Karlsruhe stoppt Gesetz zum EU-Corona-Hilfsfonds
Eklat in Karlsruhe: Das Bundesverfassungsgericht hat das Gesetz zum EU–Corona-Hilfsfonds vorläufig gestoppt. Der Bundespräsident darf es nicht unterschreiben – dabei wartet die EU dringend auf grünes Licht aus Berlin.
Es geht um den sog. Eigenmittelbeschluß. Er ermächtigt die EU-Kommission, für den neuen Corona-Wiederaufbaufonds bis zu 750 Milliarden Euro frische Schulden am Kapitalmarkt aufzunehmen.
Als Sicherheit gelten die Eigenmittel, die die EU von den Mitgliedsstaaten bekommt. Damit der Aufbaufonds starten kann, müssen alle 27 EU-Staaten zustimmen. Bundestag und Bundesrat hatten den Weg gerade erst frei gemacht.
Das Bundesverfassungsgericht hat nun einen sogenannten Hängebeschluss erlassen, der es dem Bundespräsidenten vorläufig verbietet, das Gesetz zu unterzeichnen. Zuvor hatte ein Bündnis um den früheren AfD-Chef Bernd Lucke eine Verfassungsbeschwerde eingereicht.
Die Verzögerung ist ein herber Rückschlag für Kanzlerin Merkel, die den Corona-Fonds gemeinsam mit Frankreich Macron vorgeschlagen hatte.
Macron hatte beim EU-Gipfel am Donnerstag zu Eile gemahnt. Wenn die Finanzhilfen aus dem Corona-Fonds nicht bald kämen, müsse man über eine neue Finanzspritze nachdenken.
Dies lehnt Merkel jedoch ab. Derweil drücken auch die EZB und viele Ökonomen aufs Tempo. Durch die Lockdowns gegen die dritte Welle rutscht Europa immer tiefer in die Krise.
Nun droht die EU endgültig den Anschluß zu den USA zu verlieren, die bereits Hilfen in Billionenhöhe freigegeben haben…
european
29. März 2021 @ 15:23
„Obwohl die Verträge eine wechselseitige Haftung für Staatsschulden zwischen den Mitgliedstaaten mit den schärfsten Formulierungen ausschließen, hat man dennoch z.B. die Gläubiger Griechenlands zu einem großen Teil befriedigt anstatt sie, wie es nach den Verträgen hätte sein müssen, in die Röhre schauen zu lassen.“
Das hat man deshalb nicht gemacht, weil damit das deutsche und französische Bankensystem in sich zusammengefallen wäre wie ein Kartenhaus. Das waren nämlich die Gläubiger. Sowohl Nikolas Sarkozy als auch Angela Merkel hätten eigentlich nochmal vor die Parlamente treten müssen, um ein Bankenrettungspaket in etwa der gleichen Höhe wie das erste durchzupeitschen. Das wollte man nicht und so nutzte man Griechenland mehr oder weniger als Katalysator, als Schleusentor für die zweite Bankenrettung. Der Bürger wurde in der Zwischenzeit damit beschäftigt, auf die Südländer zu schimpfen und alten Rassismus zu bemühen. Die Griechen wurden weder gerettet, noch haben sie etwas von diesem Geld gesehen. Es ging überwiegend um deutsche und französische Banken – und auch noch einige britische, aber in deutlich geringerem Umfang.
Ist immer blöd und manchmal kommt es auch hochnäsig rüber, im Internet Bücher zu empfehlen, alla lesen Sie mal dies oder das. Das ist nicht meine Absicht. Leider ist es oft die einzige Lösung, weil in den üblichen Medien wirklich oft der ökonomische Sachverstand fehlt und schlimmer Unsinn verbreitet wird. Manche Dinge muss man dann wirklich selber nachlesen, wenn man denn an der Wahrheit und den Zusammenhängen interessiert ist. Varoufakis hat in seinem Buch „Die ganze Geschichte“ auch nahezu tagebuchmäßig aufgeschrieben, wie das Griechenland-Desaster seinen Lauf genommen hat und was das in dem Land angerichtet hat. Man hat wider besseren Wissens diese Rosskur durchgeführt, nur um seine eigene politische Haut zu retten. Angefangen von Lagarde bis zu Wolfgang Schäuble. Schäuble wollte noch Griechenland aus dem Euro drängen, aber da hat Merkel ihn dann zurückgepfiffen. Das wollte sie dann doch nicht auf ihrem Nachlass stehen haben.
