Kalter oder heißer Krieg, neoliberaler oder grüner Freihandel – und Leyens Berater

Die Watchlist EUropa vom 1. Juli 2022 –

Die USA hätten kein Interesse daran, dass der Krieg in der Ukraine endet, sagte der Politikwissenschaftler Hacke neulich bei „Maischberger„. Das war schon shocking. Doch nun kommt der nächste Schock: Die EU offenbar auch nicht mehr. Beim Gipfelmarathon in Brüssel, Elmau und Madrid hat kein einziger EU-Vertreter gefordert, dass ein Waffenstillstand her müsse oder eine Verhandlung oder gar ein Frieden.

Kanzler Scholz und Präsident Macron haben es nicht einmal gewagt, den massiven Aufmarsch von Nato-Truppen an der Ostfront – pardon: Ostflanke – infrage zu stellen. Eine neue Eingreiftruppe mit 300.000 Mann wurde einfach so abgenickt.

Widerstand? Keiner! Eigene Ideen? Fehlanzeige! Da ist nichts mehr, und da kommt auch nichts mehr. Wer sich in diesen Tagen in Brüssel mit EU-Politikern unterhält, begreift schnell, dass man nicht einmal über Alternativen nachdenkt.

Der schwächelnde US-Präsident Biden hat es tatsächlich geschafft, die noch schwächere EU auf Linie zu bringen und den Krieg zum neuen Sinnstifter von EU, G-7 und Nato zu machen. Man richtet sich in den Kampf ein und erklärt Russland zum Feind, mit China als Bösewicht im Wartestand.

„European War Project“

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Die ehemalige „Friedensunion“ ist zum „European War Projekt“ mutiert, wie einer der Vordenker dieser neokonservativen Politik, M. Leonard, schreibt. Der Direktor des außenpolitischen Thinktanks ECFR findet das gut, er fordert noch mehr.

Wenn man Zar Putin jetzt nicht Einhalt gebiete, dann werde er auch die EU und die Nato angreifen – so lautet das neue Narrativ. Also bringt man die Nato in Stellung und tut alles, damit die Ukraine „siegen“ möge – oder wenigstens „nicht verliert“.

Doch wird es beim Kalten Krieg bleiben – oder wird ein „heißer“ daraus? Undenkbar ist das nicht mehr. Man denke nur an die Krise um Kaliningrad – dort droht eine militärische Konfrontation, auch wenn jetzt von einem Kompromiß die Rede ist.

Medwedews Warnung

Auch die EU-Sanktionen können einen Krieg auslösen. Im 2. Weltkrieg ist Japan in den Krieg eingetreten, nachdem es von Sanktionen stranguliert wurde. Nun warnt der stellv. Vorsitzende des russischen Sicherheitsrates, Medwedew, vor einer Eskalation.

„Ich möchte darauf hinweisen, dass solche feindseligen Maßnahmen unter bestimmten Umständen auch als ein Akt internationaler Aggression gewertet werden können. Und sogar als Casus Belli“, sagte er. Russland habe das Recht, sich zu verteidigen.

Derweil warnt Außenminister Lawrow vor einem neuen „Eisernen Vorhang“, den der Westen gegen Russland errichte. Hört ihm eigentlich noch jemand zu? Oder schlafwandeln wir in die nächste Krise, betört von unseren eigenen Versprechen?

Siehe auch „Der Westen weckt falsche Erwartungen“

P.S. Auch die massive Aufrüstung der Ukraine durch die Nato stellt ein Risiko dar. Das Land bekommt nun 600 tanks, 500 artillery systems, 600 000 shells, 140 000 anti-tank weapons, wie Biden nach dem Nato-Gipfel bekannt gab. Das kann man wohl kaum noch „defensiv“ nennen…

Watchlist

Bisher waren Freihandelsabkommen dem neoliberalen Matra verpflichtet, doch können sie auch grün sein? Das soll der neue Deal mit Neuseeland zeigen, der am Donnerstag besiegelt wurde. Das Abkommen soll bei zahlreichen Produkten die gegenseitigen Zölle abschaffen – das ist der neoliberale Teil. Es soll aber auch Strafen vorsehen, sollte eine Seite gegen Umweltauflagen oder bestimmte Arbeitsmindeststandards verstoßen – das wäre der grüne Aspekt. Ob das funktioniert, muß sich aber erst noch zeigen.

Was fehlt

Die Rüge für von der Leyens Berater. Der Europäische Rechnungshof hat vor einer Abhängigkeit der EU-Kommission von externen Beratern gewarnt. „Gewisse Aufgaben auszulagern, kann nützlich und mitunter notwendig sein“, erklärte Rechnungshof-Prüfer Cazala. Die Kommission vergibt jährlich Aufträge für etwa eine Milliarde Euro an Beratungsunternehmen. Problematisch sei, dass sie sich auf zu wenige Anbieter konzentriere, heißt es in dem Bericht. Auch die Transparenz lässt zu wünschen übrig.