Kallas’ Vermächtnis: Russisch wird diskriminiert
Sie soll die nächste EU-Außenbeauftragte werden. Nun hat K. Kallas ihren Job in Estland aufgegeben – und ein denkwürdiges Vermächtnis hinterlassen.
Noch unter Kallas’ Ägide hat Estland Ende 2022 einen Übergang zu Estnisch als alleiniger Unterrichtssprache an den Schulen beschlossen, der mit dem neuen Schuljahr 2024/25 beginnen soll.
Ihr Nachfolger Kristen Michal macht nun Nägel mit Köpfen: Russisch wird diskriminiert und aus dem Unterricht verbannt. Dies geht aus einem nun bekannt gewordenen Gesetzentwurf hervor.
Demnach müssen Lehrer künftig die Landessprache Estnisch mindestens auf dem Niveau C1 (Fachkundige Sprachkenntnisse) beherrschen. Gleiches gilt für die Leitungen von Schulen und anderen Bildungseinrichtungen.
Für Aushilfslehrkräfte wie auch in Kindergärten wird Estnisch auf Niveau B2 (Selbstständige Sprachverwendung) verpflichtend.
Von den 1,2 Millionen Einwohnern in Estland ist gut ein Viertel russisch. Sie müssen dann sehen, wie sie durchkommen.
Offizielle Begründung: Russisch sei ein Sicherheitsrisiko. Und das nennt sich dann “liberale” Politik…
Siehe auch “Ist Kallas die gefährlichste Politikerin der EU?”
P.S. Laut Europäischer Menschenrechtskonvention ist Estland übrigens an das Diskriminierungsverbot gebunden. Dazu gehört auch der Schutz der Sprache!
Monika
26. Juli 2024 @ 13:53
…Von den mit diesen Diskriminierungen verbundenen Verstössen gegen EU-Recht, EU-Werte und ähnlich nutzloses Zeugs, will ich lieber gar nicht erst anfangen. Das interessiert sowieso niemanden von den Verantwortlichen…
Genau da läge aber die PFLICHT des europ. Rats, der Kommission, ja jedes einzelnen Mitgliedslands NICHT wegzusehen! Genau an diese Pflicht müssten Jurakundige erinnern, bzw. Handeln einklagen! Statt scharfer Rüge und Intervention stellt man noch eine deutsche Panzerbrigade dauerhaft in die Nachbarschaft. Auch dies klar gegen internationale Verträge verstoßend!
Von “Sicherheit auf Kosten anderer” herstellen ganz zu schweigen.
Michael Conrad
26. Juli 2024 @ 12:05
Hier geht es um den schleichenden Prozess einer ethnischen Säuberung. Die russische Bevölkerung soll sich entweder bis zur Selbstaufgabe assimilieren oder nach Russland ziehen.
Kleopatra
26. Juli 2024 @ 10:15
Der Vertrag, auf den sich Ihr Verweis im obenstehenden Artikel bezieht, ist nicht die Menschenrechtskonvention, sondern das Rahmenübereinkommen des Europarats über den Schutz nationaler Minderheiten. Dieses stellt es den Staaten in gewissem Umfang frei, wen sie einer nationalen Minderheit zurechnen wollen, und es ist überhaupt eher eine der vielen freiwilligen Selbstverpflichtungen, aus denen nicht wie bei der Menschenrechtskonvention harte, einklagbare Individualrechte abgeleitet werden können. (Zudem sind wie bei der Minderheitensprachencharta nicht alle EU-Mitgliedstaaten Vertragsparteien).
Das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Sprache (Menschenrechtskonvention) ist nur dann einschlägig, wenn für die unterschiedliche Behandlung keine sachlichen Gründe vorliegen (die Forderung an Lehrer, dass sie die Sprache der überwiegenden Mehrheit des Landesbewohner und zudem Staatssprache beherrschen sollen, ist sachlich ohne weiteres zu rechtfertigen); außerdem sind nicht russische Muttersprachler als solche ausgeschlossen, sondern Personen ohne Estnischkenntnisse, und die letzteren kann ein Lehramtsbewerber erwerben.
Um ein Beispiel in geografischer Nähe zu Ihrem beruflichen Sitz anzuführen: In luxemburgischen Kindergärten müssen alle Kinder Französisch und Luxemburgisch lernen. Was folgt daraus für Bewerber(inn)en um Stellen in Kindergärten in Luxemburg?
ebo
26. Juli 2024 @ 10:29
Warum rechtfertigen Sie die offensichtliche Diskriminierung der russischen Minderheit? Haben Sie irgendwelche besonderen Interessen in Estland, wollen Sie Kallas vor Kritik abschirmen?
