Ist das Europas „Wow-Moment“?

Endlich, die EU ist aufgewacht und handelt! So kommentieren viele Zeitungen den Recovery-Plan aus Brüssel. Der belgische „Soir“ spricht sogar von „Europas Wow-Moment“, der „eine Revolution in der Gemeinschaft“ einleite. Was ist da dran?

Wow. She did it – so haben viele auf den Plan von Kommissionschefin von der Leyen reagiert. Denn sie will nicht nur Schulden aufnehmen, um den Wiederaufbau zu finanzieren – sondern auch noch mehr, als dies Kanzlerin Merkel und Präsident Macron vorgeschlagen haben.

Allerdings ist es nichts Neues, dass von der Leyen auf den „Wow-Effekt“ setzt. Schon bei ihrem „Green Deal“ ist sie in die Vollen gegangen. Damals war es „Europas Mann im Mond-Moment“, heute spricht sie von „Europas Moment“. Von der Leyen liebt die Superlative.

Der Umfang ihres Plans schlägt allerdings alles, was bisher da war. 750 Mrd. Euro in drei Jahren – so viel hat die EU noch nie mobilisiert. Da kann man schon mal „Wow“ sagen. Bei näherer Betrachtung bleibt davon allerdings nicht mehr so viel übrig.

Nach einer internen Aufstellung der EU-Kommission sind knapp 173 Milliarden Euro als Zuwendungen und Kredite für Italien reserviert. Spanien könnte bis zu 140 Milliarden bekommen, Deutschland darf mit 28 Milliarden rechnen.

Zieht man die nationalen Beiträge ab, so muß Deutschland am Ende draufzahlen, Spanien und Italien erhalten netto nur noch 34 bzw. 26 Mrd. Euro. Ein hübsches Sümmchen – aber nichts, was die größte Rezession seit dem 2. Weltkrieg abwenden könnte.

Von einem Marschall-Plan würde ich daher nicht sprechen, zumal das Ganze auf drei Jahre befristet ist und die Schulden zurückgezahlt werden sollen. Wenn es schlecht läuft, kommen danach viele magere Jahre auf die Unionzu. Die „Next Generation EU“ trägt eine schwere Hypothek…

Und was ist mit der „Revolution“? Bedeutet das Ganze „einen großen Schritt zum Föderalismus„, wie J. Quatremer in Libération schreibt? Das kann sein, es kann aber auch nicht sein. Zunächst werden keine neue Institutionen geschaffen, schon gar keine föderale.

Vielmehr bekommt die EU-Kommission noch mehr Macht – vor allem durch die Ausgabe von Anleihen, vielleicht auch durch neue Eigenmittel (Steuern und Abgaben). Da könnte ein neues Schatzamt entstehen – auch wenn von der Leyen dies auf Nachfrage verneint.

Eine Revolution wäre dies aber nur, wenn es dauerhaft wäre und die überkommenen EU-Strukturen umwälzen würde. Doch genau das hat Kanzlerin Merkel verhindert. Sie spricht von einer „einmaligen Maßnahme“ und lässt die Strukturen unverändert.

Das muß natürlich nicht das letzte Wort sein. Schon manch eine „vorübergehende“ Maßnahme wurde später zur festen Einrichtung, man denke nur an den Euro-Rettungsfonds. Doch das erste und letzte Wort behalten weiter die EU-Staaten – und damit Merkel

Siehe auch „Der Preis der Solidarität“ und „Stunde Null für die Corona-Präsidentin“