Liebe “Tagesschau”, hier sind die Sparvorgaben für Italien
Die Debatte über den Brückensturz von Genua nimmt absurde Züge an. Italiens Innenminister Salvini gibt der EU eine Mitschuld, obwohl er nicht einmal die Ursache des Unglücks kennt. Budgetkommissar Oettinger hält dagegen und zählt die EU-Hilfen für Italien auf.
Den Vogel schießt jedoch die Tagesschau” ab: “Sparvorgaben aus Brüssel gibt es nicht”, behauptet sie kurz und bündig. Doch, es gibt sie, und man kann sie sogar nachlesen.
Im Rahmen des “Europäischen Semesters” zur Budgetplanung veröffentlicht die EU-Kommission nämlich einmal im Jahr ihre “länderspezifischen Empfehlungen”. Das steht in der Vorgabe für 2018:
(9) Am 11. Juli 2017 empfahl der Rat Italien sicherzustellen, dass die gesamtstaatlichen Nettoprimärausgaben im Jahr 2018 um mindestens 0,2 % (nominal) zurückgehen, was einer jährlichen strukturellen Anpassung von 0,6% des BIP entspricht.
EMPFIEHLT, dass Italien 2018 und 2019 sicherstellt, dass die nominale Wachstumsrate der gesamtstaatlichen Nettoprimärausgaben im Jahr 2019 0,1 % nicht überschreitet, was einer jährlichen strukturellen Anpassung von 0,6 % des BIP entspricht.
Die Empfehlung lautet also, im laufenden und im kommenden Jahr 0,6 Prozent der Wirtschaftsleistung im Budget einzusparen. Ähnliche Sparvorgaben gab es auch im letzten Jahr, und im vorletzten, usw usf.
Das heißt nicht, das Brüssel Rom vorschreibt, an der Wartung von Straßen und Brücken zu sparen. Es heißt aber, dass es sehr wohl Sparvorgaben gibt. Und diese haben zum Rückgang von öffentlichen Investitionen geführt – nicht nur in Italien.
Wer es nicht glaubt, sollte die Kolumne von Th. Fricke auf SPON nachlesen. Euroland hat sich kaputtgespart – übrigens auf deutschen Befehl. Die Schuldenbremse und der Fiskalpakt von Frau Merkel lassen grüßen…
Siehe auch “Genua, Brüssel und der deutsche Sparkurs”
Peter Nemschak
21. August 2018 @ 21:53
@Soltau Wenn Sie näher hinschauen, werden Sie sehen, dass nicht nur die Privaten sondern auch der italienische Staat versagt haben. Worauf gründen Sie Ihre Staatsgläubigkeit? Private Unternehmen haben ein Interesse Gewinn zu machen, Staatsbeamte um 17 Uhr nach Hause zu gehen – nicht alle, aber sehr viele. Der Staat muss dafür sorgen, dass die Verlustrisiken so verteilt sind, dass die Akteure einen Anreiz haben gute Leistung zu erbringen, widrigenfalls sie ihre materielle Existenz riskieren.
Solveig Weise
20. August 2018 @ 12:41
Zwei Worte, zwei unterschiedliche Bedeutungen. “Empfehlung” vs. “Vorgabe”.
Ich bin weit davon entfernt ein peinliches Propagandaformat wie die Tagesschau zu verteidigen aber eine Empfehlung ist eben einfach keine Vorgabe. Simple as that.
Ach, der liebe Th. Fricke auf SPON…..dessen Unsinn wird auch nicht dadurch richtig, dass er ihn in Dauerscheife wiederholt. Der Vorteil für diesen Hobby-Volkswirt liegt allerdings darin, dass er seit 5 Jahren die immer gleichen Artikel veröffentlichen kann ohne sich auch einmal neue Gedanken machen zu müssen. Halt, Irland erwähnt er mittlerweile nicht mehr, da er die Entwicklung dort nicht in sein krudes Bild vom “Kaputtsparen” pressen kann.
