Imperial Overstretch

Großbritannien hat hart auf den Vertragsentwurf für den Brexit reagiert. Die EU versuche, Nordirland herauszulösen, das sei „imperial overstretch“, klagt London. Dabei geschieht der eigentliche Sündenfall ganz woanders – in Sofia.

Denn dort hat Kommissionschef Juncker nach einer mehrtägigen Balkanreise verkündet, der Platz des Westbalkans sei in der EU. Anders gesagt: alle Balkanländer sollen Mitglied werden!

Zwar kommt diese Ansage mit den üblichen Einschränkungen: Jedes Land müsse alle Beitrittsbedingungen erfüllen, und natürlich müsse man auch erst die territorialen Konflikte beilegen.

Doch das will nicht viel heißen. Zypern hat man auch aufgenommen, obwohl die Insel geteilt war. Und Bulgarien und Rumänien kamen in die EU, obwohl sie längst nicht alle Bedingungen erfüllten.

Juncker hatte bei Amtsantritt versprochen, aus diesen schlechten Erfahrungen zu lernen. Stattdessen vollzieht er nun eine Rolle rückwärts. Alle sollen rein, das Erweiterungs-Moratorium ist beendet.

Natürlich gibt es gute Gründe für eine EU-Perspektive. Brüssel müsse rasch handeln, bevor eine neue Balkan-Krise ausbreche, warnt der bulgarische Politologe I. Krastev. Es gehe darum, Russland und China Paroli zu bieten.

Doch das kann nicht überzeugen. Krastev warnt sonst oft und gern vor dem Ende der EU – und das soll nun ausgerechnet durch eine Flucht nach vorn abgewendet werden? Nein, das macht alles nur noch schlimmer.

Denn nun droht erst recht Unruhe auf dem Balkan – die Region wird zum Wartesaal, vor 2025 soll es keine Beitritte geben. Das heizt die längst vorhandenen Spannungen an, statt sie zu beruhigen.

Zudem droht „imperial overstretch“ – also eine Überdehnung der schon jetzt hoffnungslos überforderten Union. Die EU-Kommission hat es nicht einmal geschafft, Bulgarien und Rumänien zu Rechtsstaaten zu machen!

Und die EU-Mission im Kosovo war ein einziges Desaster. Die Kosovaren wollen die EU-Berater rauswerfen und überlegen, sich mit Albanien zu vereinen, was neue schwere Konflikte heraufbeschwören würde.

Juncker wäre besser beraten gewesen, für den Westbalkan ein Modell sui generis zu entwerfen, unterhalb des Beitritts. Stattdessen kommt er nach drei Jahren Schweigen nun wieder mit den alten Kamellen.

Das ist nicht nur enttäuschend, sondern auch gefährlich. Jedenfalls deutlich gefährlicher als eine Zollunion mit Nordirland…