Hundert Tage in der Defensive, Handelskrieg 2.0 – und Holland in Not?
Die Watchlist EUropa vom 13. März 2025 – Heute mit News und Analysen zur Startbilanz der zweiten Von-der-Leyen-Kommission, zum Zollstreit mit den USA und zu einem denkwürdigen Nein in den Niederlanden
Du hast keine Chance, aber nutze sie: Dieses paradoxe Motto hat sich EU-Kommissionschefin von der Leyen in den ersten hundert Tagen ihrer zweiten Amtszeit zu Herzen genommen.
Von der Leyens “Kommission der letzten Chance” – so der Titel unseres aktuellen E-Books – hat versucht, verlorenes Terrain wett zu machen. Mit bescheidenem Erfolg. Die EU ist in der Defensive.
Dies gilt nicht nur für den Krieg um die Ukraine. Die USA haben die Initiative ergriffen und einen Waffenstillstand vorgeschlagen. Die EU wurde nicht gefragt, sie steht ratlos im Abseits.
Brüssel schürt Kriegsangst
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Statt eigene Vorschläge zu machen und sich aktiv in die Verhandlungen einzubringen, schürt die Kommission die Kriegsangst. Ihr Plan zur “Wiederbewaffnung” zeugt von Panik – zudem kommt er zu spät.
Auch bei den Russland-Sanktionen ist sie in der Defensive. US-Außenminister Rubio erklärte, die europäischen Strafmaßnahmen kämen bald “auf den Tisch”. Brüssel wird wohl zurückrudern müssen.
Selbst in der Wirtschaftspolitik, dem Schwerpunkt von VDL 2.0, sieht es nicht gut aus. Von der Leyen versucht zwar, mit einem “Industrial Clean Deal” und einem “Omnibus” zum Bürokratieabbau in die Offensive zu gehen.
Die Industrie schmiert ab
Doch zugleich muß sie versuchen, die Auto- und die Stahlindustrie vor dem drohenden Niedergang zu retten. Auch die Chemiebranche leidet – und gerade erst hat der Batteriehersteller Northvolt die Pleite angemeldet.
Von ihrem hochgelobten Prestigeprojekt aus der ersten Amtszeit – dem “European Green Deal” ist auch nicht viel übrig. Von der Leyen hat zwar die Klimaziele bekräftigt – doch sie sind kaum noch zu erreichen.
Schon gar nicht mit ihrer neuen Hochrüstungs-Politik. Deutsche Panzer stoßen verdammt viel CO2 aus, umweltverträglich sind sie auch nicht. Das sollte die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin doch eigentlich wissen…
News & Updates
- Handelskrieg 2.0 eröffnet. Wie erwartet, sind die US-Strafzölle gegen Aluminium und Stahl wieder in Kraft getreten. Die EU hat zwar mit Vergeltung gedroht und erste Maßnahmen angekündigt. Doch US-Präsident Trump plant schon den nächsten Schlag: Am 2. April will er sogenannte wechselseitige Zölle verkünden. Damit wäre der Handelskrieg 2.0 voll entbrannt – auch wenn Brüssel immer noch auf eine Einigung hofft...
- Grönland widersteht Trump. Das von US-Präsident Trump begehrte Grönland steht vor einem Regierungswechsel. Bei der Parlamentswahl auf der größten Insel der Erde lagen zwei bisherige Oppositionsparteien vorn. Sie streben eine Unabhängigkeit vom EU-Land Dänemark an, haben jedoch unterschiedliche Vorstellungen vom Tempo auf dem Weg dorthin. Eine Übernahme durch die USA lehnen sie jedoch ab.
- Regierungskrise in Portugal. Portugal steht vor der dritten vorgezogenen Parlamentswahl in gut drei Jahren. Der konservative Regierungschef Montenegro stolperte über eine Firma seiner Familie. Nun ist das Staatsoberhaupt am Zug. Präsident de Sousa hat Konsultationen über die nächsten Schritte aufgenommen.
- Brüssel unterstützt Abschiebelager. Die umstrittenen Abschiebelager für abgelehnte Asylbewerber – so genannte „Return hubs“ – werden EU-weit legalisiert. Zudem soll die Abschiebung beschleunigt werden. Dies schlägt die EU-Kommission in ihrem Entwurf für eine “Rückführungsverordnung” vor.
