“Italien wird das Programm nicht nutzen”
Kalte Dusche für Kanzlerin Merkel und Finanzminister Scholz: Italien will was schöne neue Corona-“Rettungspaket” nicht nutzen, jedenfalls nicht für Kredite aus dem ESM. Dies sagte Regierungschef Conte. Ökonomen geben ihm recht.
Conte erklärte, er betrachte das Hilfspaket vom Donnerstag als ersten Schritt in Richtung einer gemeinsamen europäischen Verantwortung. Es enthalte neue Gedanken.
Die Nutzung des Euro-Rettungsschirms ESM dagegen nannte er “völlig unpassend” für die aktuelle Notlage. Italien brauche den ESM nicht und wolle ihn nicht nutzen, sagte Conte.
Das ist keine Überraschung. Denn Conte und viele andere EU-Chefs, darunter auch Ex-Kommissionspräsident Juncker, bestehen weiter auf der Forderung nach Coronabonds mit gemeinsamer Haftung.
Gegen den ESM sprechen zudem ökonomische Gründe, die in Deutschland gern verschwiegen werden. Die angeblich so großzügigen Hilfen, die Merkel und Scholz bereitstellen wollen, sind nämlich nur Kredite.
Wer ESM-Hilfen in Anspruch nimmt, muss sie mit Zinsen und Zinseszinsen zurückzahlen und erhöht seine eigene Schuldenlast.
Für Italien dürfte dies wenig attraktiv sein – schon jetzt liegt die Schuldenquote mit 130 Prozent der Wirtschaftsleistung bedenklich hoch.
Auch Spanien wird kaum begeistert sein. Schließlich hat das Land in der Eurokrise schon einmal ein ESM-Programm in Anspruch genommen – ein neuer Antrag käme einem Offenbarungseid gleich.
„Italien und Spanien werden das ESM-Programm nicht nutzen“, gibt sich Maria Demertzis vom Brüsseler Thinktank Bruegel sicher. Der ESM sei nicht das richtige Instrument, um in der aktuellen Krise zu helfen.
Auch Bruegel-Direktor Guntram Wolff sieht das Luxemburger Institut eher als Notnagel. Viel wichtiger sei die Europäische Zentralbank, die ein Corona-Sonderprogramm aufgelegt hat und massiv Staatsanleihen ankauft.
Mit anderen Worten: Italien wird von der EZB geschützt – mit den gerade in Deutschland so unbeliebten Anleihekäufen. Der ESM wird deshalb gar nicht gebraucht, das deutsch inspirierte “Rettungspaket” ist eine Mogelpackung…
Siehe auch “Die EU zögert, die EZB handelt” und “Warum das Rettungspaket ein Päckchen ist”
Werner Bläser
14. April 2020 @ 15:01
Also der ESM vergibt nur Kredite, die zurückgezahlt werden müssen. Das ist natürlich inakzeptabel für Italien. Nur mal eine Frage am Rande: bisher dachte man, “Bonds”, also Anleihen, müssen AUCH zurückgezahlt werden. Das sei geradezu die Natur eines Bonds.
Der Ausdruck “Leihe” impliziert dies eigentlich schon. Wenn Italien seine Eurobonds bekommt, will es die dann NICHT zurückzahlen? Also eine schöne Neu-Erfindung: Nicht-rückzahlbare Kredite?
ebo
14. April 2020 @ 16:07
Richtig, Anleihen werden auch zurückgezahlt. Aber zum einen sind die Konditionen für Italien günstiger, wenn es sich zusammen mit Deutschland und 17 weiteren Euroländern an den Markt begibt. Zum anderen ist immer die Frage, wer die Anleihen kauft. Wenn es die EZB ist, dann sieht die Sache sehr entspannt aus. Wenn es Italiener sind, auch – dann leiht sich der italienische Staat bei seinen eigenen Bürgern das Geld. Und wenn alle Europäer Coronabonds kaufen, dann sitzen eben alle in einem Boot. Dann können sie sehr lange Fristen für die Rückzahlungen vereinbaren, ähnlich wie früher bei Kriegsanleihen 😉
Fidas
13. April 2020 @ 10:25
Es wäre an der Zeit die Folgen der fehlenden Produktivitäts- und Inflationsanpassung (1,9 %) EU-weit zu quantifizieren. Es ergäbe sich so ein Maß für die Umverteilung des sich ergebenden Überschusses auf die Defizitländer. Eine Umverteilung der Überschüsse auf Grund von Übernahme von übermäßigen gemeinsamen EU-Verteidigungsaufgaben durch einzelne EU-Länder sollte ebenfalls quantifiziert werden. Griechenland und Zypern verteidigen die EU-Außen Grenze zur Türkei seit deren EU-Beitritt . Die Waffenimporte dazu allein schon aus Deutschland und Frankreich hatten gewaltige Defizite/Überschüsse zur Folge.