Kleopatra
26. Juli 2024 @ 10:45
Als Sprachwissenschaftler habe ich für Leute, die aus immigrierten Familien kommen oder selbst immigriert sind und sich jahrzehntelang weigern, die Sprache ihrer neuen Heimat zu lernen, nicht das geringste Verständnis. Russen in Estland und Lettland benehmen sich wie Angehörige eines Kolonialstaates, die sich noch Jahrzehnte nach der Entkolonialisierung zu fein sind, die Sprache der “Eingeborenen” zu lernen.
ebo
26. Juli 2024 @ 12:02
Es geht hier nicht um Immigranten.
Kleopatra
26. Juli 2024 @ 10:51
Und vor allem ist die Forderung, dass Lehrer die Staatssprache auf hohem Niveau beherrschen müssen, sachlich gut begründbar und stellt schon deshalb keine Diskriminierung dar.
ebo
26. Juli 2024 @ 12:04
Sie dürfen nicht wählen. Sie dürfen keine Beamten, Polizisten und Armeeoffiziere werden und auch viele andere Berufe im öffentlichen Dienst nicht ausüben. Bei der Rentenberechnung werden sie benachteiligt. Arbeiten im Ausland geht nur mit großem bürokratischen Aufwand und auch Reisen sind deutlich erschwert.
Was sich nach Apartheid anhört, ist in zwei EU-Mitgliedstaaten für etwa 330.000 Menschen Alltag – für die sogenannten Nichtbürger in Lettland und Estland: jene ehemaligen Sowjetbürger und ihre Kinder, die nach der Unabhängigkeit der baltischen Staaten 1991 einen Sonderstatus erhielten und später in einem aufwendigen Einbürgerungsverfahren “naturalisiert” werden sollten. Eigentlich sollte die Nichtbürger-Regelung nur vorübergehend gelten. Doch inzwischen hat sie sich zu einem Dauerprovisorium entwickelt – trotz wiederholter Mahnungen der EU, die Diskriminierung endlich zu beenden.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/estland-und-lettland-das-problem-mit-der-russischen-minderheit-a-1169422.html
exKK
26. Juli 2024 @ 11:22
Nach allem, was “Kleopatra” hier schon über Russen geäussert hat, folgere ich, dass für “Kleopatra” die Diskriminierung von Russen die einzige akzeptable Form des Umgangs mit Menschen dieser Herkunft zu sein scheint…
Ulla
26. Juli 2024 @ 14:01
@ Kleopatra
„Ein Programm der mehrsprachigen Erziehung wird in allen Betreuungsstrukturen, die Dienstleister des Chèque-service-Systems sind, für Kinder von 1 bis 4 Jahren angeboten. Die Kleinkinder kommen in Kontakt mit der luxemburgischen und französischen Sprache, und zwar auf eine spielerische Art und Weise, die ihrem Alter und ihrem Rhythmus angepasst ist. Die Sprachen werden zwanglos in den Alltag integriert: beim Essen, bei den Spaziergängen, bei den Spielen, den Reimen usw.“
Die Muttersprachen der Kinder werden ebenfalls unterstützt.
https://men.public.lu/de/systeme-educatif/langues-ecole-luxembourgeoise.html#:~:text=In%20der%20Krippe&text=Die%20Kleinkinder%20kommen%20in%20Kontakt,den%20Spielen%2C%20den%20Reimen%20usw.
Zwischen „muessen lernen“ und „spielerisch lernen“ besteht ein Unterschied, auch wenn Sie den nicht wahr haben wollen.
Schlechtes Beispiel uebrigens!
Karl
26. Juli 2024 @ 10:10
In den besseren Jahren der EU, als sie noch jung, demokratisch und frisch war, gab es sogar Überlegungen, wegen der baltischen Beitrittsstaaten und ihrer russischen Minderheiten, das Russische zu einer Amtssprache der EU zu machen.
