Kein Freibrief für Konzerne – Ein Rüffel für Facebook
Das umstrittene Freihandelsabkommen CETA verstößt nicht gegen EU-Recht. Allerdings stellt der Vertrag zwischen der EU und Kanada auch keinen Freibrief für Investoren dar, um Staaten zu Gesetzesänderungen zu zwingen.
Mit dieser Einschätzung hat der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH), Yves Bot, eine Klage Belgiens abgeschmettert – aber auch einige Leitplanken eingezogen.
Belgien hatte das Abkommen im Herbst 2016 nach wochenlangem erbitterten Widerstand vor allem aus der Region Wallonie gebilligt, allerdings gleichzeitig den EuGH angerufen.
Die Belgier wollten von den höchsten EU-Richtern in Luxemburg wissen, ob die in CETA enthaltenen Sonderrechte für Investoren und ein neuartiges Schiedsgericht (früher: ISDS) mit Unionsrecht vereinbar sind.
Kritiker befürchten, dass Unternehmen diesen neuen Mechanismus nutzen könnten, um einzelne EU-Staaten zu verklagen und unliebsame Gesetze zu verhindern oder nachträglich auszuhebeln.
Diese Sorge teilt der Generalanwalt jedoch nicht. Die EU habe „hinreichende“ Garantien für die Streitschlichtung gegeben, erklärte Bot.
Die Zuständigkeit des neuen Schiedsgerichts sei eng begrenzt und beziehe sich lediglich auf finanzielle Entschädigungen. Es sei jedoch nicht befugt, staatliche Regeln aufzuheben oder Änderungen anzuordnen.
Die Mitgliedstaaten könnten deshalb auch künftig Gesetze erlassen, “um legitime Ziele des Allgemeinwohls etwa im Bereich der öffentlichen Gesundheit, der Sicherheit, des Umwelt- oder des sozialen Schutzes zu erreichen“.
Sollte sich diese Rechtsauffassung durchsetzen, so wären schwerwiegende Eingriffe in die Umwelt- und Sozialgesetzgebung durch CETA wohl nicht mehr zu befürchten.
Jedenfalls könnten Konzerne das Schiedsgericht nicht als Hebel gegen die EU-Staaten nutzen. Ein endgültiges Urteil steht zwar noch aus. Doch in aller Regel übernimmt der EuGH die Einschätzung des Generalanwalts…
WATCHLIST:
- Das Europaparlament diskutiert am Mittwoch über den Brexit. Auch die EU-Kommission will Stellung beziehen. Sie könnte in die Defensive geraten, wenn das britische Unterhaus dem Wunsch von Premierministerin May folgt und Nachverhandlungen fordert. Denn bisher hieß es in Brüssel ja immer, man wolle wissen, was das Unterhaus fordert. Wenn die EU die Wünsche aus London ablehnt, droht ein harter Bruch – mit allen negativen Folgen!
WAS FEHLT:
- Der Rüffel der EU-Kommission an Facebook & Co. Die sozialen Netzwerke täten immer noch genug gegen “Fake News”, meint die Brüsseler Behörde. Mit Blick auf die Europawahl müsse politische Werbung besser gekennzeichnet werden. Der Clou: Der zuständige EU-Kommissar King kommt aus UK, also dem Land mit dem größten Fake-News-Ausstoß in der EU. Die Kampagne richtet sich aber gegen Russland – wie fast alle Initiativen zum “Schutz” der Bürger…
Kleopatra
30. Januar 2019 @ 10:33
Auch wenn der EuGH die Auffassung des Generalanwalts übernehmen sollte, ist damit nicht gesagt, dass auch das erst einzurichtende Schiedsgericht das ebenso sehen wird. Was also, wenn das Schiedsgericht das erste Urteil fällt, durch das es einen EU-Mitgliedstaat zur Änderung seines Rechts verpflichten will? Oder sollte der EuGH der EU auferlegen, CETA nur mit einem starken Vorbehalt zu dem Thema zu ratifizieren?
Peter Nemschak
30. Januar 2019 @ 09:03
Das britische Parlament hat sich de facto für einen harten BREXIT entschieden. Sonst würde es May nicht die Auflage erteilen, dass ein BREXIT ohne Vereinbarung mit der EU nicht akzeptabel ist. Unter diesen Bedingungen sollte May Neuwahlen ausrufen. Narren ist schwer zu helfen. Es zeigt sich wieder einmal, dass Nationalismus eine Kraft ist, welche das Denken der Menschen außer Kraft setzt. Das gilt generell überall und wird von Populisten bevorzugt bewirtschaftet. Wer über Menschen herrschen will, muss wissen wie sie ticken.
Kleopatra
30. Januar 2019 @ 10:39
Das britische Parlament hat, wenn auch mit knapper Mehrheit, erklärt, dass ihm an dem vorliegenden Vertragsentwurf vor allem die potentiell unbefristete Übergangslösung für Nordirland missfällt. Diese klare Aussage ist immerhin eine potentielle Verhandlungsgrundlage (um zu verhandeln, muss man nicht nur wissen, was man selbst will, sondern auch, was der andere will ). Leider dürfte das EP sich jetzt darauf versteifen, dass Großbritannien sich in der Frage zu unterwerfen habe, und diese Sturheit auch noch als hochmoralische Haltung glorifizieren. (Als ob nicht Irland durch EU-Recht verpflichtet wäre, die Frenze zu Großbritannien selbst zu kontrollieren, sobald es sich bei ihr um eine EU-Außengrenze handelt, sofern nichts anderes vereinbart wird).