Liest sich wie ein Krimi. Von Langeweile keine Spur, aber es handelt von real existierenden Menschen, von zerstörten Existenzen, Lebensbiographien und Familien, steigenden Selbstmordraten, zerstörten Strukturen und Gesundheitssystemen, menschlichen Tragödien wie Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, fehlender medizinischer Versorgung. Zur gleichen Zeit bemühten deutsche Ökonomen wie Hüther die Mär von den „Hallodris im Süden“, die das Geld der Deutschen verjubeln.
Hoch anzurechnen ist Varoufakis, dass er trotzdem darauf hinweist, dass er davon überzeugt ist, dass alle geglaubt haben, das Richtige zu tun. Im Gegensatz zu ihm bin ich da nicht sicher. Es gibt eine etwa einstündige Doku über Wolfgang Schäuble auf youtube. Darin äußert er sich über Varoufakis in etwa so: Da kommt da so ein Popstar auf dem Motorrad und hält mir eine Privatvorlesung über Makroökonomie. Naja, habe ich gedacht. Wann bekommst du so etwas schon mal zu sehen?
Er hätte besser mal zugehört, denn Varoufakis hatte ihm exakt vorgerechnet, was da passieren wird, wenn man so verfährt, wie man dann auch verfahren ist. Aber wer sind wir denn, dass wir auf andere hören würden?
Kleopatra
29. März 2021 @ 08:07
Die Frage ist, was im Innen- und was im Außenverhältnis gilt. Die EU-Staaten haben wohl untereinander vereinbart, dass jeder Mitgliedstaat nur einen bestimmten Anteil zurückzahlen muss (Innenverhältnis); wenn er aber nicht will oder kann, kann der Gläubiger sich an den anderen Mitgliedstaaten schadlos halten (Außenverhältnis). Wäre dem nicht so und müsste im Zweifelsfall niemand für den prozentualen Anteil der ärmeren Staaten einspringen, würde niemand solche Anleihen kaufen wollen. Entsprechendes hat sich in der Finanzkrise gezeigt: Obwohl die Verträge eine wechselseitige Haftung für Staatsschulden zwischen den Mitgliedstaaten mit den schärfsten Formulierungen ausschließen, hat man dennoch z.B. die Gläubiger Griechenlands zu einem großen Teil befriedigt anstatt sie, wie es nach den Verträgen hätte sein müssen, in die Röhre schauen zu lassen. Damit wurde demonstriert, dass Versprechungen, dass es nie zu solchen Haftungen für andere Staaten kommen würde, nichts wert sind. Warum sollte es bei dem 750-Milliarden-Fonds anders ablaufen als in der Finanzkrise?
Aber auch unter der Annahme, dass Deutschland letztlich nur den entsprechenden Anteil zahlt, ist das Vorgehen zumindest angreifbar; denn es bedeutet, dass eine der demokratischen Kontrolle durch die deutsche Volksvertretung nicht unterliegende Behörde ermächtigt wird, einen ungeheuren Betrag zu Lasten der deutschen Steuerzahler auszugeben. Es handelt sich schon um eine Selbstentmachtung der deutschen Verfassungsorgane in einem nicht irrelevanten Umfang. (Gleiches gilt natürlich entsprechend aus der Sicht jedes anderen Mitgliedstaats). Man kann das zwar gut finden; aber innerhalb Deutschlands streitet man sich über Machtverschiebungen zwischen Bund und Ländern erbittert, und über eine Machtverschiebung zugunsten der EU-Zentrale kann man jedenfalls verschiedene Anzischten haben.
