Investoren vor Staaten
Die EU-Handelsminister wollen Klagen von Konzernen gegen die Mitgliedstaaten zulassen. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, nickte Noch-Wirtschaftsminister Rösler die Ermächtigung ab. Der erste Testfall wird Kanada, bald sollen auch US-Multis zuschlagen dürfen.
Die EU weiß, wie man die Leute bei Laune hält. Am Freitag wurden wir mit der angeblich freudigen Botschaft beglückt, dass das lange umstrittene Freihandelsabkommen mit Kanada steht.
Das war zwar nicht ganz richtig, denn viele Details müssen noch verhandelt werden (siehe: „EU-Kanada: alles nur Fake?“ und „Käse gegen Rindfleisch“). Doch es lenkte von kontroversen Themen ab.
Denn das Abkommen enthält hochbrisante Klauseln zum Investorenschutz, den sogenannten „Investor-State Dispute Settlement“ (ISDS). Sie sollen Klagen von Konzernen gegen Staaten möglich machen, wenn diese sich bei Investitionen übervorteilt fühlen.
„Weil die Investitionsabkommen oft vage gehalten sind, können Klagen gegen fast alle Entscheidungen gerichtet werden – oft sind dabei Umwelt- oder Sozialgesetzgebungen betroffen“, warnt die grüne Europaabgeordnete S. Keller.
Ähnliche Sorgen haben auch Sozialdemokraten und Linke. Das Freihandelsabkommen mit Kanada wird daher kein Selbstläufer im Europaparlament.
Doch das ist erst der Auftakt. Während Kommissionschef Barroso und Kanadas Premier Harper noch in die Kameras lächelten, fädelten die EU-Handelsminister bereits den nächsten Deal ein.
Auszug aus dem Pressebericht des Ministerrats:
INVESTOR-STATE DISPUTE SETTLEMET
The Council discussed a draft regulation aimed at establishing a legal and financial framework for investor-state dispute settlement proceedings, as part of a broader framework for foreign direct investment.
It confirmed its willingness to seek agreement with the European Parliament in order to enable the regulation to enter into force as soon as possible. The presidency confirmed that it will engage with the Parliament rapidly.
The Treaty of Lisbon has brought foreign direct investment within the scope of the EU’s common commercial policy, making it an EU competence. International agreements include the possibility for an investor to bring a claim against a state where the state is alleged to have acted in a manner that is inconsistent with the agreement. Where such litigation takes place, the state will incur costs and may, if it loses, be required to pay compensation.
The draft regulation, submitted by the Commission in June 2012, sets a framework for managing the financial consequences of such disputes, specifying how cooperation between the Commission and the member states should be structured in specific cases.
Under its proposal, financial responsibility arising from a dispute settlement claim would be apportioned to either the EU, a member state or both, depending on the origin of the measure for which the investor has filed a complaint.
The proposal is one of the key elements in the creation of an EU investment policy, which involves the negotiation of new rules on investment with key trading partners, and the continuity of existing bilateral investment treaties between member states and third countries
Die EU will also nicht nur Investoren-Klagen ermöglichen, sondern die Kosten auch noch der Gemeinschaft und ihren Mitgliedern aufbürden. Damit wird jedes Umwelt- und Sozialgesetz zum finanziellen Risiko.
Mehr noch: Der Investorenschutz soll auch Teil des umstrittenen Freihandelsabkommens mit den USA werden. Dies wäre ein Einfallstor für Monsanto, Amazon & Co., missliebige Verbraucherschutz-Gesetze zu attackieren.
Immerhin gibt es gegen ein ISDS beim geplanten US-Abkommen Widerstand. Auch Deutschland hat offenbar Bedenken. Umso unverständlicher, dass man in Kanada einen Präzedenzfall schafft.
Noch-Wirtschaftsminister Rösler winkte alles durch, obwohl er dafür eigentlich kein Mandat mehr hat…
Andres Müller
22. Oktober 2013 @ 16:37
@ebo, falls ehrliche Stresstest nur unter Haftung des Steuerzahlers vorgenommen werden können (dürfen), dann ist ja vorhersehbar was geschehen wird.
Das ist dann die Gelegenheit für Investoren der Grossbanken sich selbst auf Kosten der Steuerzahler zu sanieren.. Leider denken noch Viele, dass es „die Banken“ sind welche in den letzten Jahren gerettet wurden, in Tat und Wahrheit sind es aber deren Investoren und Spitzenmanager.
Finanzminister Schäuble spricht denn auch ständig über die Gefahr „gegenseitiger Abhängigkeiten“, dass die Institute wie Dominosteine ineinander greifen.
Eine Bankeninsolvenz aber, bei der die Investoren nicht bluten müssen, die könnte daher in einem wahren Massaker für auch vortrefflich arbeitende Institute enden., vermutlich auch Jene die jetzt noch Kredite an die Realwirtschaft vergeben.
Grossinvestoren ist es egal ob Banken abgewickelt werden, wenn sie sich selbst via Hilfe der EZB aus der Schlinge ziehen können, sie sind nicht anderes als Heuschrecken die einfach weiter ziehen wenn sie gespiesen haben.
Die Investoren interessiert der Name eines Institutes überhaupt nicht, ihnen würde eine so durchgezogene Zerschlagung die Investition sichern, sie werden dann einfach über die verbliebenen Banken weiter zocken. So lange die Risiko nicht auf Gläubiger abgewälzt werden, arbeitet der Markt zugunsten des Hochrisiko und zu Lasten der Steuerzahler.
