Immer mehr „working poor“
Sie nennen es Aufschwung. Aber für Millionen Menschen ist das mickrige Wachstum in der EU gleichbedeutend mit wachsender Armutsgefahr. Dies muss nun sogar die Bertelsmann-Stiftung einräumen.
Die wohletablierte Stiftung fand heraus, dass das Armutsrisiko auch für Arbeitnehmer gestiegen ist. Laut dem „Social Justice Index 2016“ stieg ihr Anteil im vergangenen Jahr von 7,2 auf 7,8 Prozent.
Mittlerweile ist jeder vierte EU-Bürger von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht – insgesamt sind das 118 Millionen Menschen. Die Gründe sehen die Experten vor allem im wachsenden Niedriglohnsektor.
Doch genau diesen Niedriglohnsektor preisen die EU-Experten, wenn sie ihre jährlichen Empfehlungen für die Wirtschaftspolitik herausgeben. In Griechenland setzen sie ihn sogar mit Gewalt durch.
Kommissionschef Juncker möchte nun zwar eine „soziale Säule“ aufbauen. Doch was bringt das, wenn das ganze Gebäude auf wackligem Grund steht? Die Einsturzgefahr wächst...
GS
14. November 2016 @ 21:30
7,8 % scheint mir noch milde gerechnet. Als vor paar Jahren der flächendeckende Mindestlohn eingeführt wurde, hieß es, dass in Ostdeutschland 1/3 (!) der Arbeitnehmer davon profitieren würde. Diese Zahl muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Und nun ist der Mindestlohn ja auch nicht gerade abartig hoch.
OXIgen
14. November 2016 @ 13:36
Die neue Arbeiterklasse der „working poor“ ist ökopolitisch exakt so gewollt und integraler Bestandteil neoliberaler Umverteilungspolitik von unten nach oben. Wer drei Jobs zum Überleben braucht, hat weder Zeit noch Kraft mehr, sich mit den politischen Gründen für seine desolate Lebenssituation auseinander zu setzen und womöglich dagegen aufzumucken.
Das Konzept des „Prekariat für Alle“ unterhalb einer gewissen sozialen Schwelle sorgt dafür, dass die Masse der „normalen“ Arbeitnehmer durch permanenten Überlebenskampf einerseits vom Denken und andererseits von einer für die Eliten gefährlichen Solidarisierung abgehalten wird.
Das mag eine Weile lang gut gehen, aber nur so lange bis die modernen Sklaven des Neofeudalismus, also eben diese „working poor“, wirklich nichts mehr zu verlieren haben als ihre Ketten. Einen Vorgeschmack davon sehen wir gerade in den USA, wo einer nur mit Jobversprechen und Eliminierung der noch billigeren Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt zum nächsten Präsidenten gewählt wurde.
S.B.
14. November 2016 @ 09:49
Messt Sie an ihren Taten, nicht an ihren Aussagen! Die Utopie des angeblich demokratischen Establishments ist nichts anderes, als die allgemeine Gleichmacherei (das „elitäre Establishment“ nimmt sich selbst insoweit selbstredend aus). Da nicht ein jeder Vorstandschef von Daimler oder Siemens mit den entsprechenden Gehältern werden kann, gibt es nur eine Lösung für diese Gleichmacherei: allen muss es gleich schlecht gehen. Wenn das „gleich schlecht“ bedeutet, dass alle in Armut leben, ist es den Parasiten auch recht – Hauptsache „gleich“. Europa ist schon auf dem besten Wege dorthin. Man muss eben nur die Fakten sehen, um die Realität zu erkennen.