ebo
29. März 2021 @ 10:55
Es gibt keinen (einzigen) Gläubiger, der sich an (einzelnen) Mitgliedsstaaten schadlos halten könnte. Es wird nur EU-Anleihen geben, die von der EU-Kommission im Namen der EU bedient werden. Und da der Schuldendienst über 30 Jahre laufen soll, dürfte das kein Problem sein. Richtig ist aber, dass die Machtverschiebung zugunsten der EU-Kommission problematisch ist. Eine demokratische kontrolle findet nicht statt, da auch das Europaparlament nur eine Nebenrolle spielt. Hier sehe ich das Hauptproblem – neben den fehlenden Eigenmitteln.
Burkhart Braunbehrens
27. März 2021 @ 10:23
Deutschland ist der größte Bremser der EU und in der EU. Ein mutiges Konzept für die Erneuerung und Befähigung der EU ist nötig, doch es fehlen die Akteure. Die Attraktivität der EU hat wegen des Durchmarsches der neoliberalen Zielsetzungen und der Fokussierung auf diese neoliberalen Ziele schwer verloren. Denn der Bezug auf die Bürgerinteressen, der Schutz und Respekt für die regionalen Besonderheiten ist vernachlässigt. Die Bürokratie ist nur der Ausdruck für die fehlende Verantwortungsbereitschaft der Akteure und die Korruption, siehe jetzt Europarat, wird endemisch. Die EU ist dabei, sich abzuschaffen. Die Halbherzigkeit rächt sich jetzt in der Wehrlosigkeit gegenüber rechtsnationalistischen Figuren wie Prof. Lucke.
european
29. März 2021 @ 13:34
Dem kann man nur zustimmen. Ich bin auch davon überzeugt, dass wir weitaus besser durch die Krise gekommen wären, wenn wir bereits 2017 auf Macron gehört hätten, der ja nicht müde wurde, die Souveränität Europas endlich auf die Tagesordnung zu bringen, einschl. gemeinsamer Wirtschafts- und Finanzministerien. Vieles an Koordinieurungsleistungen, die man in der jetzigen Krise so nötig gebraucht hätte, hätte man damit schon auf den Weg bringen können.
Aber die EU ist für Deutschland nur ein Markt, auf dem sie absahnen können. Für unsere pseudomoralischen Werte haben wir das Standard-Feindbild Russland und ansonsten sind uns auch die Menschenrechte egal.
Dieses Europa bedeutet uns sehr viel und je länger wir aus Deutschland heraus sind, umso mehr fällt uns auf, was da alles schief läuft. Heißt nicht, dass andere Länder nichts falsch machen, aber die spielen sich wenigstens nicht so auf.
Aktuell merkt man wohl auch in Deutschland, wie dysfunktional das Land geworden ist. Nichts funktioniert richtig. Sind die Novemberhilfen ausgezahlt? Wohlweislich hat man das Jahr nicht dazu genannt, in dem die Auszahlung erfolgen sollte. 9000 Pflegekräfte haben in der Krise ihren Job quittiert. Unterbezahlt, überfordert, der Wirtschaft geopfert. Wer soll es denn diesmal richten? Noch mehr unterbezahlte Osteuropäer?
Christa Schumacher
27. März 2021 @ 09:52
Eher hat Herr Macron mit Zustimmung von Frau Merkel diese Corona-Hilfe vorgeschlagen, die die EU-Kommission ermächtigt, für den neuen Corona-Wiederaufbaufonds bis zu 750 Milliarden Euro frische Schulden am Kapitalmarkt aufzunehmen. Schulden, für die die EU gemeinsam haftet, für die auch der deutsche Steuerzahler haftet. Immer wieder hat Frau Merkel versichert, es gibt keine Schulden-Union, Nun doch! Corona macht’s möglich! Es gab und gibt genügend Möglichkeiten, Solidarität mit besonders betroffenen Ländern zu zeigen und das tut Deutschland auch verantwortungsvoll, Muss dafür jetzt auch noch mehr die finanzielle Autonomie des Landes aufgegeben werden, ist das wirklich notwendig? Müssen wir wirklich unsere Kinder, Enkel und Urenkel mit einem solchen Schuldenberg belasten? Geht das überhaupt? Gut, dass das Bundesverfassungsgericht dieser Frage nachgeht!
