“In die Menschen investieren”

Das meiste EU-Geld fließt in Agrarfabriken und in Strukturfonds, mit denen Autobahnen gebaut werden. Doch es geht auch anders – sagt D. Rinaldi von der „Foundation for European Progressive Studies“. Ein Interview.

Die EU steigt mit einem Gipfeltreffen in Brüssel in die Verhandlungen über den neuen Haushaltsplan ab 2020 ein. Was halten Sie von den Vorschlägen, die EU-Kommissar Oettinger auf den Tisch gelegt hat?

David Rinaldi: Bisher liegt noch kein fertiger Entwurf vor, die EU-Kommission ist auf der Suche nach zündenden Ideen. Was Oettinger vorgeschlagen hat, läuft auf eine  Kürzung aller Budgetposten hinaus, mit Ausnahme der Bildungs- und Forschungsprogramme ERASMUS plus und HORIZON 2020. Dadurch würde die vom EU-Budget eigentlich gewollte Umverteilung gestoppt und die wachsende Ungleichheit in den 28 EU-Staaten weiter verstärkt.

Gäbe es dazu denn Alternativen? Bisher heißt es immer, der Brexit mache nun einmal Einschnitte unvermeidlich.

Rinaldi: Ja, es gibt durchaus Alternativen. Die Budgetberatungen sind eine gute Gelegenheit für eine Neuausrichtung der EU-Politik. Ein Schwerpunkt sollte dabei auf Investitionen und Konvergenz liegen. Bisher wird die wirtschaftliche Annäherung nur durch die so genannten Konvergenzkriterien im Stabilitätspakt für den Euro definiert, also durch Abbau der Defizite und eine „Konsolidierung“ der Finanzen. Echte Konvergenz lässt sich aber nur durch Investitionen in das Humankapital, Innovationen und höhere Produktivität erreichen.

Die Niederlande und Österreich sind gegen eine Erhöhung des EU-Budgets, wo soll denn das Geld herkommen?

Die EU muss endlich eigene Einnahmequellen erschließen, um sich von den Mitgliedsstaaten unabhängiger zu machen. Die beste Lösung wäre eine „web tax“, also eine Steuer auf die Gewinne von Internet-Giganten wie Amazon, Apple oder Google. Das gibt es noch nicht auf dem nationalen Level. Man nimmt den Finanzministern also kein Geld weg, und schafft einen echten europäischen Mehrwert.

Und was wird aus der Finanztransaktionssteuer? Bisher galt sie ja als Favorit für neue, sozial verträgliche EU-Ressourcen…

Natürlich brauchen wir diese Steuer, ökonomisch ist sie weiter sinnvoll. Doch politisch ist sie gescheitert, ich würde deshalb nicht mehr darauf setzen.

Einmal angenommen, das EU-Budget würde tatsächlich erhöht – wofür sollten die zusätzlichen Mittel verwendet werden? Geht alles in den Grenzschutz und die Verteidigung?

Das Geld für Sicherheit und Grenzkontrollen sollte nicht unsere größte Sorge sein. Bisher fließen dahin nur 0,2 Prozent der EU-Mittel. Das ist lächerlich wenig und wird sicherlich aufgestockt. Für eine progressive Neuausrichtung würde ich aber andere Prioritäten setzen. So könnte man sich auf die Ziele der Lissabon-Strategie besinnen und in die Wissensgesellschaft investieren. Lebenslanges Lernen und eine aktive Arbeitsmarktpolitik   – Europa muss endlich in seine Menschen investieren!

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