European
13. April 2020 @ 10:44
@Fidas
Für’s erste wäre das ein guter Vorschlag.
Danach müssen die Regeln geändert werden. So kann es nicht weitergehen.
Fidas
13. April 2020 @ 14:59
Was Griechenland betrifft haben wir es mit einem Paradoxon zu tun was die Anpassung an die Produktivitätssteigerung betrifft : Trotz gleichbleibender bzw. fallender Produktivität stiegen die Gehälter ( öffentlicher Sektor ! ) vor dem Ausbruch der Krise unaufhaltsam !
ebo
13. April 2020 @ 15:14
Wir wollen jetzt aber keine Griechenland-vor-der-Krise-Debatte, bitte. Es geht um Italien-nach-der Krise 🙂
European
12. April 2020 @ 15:26
@Claus Hiller
Sehr aufschlussreich dazu ist dieses Interview mit dem damaligen Wirtschaftsweisen Peter Bofinger “Warum Deutschland kein Vorbild ist”
https://www.fr.de/wirtschaft/deutschland-kein-vorbild-11030436.html
Er beschreibt darin, wie die successive Lohnzurückhaltung über Jahrzehnte zu einem enormen Lohnabstand gegenüber unseren europäischen Nachbarn geführt hat und wie der deutsche Staat davon profitiert hat. Hinzu kommen die – seiner Meinung nach unnötigen – Hartzgesetze und der Niedriglohnsektor.
Deutschland lebt unter seinen Verhältnissen und müsste sein Lohnniveau um ca. 30% anheben, um dorthin zu kommen wo es lt Maastrichtkriterien sein müsste. Die Forderung, jedes Jahr eine Inflationsrate von 1.9% zu haben stammt von Deutschland und wurde gerade von uns nie eingehalten, sondern konsequent unterboten. Das einzige Land, das sich geradezu mustergültig daran gehalten hat, ist Frankreich.
Die untere Hälfte der Deutschen hat nicht vom Boom des letzten Jahrzehnts profitiert. Profitiert haben die Unternehmen, die Milliardengewinne eingestrichen haben und mittlerweile zu Nettosparern geworden sind. Und profitiert hat der Staat, weil die Steuereinnahmen gesprudelt sind. Verloren haben auch die europäischen Nachbarn, ganz vorn Frankreich und Italien, denn es gibt ein Defizitverfahren bei 3% aber kein Überschussverfahren. Wenn aber ein Land in einem Binnenmarkt wie die Eurozone regelmäßig fast 9% Überschüsse macht, muss es in diesem Binnenmarkt mindestens 3 Defizitländer geben, damit die Bilanzen ausgeglichen sind.
Es muss also auch ein Überschussverfahren geben, wogegen sich die Deutschen wehren. Es würde aber auch dafür sorgen, dass unsere Nachbarn ihre Einnahmen erhöhen und Deutschland mehr in seine tote Binnenwirtschaft investieren muss. Wenn Deutschland seine Löhne anpasst, führt das zu mehr Importen, wir kaufen also unseren Nachbarn ihre Produkte ab. Sie haben Einnahmen und können auch ihre Schulden bedienen. Durch Sparen geht das nämlich nicht.
Im Moment leben wir nach der Devise: Wir verkaufen ganz viel, aber wir kaufen nichts ab.
Joschka Fischer und Sigmar Gabriel dazu im Handelsblatt:
https://www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/gastkommentar-europa-steht-in-der-coronakrise-vor-seiner-historischen-bewaehrungsprobe/25716108.html
“Man muss eigentlich nur die Grundrechenarten kennen, um zu wissen, dass ein Land wie Deutschland, das weit mehr an Gütern und Dienstleistungen nach Europa exportiert (oder: ausführt) als es von dort importiert (oder: einführt), offenbar auch mehr Geld ins Land bekommt als es in anderen Länder ausgibt. Anders wird man kein Exporteuropaund Weltmeister.”
und weiter:
“Die Wahrheit ist: Unser Land ist der größte wirtschaftliche und finanzielle Gewinner Europas. Sogar an der Finanzkrise Griechenlands haben wir Geld verdient. Das alles wissen unsere Nachbar- und Mitgliedsstaaten in der Europäischen Union. Und deshalb schauen Sie jetzt – zu Recht – darauf, was Deutschland tut, um einen Teil seines durch Europa erworbenen Wohlstands nun für dieses Europa einzusetzen”
Gleiches gilt für Verschuldung. Wir machen keine Schulden mehr. Eine völlig absurde Geschichte gegen unser Geldsystem. Alle sparen, keiner will sich verschulden. Man kann aber nur sparen, wenn sich jemand verschuldet. Jeder Kleinstsparer kann nur sparen, weil die Bank sich bei ihm in gleicher Höhe verschulden muss. Sie müssen es annehmen. Zwei Seiten derselben Medaille. Die Summe aller Schulden und Guthaben weltweit ist immer Null. Zu jedem Sparer/Anleger gibt es einen Schuldner und umgekehrt.