ebo
27. März 2021 @ 10:13
Nein, die EU haftet NICHT gemeinsam. Jeder Staat haftet nur für den Anteil, den er am EU-Budget bzw. an den Eigenmitteln hat. Das ist der Unterschied zu Gemeinschaftsanleihen oder Eurobonds. Allerdings ist umstritten, ob das EU-Recht diesen „Trick“ erlaubt. Darüber wird Karlsruhe entscheiden müssen…
european
29. März 2021 @ 12:54
Auch Eurobonds hätte man so gestalten können, dass jedes Land nur anteilig haftet. Technisch wäre das möglich gewesen. Aber soweit ist man ja nicht mal gekommen. Man hat ja nicht einmal zugelassen, dass es nach der Finanzkrise eine saubere Debatte darüber gibt, was für eine Krise es war. Es war nämlich keine Staatsschuldenkrise, wie nachher behauptet. Und gerade Deutschland’s Finanzkrise hatte nichts mit Lehman zu tun. Die Zockergang der deutschen Banken hatten ihr eigenes Grab geschaufelt. Sehr schön und fast minutiös nachzulesen in „Crash“ von Adam Tooze.
Es liegt an der Hybris und Selbstüberschätzung insbesondere deutscher Ökonomen und Politiker, die daraus ein völlig unsachliches Geschrei über angebliche Schuldenberge veranstalten. Ein kleiner Gernegroß versucht sich gerade als Sand im Getriebe.
Gestern war im Spiegel zu lesen, dass die Deutschen in der Coronakrise mal eben 1,7 Billionen Euro zusätzlich (!!!) auf die Bank getragen haben. Geld, dass der Wirtschaft bzw. dem Wirtschaftskreislauf fehlt. Bei dem Schuld-und Sühne-Geschwafel muss man sich jetzt fragen, wer denn dieses Geld aufnimmt und etwas damit macht? DIE Wirtschaft? Die hat man durch konsequente Steuererleichterung, Steuerparadiese und Lohnsenkungen schon vor der Krise zum Nettosparer gepamptert. Die zeigen wenig Interesse und schreien trotz Milliarden-Dividenden nach Staatshilfen. Die Privathaushalte? Die haben den Berg auf den Bankkonten gerade geschaffen. Der Staat? Oh Gottohgott. Schulden, Schulden, Schulden.
Bleibt nur das Ausland, insbesondere die Länder, die wir durch exorbitante Überschüsse ins Defizit getrieben haben. Auf denen prügeln wir dann herum, weil sie angeblich nicht sparen können. Wir haben keine Bildungslücken mehr, sondern einen bildungstechnischen Komplettausfall.
Ich habe mich schon oft gefragt, wie es unsere europäischen Nachbarn eigentlich mit uns Deutschen aushalten können. Ich finde oft unerträglich, was da an Selbstgerechtigkeit, Selbstüberschätzung, Hybris und auch an ökonomischem Unsinn über die Grenzen schwappt. Dieser Tage habe ich ernsthaft gedacht, dass die EU neu gegründet werden sollte. Diesmal ohne Deutschland – und einige mehr. Dann gäbe es wieder Zollschranken, eine drastische Aufwertung der deutschen Währung mit der damit verbundenen Arbeitslosigkeit und viele, viele andere Nachteile. Aber dann hätten die anderen endlich Ruhe von den notorischen Besserwissern und Selbstüberschätzern nördlicher der Alpen.
ebo
29. März 2021 @ 13:26
Tja, die Nachbarn sind nun mal von Deutschland abhängig. Sie können nur so lange betteln und flehen, bis die deutsche Regierung sie erhöhrt – siehe Macron und Merkel beim Corona-Fonds. Es hat drei Jahre gedauert…