Claus
18. August 2018 @ 16:12
Statt „Sparvorgaben aus Brüssel gibt es nicht“ hätte die Tagesschau schreiben können: Sparvorgaben aus Brüssel für die privat betriebenen italienischen Autobahnen gibt es nicht“, dann hätte es wohl gestimmt.
Man kann sich nun fragen, ob es sich hier um eine journalistische Nachlässigkeit oder um eine regierungsnahe politische Botschaft für Tagesschaumenschen handelte, das wäre dann auch nichts Neues. Deshalb soll es ja zunehmend Menschen geben, die die Tagesschau erst gegen Ende zum Wetterbericht einschalten, weil der noch als halbwegs authentisch angesehen wird.
Peter Nemschak
18. August 2018 @ 15:06
@ebo Dass Italien zu wenig investiert und zuviel konsumiert, liegt nicht an den allgemeinen Budgetrestriktionen der Eurozone sondern an den politischen Fehlentscheidungen diverser italienischer Regierungen; Beispiel: waren das jahrelange Subventionieren der Alitalia und anderer maroder Staatsbetriebe sowie das Durchfüttern kaputter Banken eine gute wirtschaftspolitische Entscheidung oder hätte der italienische Staat das Geld produktiver investieren können? All das hat mit der EU nichts zu tun, sondern mit dem korrupten italienischen politischen System, an dem sich seit der Machtübernahme der Populisten nichts geändert hat. Die italienischen Wähler sollen sich gefälligst bei ihrer eigenen Nase nehmen.
ebo
18. August 2018 @ 15:39
@Nemschak Sie wollen doch wohl nicht Ex-EU-Kommissar Monti und seinen EU-treuen Nachfolgern Letta und Renzi vorwerfen, sie hätten alles falsch gemacht? Seit 2011 will Italien nach EU-Vorgaben regiert, nachdem Berlusconi von EZB-Draghi und Merkel zum Rücktritt gedrängt worden war…
Peter Nemschak
18. August 2018 @ 20:46
Italien ist derzeit unregierbar. Warum wollte Renzi eine Verfassungsreform ? Antwort: um notwendige unpopuläre Reformen durchzuziehen. Monti, Letta und Renzi hatten nicht die institutionellen Voraussetzungen, um liberale Reformen durchzusetzen. Daher steht Italien schlecht da. Unrentable Betriebe auf Teufel komm raus zu erhalten, kann man nicht als Zukunftsinvestition bezeichnen. Diese Erfahrung hat Österreich Anfang der 1980-iger Jahre gemacht und seine Verstaatlichte Industrie privatisiert. Sie arbeitet heute mit Gewinn und sicheren Arbeitsplätzen. Die EU für das Fehlen von liberalen Reformen in Italien verantwortlich zu machen, geht ins Leere und ist fast obszön, egal ob diese Obszönität von links oder rechts kommt. Die EU tut gut daran, die Kritik von den politischen Rändern zu ignorieren.
Georg Soltau
19. August 2018 @ 14:01
@Nemschak …liberale Reformen = Privatisierung, dass soll helfen?…. tut es aber nicht! … siehe Einsturz der Morandi-Brücke in Genua…wird privat betrieben von Atlantia/Benetton. Was muss noch passieren bis erkannt wird, dass der Neoliberalismus so nicht funktioniert.
Oudejans
18. August 2018 @ 11:28
>>”Euroland hat sich kaputtgespart – übrigens auf deutschen Befehl.”
Muß nächste Woche in die Oudejanslande, irgendwo in NRW über den Rhein. Drücken Sie mir den Daumen.
Peter Nemschak
18. August 2018 @ 13:36
Wenn schon, kaputtkonsumiert statt investiert. Es lebe das Heute, wer weiß, was morgen sein wird !
ebo
18. August 2018 @ 14:16
Dazu verweise ich Punkt 13 der “länderspezifischen Empfehlung” für Italien:
Die Investitionstätigkeit ist während der Krise stark zurückgegangen und hat das
Niveau von 2007 noch nicht wieder erreicht. Trotz einer Zunahme im Jahr 2017 ist das
Investitionsniveau im Vergleich zu anderen Ländern der EU weiterhin niedrig.