Im Zangengriff
Wie geht es weiter mit der EU? Kanzlerin Merkel und ihre Follower sind in Bratislava eine Antwort schuldig geblieben. Dafür reden nun andere, national gesinnte Politiker – sie nehmen die Union in einen gefährlichen Zangengriff.
[dropcap]G[/dropcap]emeint sind T. May, V. Orban und R. Erdogan. Die Regierungschefs aus Großbritannien, Ungarn und der Türkei setzen alles daran, die EU zu erpressen und ihre Werte auszuhöhlen.
- Fangen wir mit May an. Sie will die Quadratur des Kreises: “maximale Freiheit” für britische Unternehmen, also Zugang zum EU-Binnenmarkt, aber keine Freizügigkeit. Das wird ein harter Brexit.
- Den harten Hund markiert auch Orban. Trotz des gescheiterten Referendums will er nun Abschottung und Flüchtlings-Abwehr in der Verfassung verankern. Brüssel hätte nichts mehr zu melden.
- Auf die Spitze treibt es (wie immer) Erdogan. Der Sultan behauptet allen Ernstes, sein Land könne schon morgen der EU beitreten, und droht mit dem Bruch aller Vereinbarungen, Flüchtlingspakt incl.
May versucht beim Rausgehen, die EU zu erpressen, Orban macht es von innen, und Erdogan rüttelt von draußen an den europäischen Fundamenten. Ein gefährlicher Zangengriff!
Schon klar, bisher sind das alles nur Worte, man sollte sie nicht allzu ernst nehmen. Ernst nehmen muss man allerdings den Versuch, die Werte der EU zu ignorieren und die Seele Europas zu verkaufen.
Ernst nehmen muss man zudem die offenen oder heimlichen Bündnisse, die sich hinter May, Orban und Erdogan bilden. Sie umfassen nämlich die halbe EU, Deutschland wie immer vorneweg.
So kann sich May auf Deutschland, aber auch auf Polen und die Niederlande verlassen. Alle halten sie – wenn auch aus unterschiedlichen Motiven – an UK fest und sind daher für Erpressung anfällig.
Hinter Orban stehen die Visegrad-Staaten, aber nicht nur. Auch UK und Dänemark machen die Schotten dicht. Und niemand will Ungarn aus der EU herauswerfen, wie wir jüngst gelernt haben…
Bliebe noch unser spezieller Freund Erdogan. Hinter ihm stehen Deutschland, Deutschland und Deutschland – also die deutsche Regierung, die Deutschtürken und die deutsche Wirtschaft.
Und wer vertritt noch die EU-Prinzipien, die Regeln und Werte? Früher war das auch mal Deutschland. Doch seit der Flüchtlingskrise, in der Berlin selbst alle Regeln brach, ist da nicht mehr viel…
Foto: XIMENA / Flickr
Winston
5. Oktober 2016 @ 07:41
“Never let a good crisis go to waste,” Winston Churchill allegedly said. But Europe, for one, squandered all of those eight years. This is just one of many reasons why we voted Out. With luck the UK will manage to extricate itself from the EU chamber of horrors before the roof finally falls in.
http://www.zerohedge.com/news/2016-10-04/deutsche-bank-%E2%80%9C-probably-insolvent%E2%80%9D
S.B.
4. Oktober 2016 @ 16:27
Es gibt aus Sicht der Bürger keine Notwendigkeit für einen europäischen Bundesstaat. Die EU hat deutlich gemacht, dass die Voraussetzungen für eine zentrale europäische Politik nicht gegeben sind und die Bürger diesem Konstrukt – zurecht – auch nicht trauen.
Globalisierung sollte sich auf friedlichen Freihandel beschränken. Dieser muss – anders als TTIP etc. – in einem transparenten und rechtsstaatlich abgesicherten Rahmen stattfinden, der demokratisch (!) beschlossen wurde und auch demokratisch kontrolliert wird. Mehr Globalisierung brauchen die Menschen nicht. Aus Sicht der internationalen Großkonzerne sieht das freilich anders aus (Arbeitnehmerfreizügigkeit zur Lohndrückung etc.).
S.B.
4. Oktober 2016 @ 09:06
Wäre man einfach dabei geblieben, in Europa friedlich Handel miteinander zu treiben (EWG, Ecu), würde es all diese miese Trickserei – zumindest in dieser ausgeprägten Form – nicht geben. Mit EU und Euro sollte per Brachialgewalt zusammengeführt werden, was in dieser Form nicht zusammengehört. Böses Blut allenthalben ist die Folge, worunter sogar der vormals friedliche Handel, die wichtigste Grundlage friedlichen Zusammenlebens, leiden könnte. Ein ursprünglich vielleicht gut gemeintes Projekt (EU, Euro), hat wegen seiner überaus schlechten Umsetzung ganz Europa an den Rand des Abgrundes gebracht. Gut gemeint, ist eben noch lange nicht gut gemacht. Ohnehin musste man sich in den letzten Jahren fragen, ob dieses Projekt überhaupt noch gut gemeint war. Dies gilt jedenfalls aus Sicht der Bürger.
Peter Nemschak
4. Oktober 2016 @ 13:17
Die politischen Eliten wollten die EU schrittweise in einen Bundesstaat führen und haben mit einer stillschweigenden Billigung der Bürger gerechnet. Bis zur Finanzkrise 2008 haben die Bürger diesen Weg toleriert. Als die Bürger die Krisen zu spüren bekamen, zuerst die Finanzkrise, zuletzt die Flüchtlingskrise, haben sie sich quer durch alle Schichten der näherliegenden, oft aber bloß vermeintlichen Segnungen des Nationalstaates erinnert. Die Globalisierung gab es nie in Reinkultur. Es war immer eine Mischung aus global und lokal. Derzeit ändert sich die Mischung in Richtung mehr lokal. Ein Rückkehr zum Nationalen in Reinkultur ist nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich, da die globale Vernetzung und wechselseitige Abhängigkeit der Staaten voneinander bereits zu groß geworden ist.
Skyjumper
4. Oktober 2016 @ 21:53
“Die politischen Eliten wollten die EU schrittweise in einen Bundesstaat führen …….”
Es wäre schön, wenn es denn beim “wollTEN” geblieben wäre. Denn auch wenn es mir persönlich nicht passt, so kann man doch aus dem Schweigen der Bürger zu den bisherigen Versuchen tatsächlich auch sowas wie eine Billigung ableiten.
Allerdings wollEN sie immer noch. Und da wird es dann problematisch. Denn mit der stillschweigenden Billigung ist es vorbei. Und wenn es nicht wenigstens eine Billigung, wenn schon keine aktive Zustimmung, gibt, dann sollten in einer Demokratie die Politiker die Füsse stillhalten. Tun sie das nicht kann man sich seinen Reim darauf machen was die Politiker von ihren Bürgern halten.
Peter Nemschak
3. Oktober 2016 @ 21:57
Das derzeitige Verhalten des UK, Ungarns und der Türkei ist nicht neu. Mit Prinzipien- und Wertereiterei wird niemand die EU zusammenhalten können. Das stärkste Band ist nach wie vor das wirtschaftliche Interesse der Mitglieder. Solange es zu diesem keine bessere Alternative gibt, wird die EU weitermachen. Vertiefung ist nicht in allen Politikbereichen zwingend notwendig.