In Deutschland sparen alle: Privatpersonen, Haushalte, Staat – und das Ausland übernimmt den hässlichen Verschuldungspart, den wir nicht wollen. Ist aber weder ein Modell für einen Binnenmarkt, noch für die Welt. Es geht so nicht.
http://acemaxx-analytics-dispinar.blogspot.com/2016/10/um-wieviel-verschuldet-sich-die-welt.html
Wir haben da ein ganz perfides System entwickelt. Das Ausland wird sich das nur bedingt gefallen lassen.
RAJA RAJAMANI
13. April 2020 @ 18:28
Greece is not healthy. It has 181% debt to gdp. Huge unemployment. All young people have left for Germany leaving pensioners and migrants. Pensions cut. Migrants subsidized. It is a mess.
Fritz - Ulrich Hein
12. April 2020 @ 10:07
Als warnendes Beispiel dient wohl Griechenland, mit derem ESM Deutschland sich gesund saniert hat.
Claus Hiller
12. April 2020 @ 09:09
Wie las Herr Steinmeier gestern im Regierungs-TV so schön staatstragend vom Teleprompter ab?
„30 Jahre nach der Deutschen Einheit, 75 Jahre nach dem Ende des Krieges sind wir Deutsche zur Solidarität in Europa nicht nur aufgerufen – wir sind dazu verpflichtet.“
Linkes Fazit: Krieg verloren, Einheit geschenkt bekommen = VERPFLICHTUNG Deutschlands, für jedes erdenkliche Ungemach auf ewig zu haften und irgendwann zu zahlen. Und Solidarität = Eurobonds = Coronabonds, was ja auch irgendwie wohltätiger klingt.
Verstanden? Nun seid doch nicht so zickig!
European
12. April 2020 @ 09:50
Deutschland zahlt nicht. Das Land ist mit Abstand der größte Profiteuer.
Viele Deutsche hingegen zahlen. Sie zahlen mit zu niedrigen Löhnen und schlechterer Lebensqualität als sie haben müssten. Daran sind aber nicht die anderen schuld. Dafür müssen Sie die deutsche Regierung verantwortlich machen.
Claus Hiller
12. April 2020 @ 14:28
@European: Hhmm, wenn Deutschland „mit Abstand der größte Profiteur“ ist, aber „viele Deutsche hingegen zahlen“, und es sich hier wohl um die Mehrheit der Deutschen handelt, worin besteht dann aus Ihrer Sicht der „mit Abstand größte Profit“? Wer hat ihn vereinnahmt? Und wer hat etwas davon? Spielt da nicht auch der für Deutschland eklatant unterbewertete Euro eine Rolle, den sich Deutschland als Preis der „Deutschen Einheit“ (Steinmeier) hat überstülpen lassen, und der zu erheblichen Ungleichgewichten und dem Hochjubeln Deutschlands als vermeintlichen EU-Profiteur geführt hat?
Im Übrigen stimme ich Ihnen zu, dass dies alles irgendetwas mit Regierungspolitik zu tun hat.
Zwackel
11. April 2020 @ 20:18
Gegen den ESM sprechen zudem ökonomische Gründe, die in Deutschland gern verschwiegen werden. Die angeblich so großzügigen Hilfen, die Merkel und Scholz bereitstellen wollen, sind nämlich nur Kredite….
Ja möchte der Autor denn gerne sein Vermögen zur Verfügung stellen, grosszügig, also ohne Zinsen oder Rückzahlung? Falls dem so ist vermute ich schwer, dass er keines hat — und anregen möchte, dass andere dies grosszügig zu tun haben…
Ist Ihnen nicht klar, dass Italien pro Kopf fast 100% mehr Vermögen hat als Deutschland?
Oder dass Kurzarbeitergeld in Frankreich 70% vom BRUTTO ausmachen – und nicht 60% vom Netto wie in D, dass deshalb der Schrei der Südländer nach „gemeinsamer Finanzierung des Kurzarbeitergelds“ nichts anderes ist als unverschämt?
Solange Südländer früher in Rente gehen, mehr %Renten bekommen, dito Kurzarbeiter oder Arbeitslosengeld – aber weniger arbeiten ist eine „Vergemeinschaftung der Sozialkosten“ weder moralisch noch sonst wie gerechtfertigt oder vermittelbar!
ebo
11. April 2020 @ 20:23
Es gab keinen Schrei nach gemeinsamer Finanzierung descKurzarbeitergelds. Die Idee stammt von von der Leyen, bzw. von ihren deutschen Einflüsterern. Da das Kurzarbeitergeld in vielen Ländern bereits gezahlt wird und tatsächlich höher ist als in Deutschland, ist nicht zu erwarten, dass das SURE Programm viel bringen wird. Genauso wenig wie das ESM-Programm. Am Ende bleibt nur die EIB, aber die hatten wir auch schon bisher.
