Pfizergate: Gericht berät über Korruptionsvorwurf gegen von der Leyen
Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein Gericht über EU-Chefin von der Leyen verhandelt. Doch nun ist es so weit: Am Freitag befasst sich das „Tribunal de première instance“ in Lüttich mit ihrer Arbeit.
Es geht um den so genannten Pfizergate-Skandal – und um die Frage, wie es mit der juristischen Aufarbeitung weitergeht. Die Europäische Staatsanwaltschaft hatte im Oktober 2022 bestätigt, dass Ermittlungen eingeleitet wurden.
Sie drehen sich um den Verdacht, dass von der Leyen 1,8 Milliarden COVID-19-Impfdosen beim US-Pharmakonzern Pfizer bestellt hat. Nach einem Bericht der „New York Times“ soll sie den Deal bei Pfizer-Chef Alfred Bourla eingefädelt haben – per SMS von ihrem Handy.
Die Bestellung hatte einen (geschätzten) Rekord-Wert von 35 Milliarden Euro – noch nie hat die EU einen so großen Auftrag erteilt. Später stellte sich heraus, dass Pfizer einen zu hohen Preis verlangt hatte, und dass zu viele Impfdosen bestellt worden waren.
Details wurden nie offen gelegt, die Affäre wurde wie ein Staatsgeheimnis behandelt. Rügen der EU-Bürgerbeauftragten und des Europäischen Gerichtshofs blieben ergebnislos, auch die Klagen sind bisher im Sande verlaufen. Die Europäische Staatsanwaltschaft ermittle immer noch, hieß es.
Bewegung kam erst in die Sache, als der belgische Lobbyist Frédéric Baldan eine Klage in Lüttich einreichte. Er beschuldigt von der Leyen der „Anmaßung von Ämtern und Titeln“, der „Vernichtung öffentlicher Dokumente“ und der „unrechtmäßigen Bereicherung und Korruption“.
Noch kein Urteil zu erwarten
Mehrere Organisationen, Personen und sogar Staaten wie Ungarn und Polen haben sich der Klage angeschlossen. Bei der Verhandlung am Freitag ist allerdings noch kein Urteil zu erwarten. Das Gericht will zunächst klären, wer zuständig ist – die belgische Justiz oder die Europäische Staatsanwaltschaft.
Der zuständige Untersuchungsrichter Frédéric Frenay ist für seine Hartnäckigkeit bekannt. Ihm wird zugetraut, die Ermittlungen gegen von der Leyen energisch voranzutreiben – was vor dem Hintergrund der Europawahl am 9. Juni enormen politischen Sprengstoff birgt.
Schließlich bewirbt sich von der Leyen um eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin. Laufende Ermittlungen wegen Korruptionsverdacht wären damit wohl kaum zu vereinbaren. Die Karriere der CDU-Politikerin könnte bei einer Fortsetzung des Verfahrens abrupt enden….
Siehe auch „Von der Leyens fünf brisante Geheimnisse„
Kleopatra
18. Mai 2024 @ 08:07
Ich würde es für ausgesprochen problematisch halten, wenn die belgische Justiz sich für Verfehlungen der EU-Organe für zuständig hielte. Immerhin ist die EU eine internationale Organisation, die nur zufällig in Brüssel ihren Sitz hat. Das Problem ist allenfalls, dass es kein richtiges EU-Strafrecht gibt.
ebo
18. Mai 2024 @ 10:58
Das kann man so sehen, EPPO sieht es auch so. Allerdings war der Einkauf keine alleinige EU-Kompetenz. Er geschah im Namen der Mitgliedstaaten, also auch Belgiens. Einige Staaten wie Ungarn und Polen sehen sich geschädigt und klagen deshalb mit! Und in Belgien kann jeder, der sich geschädigt fühlt, selbst tätig werden…
Kleopatra
18. Mai 2024 @ 17:52
Dennoch wird man nachvollziehbarerweise argumentieren können, dass auch die ad hoc organisierte gemeinsame Impfstoffbeschaffung eine EU-Tätigkeit war (und wenn’s nur deshalb ist, weil es so schon in das Prinzip von der immer engeren Union passt). Ein Konflikt zwischen der belgischen und der EU-Justiz dürfte mit einem EuGH-Urteil, im Zweifelsfall auf der Grundlage des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union, enden. [„Den Beamten und sonstigen Bediensteten der Union stehen im Hoheitsgebiet jedes Mitgliedstaats … folgende Vorrechte und Befreiungen zu: a) Befreiung von der Gerichtsbarkeit bezüglich der von ihnen in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen…“ (Artikel 11 Buchstabe a)]
Stef
18. Mai 2024 @ 11:51
M.E. wäre es problematisch, wenn die Handlungen einer Kommissionpräsidentin im straf- und rechtsfreien Raum blieben.
Kleopatra
18. Mai 2024 @ 18:03
Es wäre aber auch ähnlich problematisch, wenn für die strafrechtliche Beurteilung der Amtsführung von EU-Amtsträgern das Land zuständig wäre, wo die Institution zufällig ihren Sitz hat (sollen etwa Beamte mit Dienstsitz in Luxemburg dienstlich anderen Strafvorschriften unterliegen als ihre Kollegen mit Dienstsitz Brüssel?). Und nach rechtsstaatlichen Prinzipien ist eine Bestrafung nur möglich, wenn die Strafandrohung bereits vor der Tat bestanden hat. Was sagt hier das EU-Recht?
Das Problem sehe ich natürlich auch. Nur wie gesagt – für eine Bestrafung genügt es nicht, dass man eine Vorgehensweise empörend oder unmoralisch findet. Sie muss auch strafbar sein, und zwar im anwendbaren Rechtssystem.
Arthur Dent
17. Mai 2024 @ 23:51
35 Milliarden zur Vermeidung der Pandemie ist vermutlich der kleinere Skandal, der größere mit 700 Mrd. für die Beseitigung der Folgeschäden