleben führt – sie läuft auch ohne das große und manchmal übermächtige Deutschland weiter. Selbst die Wahl in Berlin ändert nichts an der Brüsseler Agenda.

Der Souverän in Deutschland hat gesprochen? Kein Problem, schließlich haben sich die Deutschen ja für „Pro-Europäer“ entschieden. Es kann also alles weitergehen wie zuvor.

An dieser Verselbständigung sind freilich auch die deutschen Kandidaten schuld. Sie haben im Wahlkampf darauf verzichtet, die EU zum Thema zu machen und einen eigenen Kurs vorzugeben.

Dass es auch anders geht, hat Frankreichs Präsident Macron bei seiner Wahl 2017 gezeigt. Er stellte Europa und den Euro in den Mittelpunkt seines Wahlkampfs – und gewann. Diese Chance wurde in Berlin verspielt.

Heißt das nun, dass es letztlich gar keine Rolle spielt, wer der nächste Kanzler wird? Ist das Merkel-Vakuum nur eine Erfindung der Medien, die nach mehr (deutscher) „Führung“ rufen?

Nein, ganz so einfach ist es auch wieder nicht. Im normalen Brüsseler Alltag kann man durchaus ein paar Wochen auf die Deutschen verzichten. Die EU-Institutionen wissen sich schon selbst zu beschäftigen.

Aber wehe, es bricht eine Krise aus – dann rufen sofort wieder alle nach Deutschland. Denn Krisen verlangen nach Entscheidungen, und Entscheidungen kosten Geld. Beides ist ohne Deutschland nicht zu haben.

Hier liegt auch das Geheimnis der „Krisenmanagerin“ Merkel. Sie hat es verstanden, die Krisen immer genau so lange zu ignorieren, bis sie ihren Willen durchsetzen konnte.

Dummerweise führte das dazu, dass Probleme verschleppt und Kosten erhöht wurden – man denke nur an die Eurokrise.

Wieder Probleme ausgesessen

Auch zum Ende ihrer Amtszeit hat Merkel wieder einige Probleme ausgesessen. Der Streit um den Rechtsstaat in Ungarn und Polen, die transatlantischen Spannungen wegen Afghanistan und Australien und der Energiepreis-Schock bringen die EU in Zugzwang.

Man wüßte nur zu gern, wie Olaf Scholz oder Armin Laschet diese Probleme angehen wollen. Doch sie haben sich genauso wenig festgelegt wie Merkel. Die EU wird beim nächsten Gipfel Ende Oktober auf Deutschland warten müssen, wie immer.

Ansonsten gehen die Brüsseler Geschäfte weiter, als wenn es nie eine Wahl gegeben hätte. Selbst die Ampel oder Jamaika werden daran zunächst wenig ändern. ENDE

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