Das Letzte
Holland in Not? Peinlich, peinlich: Nur eine Woche nach dem “historischen” EU-Gipfel zur “Wiederbewaffnung” hat das niederländische Parlament den Plänen eine Absage erteilt. Von der Leyens Programm “RearmEU” wurde mit knapper Mehrheit abgelehnt – nicht zuletzt, weil er neue Schulden vorsieht. Dabei hatte Regierungschef Schoof doch schon in Brüssel “Ja” gesagt! Auch für seinen Amtsvorgänger Rutte, der heute die Nato leitet, ist das unangenehm – ausgerechnet seine Landleute wollen nicht aufrüsten. Nun ist Holland in Not – wenn man der offiziellen Kriegsrhetorik folgen möchte. Schließlich wartet der Russe ja nur darauf, zuzuschlagen – in den Grachten von Amsterdam sollen schon die ersten U-Boote gesichtet worden sein…
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Arthur Dent
13. März 2025 @ 09:14
Rutte’s Holland gibt gerade mal so
1,5 % vom BIP fürs Militär aus – und bald wird wohl ganz NRW wieder in den Niederlanden einkaufen. Sobald die “Sondervermögen” verabschiedet sind, wird die Inflation wohl kräftig anziehen.
Die deutsche Autoindustrie baut auf Geheiß der Politik Autos, die niemand haben will und wundert sich über ihren Niedergang.
Ähnlich die Stahlindustrie – die Stahlarbeiter wollten vier Tage arbeiten aber für fünf bezahlt werden – bald aber haben sie die Nulltage-Woche. Und bevor man laufend grünen Wasserstoff in gigantischen Mengen importieren muss, ist es einfacher, einmal ein Stahlwerk zu exportieren. In Deutschland würde der grüne Stahl
3 – 5 mal teurer als der herkömmlich produzierte.
Mal sehen, wie lange Grönland Trump noch widersteht. Hier spielt nämlich das SRÜ von 1982 eine Rolle. Es geht um Hoheitsgewässer und wer Ressourcen der Arktis für sich beanspruchen kann. Auch China begreift sich selbst als Anrainer-Staat.
Stef
13. März 2025 @ 11:37
Ich warte schon lange darauf, dass Rüstungsproduktion dem Zeitgeist folgend unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit und Ressorourcenschonung diskutiert wird. Einen Panzer mit grünem Strom zu bauen (inklusive des mit Grünstroms erstellten Stahls) und am Ende am besten noch regenerative Antriebe zu verbauen, ist an Absurdität kaum noch zu überbieten. Diese Produkte sind per se auf Verschleiß und Zerstörung angelegt, keine Ökobilanz wird darüber je hinwegtäuschen können. Eine unnötig innefiziente und unwirtschaftliche Kriegsgüterproduktion würde sich in jedem Konfliktfall auch sofort militärisch rächen, weil man die Kriegsanstrengungen nicht so lange aufrechterhalten könnte wie der effizienter produzierende Gegner.
Rüstung und Militär ist Gift für das Klima und ein „sunken Invest“. So einfach die Kiste ist, so wenig will das die Koalition der Rüstungswilligen in den Parlamenten hören, wo sie die heilige Schuldenbremse gerade für rein komsumtive Ausgaben aufheben wollen. Auch das ist an Absurdität kaum zu überbieten.
Bogie
13. März 2025 @ 07:59
Meines Wissens sind Waffen sehr wohl extrem nachhaltig, zählen sie doch in keiner Klimabilanz mit (angeblich wohl aus Gründen der nationalen Sicherheit).
Stellt nun eine beliebige Volkswirtschaft statt (sagen wir mal) Verbrenner-SUVs vermehrt Panzer (beispielsweise Leopard 2) her, so verbessert zwangsläufig ihre Klimabilanz.
Win-win sozusagen – die Arbeiter entgehen der drohenden Arbeitslosigkeit und das Klima freut sich.
Passt wunderbar zu den (neuen) Wertmaßstäben der EU im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen.