“Impfchaos”: Deutschland sucht den Sündenbock
In kaum einem EU-Land wurde schon so viel gegen Corona geimpft wie in Deutschland. Doch das reicht offenbar nicht, um das Versagen der deutschen Hygiene-Maßnahmen (“Wellenbrecher”) zu übertünschen. Also sucht man jetzt einen Sündenbock bei der EU in Brüssel.
Die EU-Kommission habe bei der Bestellung von Impfstoffen gegeizt und Frankreich bevorzugt, heißt der gängige Vorwurf. Belegt ist er bisher nur durch einen “Spiegel”-Artikel, der weitgehend ohne Quellen auskommt.
Kein Wunder – denn die EU-Kommission hüllt sich in Schweigen. Trotz mehrfacher Nachfrage aus dem Europaparlament lässt sich Kommissionschefin von der Leyen nicht in die Karten schauen.
Wir können also nicht wirklich wissen, was an den Vorwürfen dran ist. Was wir aber sehr wohl wissen, ist, wer bis zum 31.12. für die europäische Corona-Politik verantwortlich war: Deutschland.
Kanzlerin Merkel und Gesundheitsminister Spahn führten die deutsche “Corona-Präsidentschaft” (so hieß das wirklich). Zur Abwehr der Pandemie in der EU haben sie sechs Monate wenig getan, sieht man mal von einer kontrproduktiven Reisesperre für das “Risikogebiet Brüssel” ab.
Gegen die zweite Corona-Welle haben sie nichts getan – weder zuhause in Deutschland, noch auf EU-Ebene. Ein erster Corona-Gipfel fand erst im Oktober statt – viel zu spät. Und Beschlüsse wurden auch keine gefasst.
Merkel und Spahn sind erst aufgewacht, als UK und die USA in großem Stil bei Biontech/Pfizer und Moderna eingekauft haben. Dann haben sie in Brüssel interveniert, damit die EU ebenfalls ordert.
Das war womöglich zu spät und zu zaghaft. Wenn es ein Versagen gab, so trifft es aber nicht “die EU” und schon gar nicht Frankreich, sondern Deutschland und die CDU: Merkel, Spahn, von der Leyen.
Denn diese drei hatten die Zügel in der Hand, die Strippen liefen in Berlin zusammen. Es würde genügen, in den Spiegel zu schauen, um das zu erkennen…
Siehe auch “Die traurige Bilanz von Corona-Präsident Spahn”. Alle Beiträge zur Coronakrise hier.
Deutschland auf dem 2. Platz des Impftrackers in der #EU Aber auf Brüssel und Paris einschlagen, weil man nicht Nr. 1 ist? – Dabei hat die EU-Kommission am meisten deutsche Vakzine geordert… #Impfstrategie https://t.co/cmAHYiKb3v
— Eric B. (@LostinEU) January 5, 2021
P.S. Am meisten Impfstoff hat die EU übrigens in Deutschland bestellt. Neben Biontech wurde nämlich auch in großem Stil bei Curevac geordert, und gefördert… Ingesamt orderte Brüssel bei Biontech 300 und bei Curevac sogar 405 (!) Millionen Dosen – und damit wesentlich mehr als bei Sanofi in Frankreich (300 Mill. Dosen). Komischerweise wird das in der deutchen Debatte ständg ausgeblendet…
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Kleopatra
5. Januar 2021 @ 09:52
Selbst bei bestem Willen aller Beteiligten muss eine Aktion, für die eine zusätziche Komplexitätsebene eingezogen wird, zwangsläufig mehr Zeit benötigen. Offenbar sind normalerweise für Dinge wie den Einkauf von Impfstoffen eher die Einzelstaaten zuständig; dann musste die zentrale Beschaffung durch die Kommission im Vergleich dazu Verzögerungen verursachen. Auch eine EU-weite Zulassung kann nie schneller gehen als eine Zuassung in einem Einzelstaat, eher deutlich langsamer. Letztlich ist ein plötzlich aufgetauchter neuer Krankheitsrreger eigentlich eine klassische Situation für eine rasche provisorische Zulassung, ruhig auf Einzelstaatsebene. Man wird in einigen Monaten bilanzieren können, wieviel mehr Tote die Grundsatzentscheidung für eine zentralisierte EU-weite Beschaffung gekostet haben dürfte; kann man erwarten, dass die Verantwortlichen auch dazu stehen, dass es für sie politische Prioritäten gab, für die man -zigtausende Tote in Kauf nehmen kann, und dass sie diese Prioritäten klar benennen (bzw. den Hinterbliebenen erklären, für welches Ziel ihre Verwandten sterben mussten)? Schon das regelmäßig zitierte “Subsidiaritätsprinzip” impliziert ja, dass die Entscheidung, eine Maßnahme oder Entscheidung auf die EU-Ebene zu verlagern, nicht immer sachgerecht ist.
Für die Entscheidung für eine zentralisierte Beschaffung auf EU-Ebene war offenkundig die deutsche Bundeskanzlerin maßgeblich verantwortlich. (Die Kommission hätte keinem Einzelstaat eine selbständige Einkaufstour verbieten können, aber Merkel konnte dies gegenüber ihrem Gesundheitsminister tun, und dem deutschen Staat stehen auch gegenüber anderen EU-Mitgliedstaaten ganz andere Druckmittel zur Verfügung als der Kommission).
ebo
5. Januar 2021 @ 10:00
Vermutlich werden wir bald eine deutsche Notfall-Zulassung für AstraZeneca sehen.
Ich teile Ihren Eindruck, dass es bei der EU-Kommission und bei der EMA langsamer geht als in der Bundesregierung über im Robert-Koch-Institut. Dennoch halte ich die europäische Sammelbestellung grundsätzlich für richtig. Der Fehler war, diese Bestellung exklusiv zu machen. Es hätte völlig ausgereicht, wenn die EU einen “Grundstock für alle” bestellt, und sich die Länder dann nach ihrem Bedarf zusätzlich eindecken.
julius schuth
4. Januar 2021 @ 18:35
Frankreich wurde bevorzugt 300 Millionen wurde bei Sanofi bestellt …nur funktioniert die Vakzine nicht……..Geil!!!!!
ebo
4. Januar 2021 @ 19:25
Das ist Unsinn. Am meisten Impfdosen wurden in Deutschland bestellt – bei Biontech und CureVac. Der Impfstoff von Curevac ist ebenso wenig marktreif wie der von Sanofi.