Andres Müller
21. Oktober 2013 @ 22:04
Nachdem die Banken (vorerst) ihre Geldbeutel gerettet bekamen, sollen sich nun auch einige in die Enge getriebene Megakonzerne schadlos halten dürfen. Dazu muss man Mechanismen finden um das Geld irgendwie vom Steuerzahler abzubuchen. Doch auch das ist nur der Anfang zu weiteren Rundumschlägen gegen die Menschen in der EU. Wenn es nach dem IWF gehen würde, so soll die EU den Zehnten einführen, also die Zwangsabgabe von 10% auf sämtlichen Konten der EU-Bürger, auch bei Kinder-Koto übrigens. Der Vorschlag steht, der IWF hat versprochen dabei mitzuhelfen.
Das trojanische Pferd zur Rettung der Europäischen Banken soll auch auf die wankenden Konzerne der Realwirtschaft ausgedehnt werden, wozu eine grosse Menge an „Beutekapital“ notwendig ist. Der Testlauf mit den irischen Steuerzahlern, welche zur Aufnahme von 60 Milliarden Schulden bei der EZB gezwungen wurden um die Fehlinvestitionen ausländischer Investoren zu befriedigen, der konnte schon früh als Schulbeispiel zur Anschauung dienen, worum es da eigentlich geht. Sämtlichen grossen faulen Investitionen seit 2007 sollen vom Bürger übernommen werden, während die Märkte dann ungestört fortfahren können ihr Schneeballsystem auf neue Höhen zu treiben. Die Schlingen um die Hälse der Bürger ziehen sich langsam aber sicher auch über Ländern zu, welche bisher noch besser über die Runden zu kommen schienen.
Der Umgang mit Zypern zeigt, dass die EU immer raffinierter damit wird, Geld auch von Unten oder Ausländern abzubuchen. Grosse EU-Geldinstitute erfuhren schon früh was da geplant wurde, ihnen liess man genügend Zeit um das Geld abzuziehen.
Der Schutz der Investoren hat höchste Priorität in der EU, selbst wenn inzwischen Millionen Bürger von Nahrungshilfen leben müssen und in Zukunft eben noch mehr.
Andres Müller
22. Oktober 2013 @ 14:45
Anlässlich neuer Entwicklungen muss ich meinen Kommentar wohl etwas ergänzen. Das betrifft die Blaupause Zypern. Eben ist bekannt geworden, dass Draghi das Steuer vor dem Banken-Stresstest nochmals VOLL zu Lasten der Steuerzahler rumgerissen hat. Unter dem Namen „fiscal backstop“ sollen marode Banken gerettet werden, analog zum bisher bekannten Rettungsschirm.
http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/10/22/draghi-hebelt-eu-richtlinie-aus-steuerzahler-muessen-banken-retten/
Gläubiger werden damit also wiederum nicht mehr beteiligt, wenn der fiscal backstop für eine notleidende Bank aktiviert wird.
Offenbar dienten die Russen in Zypern als Versuchskarnickel, um die Marktreaktion einzuschätzen.
Wie es aussieht können Investoren nun an den Börsen wieder voll auf Risiko fahren, weil für Grossanleger ja der Steuerzahler haftet.
Neu ist also nur dass Grosskonzerne der Realwirtschaft sich nun ebenfalls über massgeschneiderte Klagen an Europas Steuerzahlern schadlos halten können.
Aus dem EU -Rettungsschirm für Banken entwickelt sich in der Tendenz ein umfassender Rettungsschirm für Investoren, sowohl jener der Finanzindustrie als auch vermehrt für solche von Grosskonzernen der Realwirtschaft. Das ist dann endgültig keine „freie“ Marktwirtschaft mehr. Es dient nur noch dazu das von den Notenbanken gedruckte Geld auf volles Risiko des Steuerzahlers in die Taschen von Grossanlegern umzuverteilen. Somit ist zu erwarten dass der Schuldenbalast der Euro-Zone weiterhin massiv ansteigen wird, die nächsten Generationen werden belastet bevor sie geboren sind.
ebo
22. Oktober 2013 @ 14:55
@Andres
Das ist mir zu simpel gedacht. Draghi möchte erreichen, dass diesmal endlich EHRLICHE Stresstests gemacht werden, bei denen es auch Verlierer gibt. Denn er möchte in der künftigen Bankenaufsicht unter EZB-Regie keine Zombiebanken haben. Dies ist aber nur möglich, wenn marode Banken auch offengelegt und rekapitalisiert bzw. abgewickelt werden. die Eurozone kann dies bisher nicht machen – nicht zuletzt wg. anhaltenden deutschen Widerstands. Die Eigner und Gläubiger der Banken auch nicht. Deshalb bleiben nur die Staaten für den „fiscal backstop“. Würde man es hingegen so machen, wie Schäuble fordert, käme nur wieder ein halbherziger Stresstests mit wertlosen Ergebnisse dabei raus. Oder eine neue Bankenkrise, die niemand lösen könnte…
thewisemansfear
21. Oktober 2013 @ 20:29
Und dann soll man sich noch über Politik(er)verdruss wundern? So lange diese Marionetten für ihre Entscheidungen nicht haftbar gemacht oder in Regress genommen werden können, wird das immer so weiter gehen.
Baer
21. Oktober 2013 @ 10:03
Wie soll ein gescheiterter Mediziner auch nur annähernd komplexe wirtschsaftliche Zusammenhänge erkennen.
Herr Rösler war und ist für mich die schlechteste Besetzung eines Wirtschaftsministerpostens aller Zeiten.
Wieso kann er eigentlich ohne Mandat eine derart weitreichende entscheidung „durchwinken“ . Es lebe die Demokratie….