Damit hätte die EU auch kulturell weit nach Russland hineingewirkt (während der damaligen Transformation). Das wäre etwas gewesen. Nicht auszudenken! Am Ende wäre sogar die NATO-Osterweiterung überflüssig geworden …
Kleopatra
26. Juli 2024 @ 11:52
@Karl: Ich habe von diesen Überlegungen auch gerüchteweise gehört (und davon, dass ein EU-Beamter sich mit diesem Vorschlag in Lettland sehr unbeliebt gemacht haben soll). Allerdings wäre natürlich Russisch allenfalls als zusätzliche Amtssprache in Frage gekommen (also nicht statt Estnisch, Lettisch, Litauisch, sondern zusätzlich zu diesen); das hätte bedeutet, dass für drei neue Mitgliedstaaten gleich vier neue Amtssprachen hinzugekommen wären. Hierfür dürfte keine Bereitschaft der anderen Mitgliedstaaten vorgelegen haben, dies zu finanzieren. Auch hätte eine Amtssprache Russisch natürlich von den neu beitretenden Staaten im Rahmen der Beitrittsverhandlungen gefordert werden müssen. Nach den jahrzehntelangen Demütigungen durch die russisch dominierte Sowjetunion waren sie dazu natürlich nicht motiviert.
Um die Jahrtausendwende war, nebenbei gesagt, die EU nicht jung, sondern auch schon vierzig Jahre alt.
Skyjumper
26. Juli 2024 @ 16:02
„ Um die Jahrtausendwende war, nebenbei gesagt, die EU nicht jung, sondern auch schon vierzig Jahre alt.“
Schlicht falsch. Formal, worauf Sie ja gemeinhin so gerne abstellen, wurde die EU 1992 mit dem Maastrich-Verrag gegründet. In der heutigen Ausprägung mit seinen extrem gesteigerten Überstaatlichen Zuständigkeiten sogar erst mit dem Vertrag von Lissabon 2007.
Und es wäre, rückblickend, besser gewesen bei den verschiedenen EG‘s von vor 1992 zu bleiben.
Monika
26. Juli 2024 @ 13:57
Lieber Karl, die NATO-Osterweiterung war genuin ja nicht europäisches Programm! Insofern hätte auch, aus “geopolitischen Rücksichtnahmen” heraus, Russisch nie europäische Amtssprache werden dürfen, Nordstream 2 lässt herzlich grüßen…
Kleopatra
26. Juli 2024 @ 09:12
Was hier gefordert wird, betrifft Lehrkräfte und nicht die große Masse. Dass von einem Lehrer die Beherrschung der Staatssprache auf hohem Niveau verlangt wird, ist selbstverständlich, und die Anforderungen an Kindergartenpersonal sind auch nicht überzogen.
Dafür spricht auch, dass Lehrer ohne ausgezeichnete Estnischkenntnisse nur in einem getrennten russischsprachigen Zweig des Bildungswesens eingesetzt werden könnten. Ihre impliziten Forderung (von Lehrern keine Estnischkenntnisse zu verlangen) laufen also darauf hinaus, dass auf die Dauer eine Teilung des Schulwesens in national-ethnische Zweige perpetuiert wird.
Würden Sie in Deutschland fordern, dass z.B. türkische Lehrer ohne Deutschkenntnisse eingestellt werden sollen? Würden Sie Ihre Kinder in einen Kindergarten schicken, wo die Erzieherinnen nicht in der Lage sind, sich mit Kindern auf Deutsch zu verständigen? (Das bedeutet es nämlich, wenn sie nicht einmal über Niveau B2 verfügen).
Sprachkenntnisse sind nicht angeboren, sondern können erworben werden (man nennt das „Lernen“). Im Fall der Russen in den baltischen Staaten liegt häufig der Fall vor, dass sie sich weigern, die Landessprache zu lernen oder Kenntnisse nachzuweisen. Das ist dann ihre Entscheidung.
ebo
26. Juli 2024 @ 09:56
Es geht hier um Sprachpolitik, um das Russische zurückzudrängen und am Ende ganz auszuschalten. Beginnt bekanntlich in der Schule.
Karl
26. Juli 2024 @ 10:01
Was Sie schreiben ist reine Polemik auf Kosten der Kinder ohne irgendeine Kenntnis des Landes. Mich erinnert Ihre Stellungnahme an die Schulschließungen während der Corona-Maßnahmen. Ich habe selbst ein Schulkind, welches trotz 2 Jahren Schulausfall – die bewirkten lebenslange Handicaps – soeben seine Prüfungen bestanden hat. Ich kenne die Situation in Lettland und Estland, weil ich dort während meines Studiums öfters über viele Wochen vor Ort war, auch in den Wohnsiedlungen der “einfachen Leute”, um die es hier geht.