Übrigens werden alle drei zuständigen Institutionen – EU-Kommission, ESM und EIB – von Deutschen geführt. Insofern sind manche Sorgen unbegründet 🙂
European
11. April 2020 @ 20:39
Zuende gedacht heißt Ihre Lösung: Erst, wenn alle gleich arm sind, dann geht es uns allen gut.
Funktioniert nicht.
Nicht die Europäer machen es falsch. Die deutsche Politik des Sparens und der Enteignung der Bürger ist falsch. Die deutschen Löhne müssen rauf, angepasst an die Produktivität. Dann können sich die Deutschen auch etwas leisten, z.b. eine kleine Eigentumswohnung als Altersvorsorge, Vermögensaufbau etc.
Dann steigen auch die Importe, d.h. wir kaufen unseren Nachbarn ihre Produkte ab und damit erhöhen wir deren Einnahmen. Und wir erreichen eine ausgeglichene Handelsbilanz
UMA RAJAMANI
11. April 2020 @ 23:16
Why are German wages so low that majority of them rent and do not own houses like the Italians and Greeks? Germany had an advantage of currency when it switched from the DM to the euro and has made lots of money off it. Was it not shared with the people?
Holly01
13. April 2020 @ 08:51
@ Uma Rajamani:
The german people don´t know anything about the reasons.
There is no discussion.
The laws are clear, the majority has to be poor und the income money is becoming less and less.
Thats our system.
13 Mio. germans have no work to own enough money to have a good life.
40% (about 32 Mio.) is not able to buy a new fridge without new debt.
Germany is a very rich country, but germans are very poor.
Thats it.
Germans don´t know how and why. So, they are not able to buy houses or such stuff.
Hope you get the message ^^
Holly01
11. April 2020 @ 21:51
@ Zwackel:
da haben Sie einen wichtigen Punkt. Ja wirklich.
NIEMAND muss auch nur einen Cent an irgend ein EU Land geben. Niemand DARF auch nur einen Cent an irgend ein EU lang geben MÜSSEN.
Wir haben nämlich die EZB.
DIE kann beliebig viele Euronen schöpfen und verteilen.
Den “Südländern” vorzuwerfen, das sie sich nicht durch abgekarterte Aktionen von Arbeitgebern und Gewerkschaften haben betrügen lassen und das die keinen Schröder hatten, der ohne Lynchmord die deutschen renten an die Investoren verkauft hat, ist (verziehen Sie das harte Wort) dumm.
Nicht die Südländer müssen ihr Sozialsystem schleifen, wir müssen unser verbessern.
Und das Deutsche keine Vermögen haben (also die Masse) liegt an eben diesem deutschen System, das Sie hier so verteidigen.
Sie sind extrem schlecht informiert mein Bester.
vlg
RAJA RAJAMANI
11. April 2020 @ 23:14
Can Germany also not have surpluses against USA and China, which are not in the EZ. Not all surpluses are internal transfers.
Holly01
12. April 2020 @ 07:24
Yes, Germany can have surpluses against USA and China. To trade between countries ist a good thing.
But if one country is an export champion, all other are feeding a monster.
The material things are gone after a time, but the debt ist for ever and ever.
I hope my bad english will do 🙂
Peter Nemschak
11. April 2020 @ 15:54
Spanien und Italien wollen die Coronakrise zum Anlass nehmen eine Transferunion zu ihren Gunsten zu erzwingen. Das ist verständlich, genauso verständlich der Widerstand jener zu deren Lasten der Transfer erfolgt. Selbst wenn die Eurozone auseinanderbrechen sollte, wäre das nicht das Ende der EU. Etliche EU-Staaten haben bereits jetzt eigene Währungen.
ebo
11. April 2020 @ 16:26
Es sind nicht nur Italien und Spanien. Insgesamt haben sich neun Euroländer für Coronabonds ausgesprochen, darunter Irland, Belgien und Luxemburg. Die Neinsager sind in der Defensive.
European
11. April 2020 @ 18:59
Naja,
die Eurozone ist im Moment eine groß angelegte Transferzone zugunsten der Überschussländer. Wenn man fast 9% Überschüsse hat in einem Binnenmarkt, muss es mindestens 3 Defizitländer geben.
Es muss auch Überschussverfahren geben, damit die Defizitländer auch Einnahmen bekommen, um ihre Staatsausgaben zu decken. Durch Sparen geht das nämlich nicht.