Im Ausnahmezustand: Die Ursachen

In Brüssel, London und Paris herrscht der Ausnahmezustand – und das fünf Monate vor der Europawahl. Wie konnte es zu dieser ungewöhnlichen Zuspitzung in Westeuropa kommen? Und was hat das mit der EU zu tun?

Diese Frage haben einige Leser meiner viel beachteten Mini-Serie gestellt (Teil 1 steht hier). Andere haben kritisiert, dass ich nur “oberflächliche” Beschreibungen liefere und Äpfel mit Birnen vergleiche.

Richtig ist, dass die Regierungskrise in Belgien, der Brexit in UK und die Krise in Frankreich nicht auf eine einzige kausale Ursache zurückzuführen sind. Dass sie gleichzeitig eskalieren, ist eine Laune der Geschichte.

Richtig ist aber auch, dass es die EU und auch die Europawahl massiv in Mitleidenschaft ziehen wird, wenn in drei Kernländern Westeuropas die Hütte brennt. Noch ist es nicht ganz so weit.

Noch sind es zehn Wochen bis zum Brexit und fünf Monate bis zur Wahl für das Europaparlament. Der Brexit könnte verschoben werden, bis zur Europawahl könnte sich die Lage wieder beruhigen.

Doch es sieht eher so aus, als würden sich die Krisen wechselseitig hochschaukeln – und die EU in eine weitere schwere Krise stürzen.

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Wie das geht, haben wir schon beim Brexit-Referendum 2016 gesehen: Die Flüchtlingskrise und die Alleingänge von Kanzlerin Merkel trugen entscheidend dazu bei, dass eine Mehrheit der Briten gegen die EU stimmte.

Zwei Jahre später hat die N-VA in Flandern den UN-Migrationspakt und die latent immer noch anhaltende Flüchtlingskrise genutzt, um die rechtsliberale Regierungskoalition in Belgien zu sprengen.

Ich sehe aber auch fundamentalere Ursachen und Gemeinsamkeiten. Da wäre zum einen die neoliberale EU-Politik der Markt-Liberalisierung und Grenzöffnung, verbunden mit Austerität und Sozialkürzungen.

In Großbritannien war dieser toxische “Mix” nach Ansicht vieler Experten entscheidend für das Brexit-Votum. Auch in Frankreich ist die Krise auf den neoliberalen Kurs von Präsident Macron zurückzuführen.

Rechte Offensive

Dass es gegen diese Politik immer mehr Widerstand gibt, ist verständlich und auch zu begrüßen. Bedenklich ist allerdings, dass dieser populäre Widerstand zunehmend von den Rechten vereinnahmt wird.

Wir erleben eine rechte Offensive, die vom ehemaligen Trump-Berater Bannon und anderen Demagogen koordiniert wird. Die Rechten greifen dabei auch Themen und Methoden der Linken auf.

Die Linke hingegen tut sich schwer – nicht nur in UK, sondern auch in Frankreich und in Belgien. Sie schwankt zwischen radikalem Populismus à la Mélenchon und taktischem Attentismus à la Corbyn.

Eine Systemkrise

Es wär jedoch zu simpel, sich auf einzelne Politiker zu kaprizieren. Im Kern handelt es sich um ein Systemversagen, das sowohl den globalisierten Finanzkapitalismus als auch die westliche Demokratie trifft.

Dieses Systemversagen erreichte mit der Finanzkrise 2008 einen ersten Höhepunkt – und wurde seitdem nie wirklich gelöst. Wir haben es mit einem weltweiten Phänomen zu tun, das weit über Europa hinausreicht.

Allerdings versucht nun ausgerechnet die EU, das alte System zu verteidigen – statt sich für eine radikale Reform einzusetzen. Aber halt – die EU schafft es ja nicht einmal, sich selbst zu reformieren…

Siehe auch “Der verhinderte Neustart” (E-Book)