Heute bin ich selber Lesepate an 2 Berliner Grundschulen – und finde Ihren Beitrag unglaublich schädlich und arrogant.
Kleopatra
26. Juli 2024 @ 10:33
@Karl: Sie können Bewerber um Lehrerstellen nicht mit “einfachen Leuten” gleichstellen. Und um mich zu wiederholen: Warum sollte der estnische Staat Lehramtsbewerber einstellen, die von vornherein nur in einem ethnisch abgesonderten Bereich des Schulwesens eingesetzt werden können? Und was das Interesse von Kindern betrifft: Ist ihnen mit Unterricht in der Landessprache besser gedient oder damit, dass man diese von ihnen in der Schulzeit möglichst fernhält?
Helmut Höft
26. Juli 2024 @ 02:14
Aufpassen! Nicht dass da am Ende noch ein Gewerkschaftshaus in Estland abbrennt! https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/2014-odessa-42-tote-buergerkreig-brand-ukraine-russland-un-europarat-ermittlungen-emrk
Skyjumper
25. Juli 2024 @ 18:01
Was wohl passieren würde, wenn – was natürlich nicht passieren wird – 300.000 russischstämmige Menschen Estland verlassen würden?
Mit der Wirtschaft? Mit Dienstleistungen aller Arten? Den Steuereinnahmen? Das wäre wohl der 1. failed state in der EU.
Wahrscheinlicher allerdings ist, dass die Repressionen so lange angezogen werden bis 300.000 Einwohner Estlands anfangen richtig Randale zu machen. Aber das estnische Militär hat beeindruckende 6.500 Mann/Frau/Sonstiges – da wird man es wohl locker mit einen 20-30.000 Personen starken Mob aufnehmen können – der “zufällig” und plötzlich über Waffen verfügt.
So richtig beschweren dürfte sich die estnische Regierung darüber nicht. Von den mit diesen Diskriminierungen verbundenen Verstössen gegen EU-Recht, EU-Werte und ähnlich nutzloses Zeugs, will ich lieber gar nicht erst anfangen. Das interessiert sowieso niemanden von den Verantwortlichen.
Michael
25. Juli 2024 @ 17:37
Mit Diskriminierung, Restriktionen und Repressalien von Seiten Kiews gegen die russischen Ethnien in der Ostukraine fing es an! Heute will man sich in der Ukraine an nichts erinnern und beschwert sich über die Konsequenzen! Und der sog. Westen glaubt‘s!
Monika
25. Juli 2024 @ 15:34
wie ist diese Gesetzgebung Estlands mit dem EU-Recht vereinbar? Müssen dort nicht Minderheitssprachen, und 25% ist ja wohl eine beachtlich große Minderheit, angemessen Berücksichtigung finden?
Das Ganze als nationales Sicherheitsrisiko darzustellen mag vordergründig bauernschlau sein, langfristig aber ein wird die Saat von Widerstand damit erst in fruchtbare Erde gelegt, bzw. konserviert.
Warum kommt dazu kein Wort der EU-Komission oder des Rats??
Oder fällt das unter EU-rechtliche „Empfehlungen“ und dort unter die 32% „kümmert uns nicht weiter“?
exKK
25. Juli 2024 @ 23:05
Das gehört sicher zu den 32% Rechtstaatlichkeit, die nicht beachtet werden und unter den Tisch fallen dürfen 😉
Kleopatra
26. Juli 2024 @ 09:19
Die “Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen” ist ein Rechtsinstrument des Europarates, nicht der EU, und es sind ihr bei weitem nicht alle EU-Mitgliedstaaten beigetreten. Nicht nur Estland ist nicht beigetreten, sondern auch z.B. Belgiern, und Frankreich hat sie nicht ratifiziert, weil sie mit der frz. Verfassung nicht vereinbar ist.
Auch wenn ein Staat ihr beitritt, kann er immer noch selbst auswählen, welche Sprachen er als geschützte Minderheitensprachen deklariert. Immigrantensprachen (etwa Türkisch in Deutschland) gehören von vornherein nicht zu den Sprachen, auf die die Charta abzielt.
ebo
26. Juli 2024 @ 09:55
In Estland ist die Europäische Menschenrechtskonvention, auf die ich mich beziehe, am 16. April 1996 in Kraft getreten. Sie enthält ein Diskriminierungsverbot (Art. 14). Es bezieht ausdrücklich die Sprache mit ein.