Hollande und wie er die Welt sah (I): Macron, der Verräter
Schlechte Umfragewerte, schwaches Wirtschafts-Wachstum, kein Erfolg bei der EU-Reform: Auf Frankreichs Staatschef Macron wartet ein heißer Herbst. Nun rechnet sein Amtsvorgänger Hollande mit ihm ab.
Hollande hat ein Buch vorgelegt, das in Frankreich gleich zum Bestseller wurde: “Les lecons du pouvoir” (“Lektionen der Macht”, Stock) zeichnen seine fünf Amtsjahre im Elysée-Palast nach.
Macron war von Anfang an dabei – erst als Wirtschaftsberater, später auch als Wirtschaftsminister. Unter anderem setzte sich Macron für Griechenland ein, aber auch für harte Arbeitsmarkt-Reformen.
Doch am Ende bootete er seinen Chef Hollande aus – und gründete seine eigene Bewegung. Sie erfuhr so viel Zuspruch, dass Hollande auf eine neue Kandidatur verzichtete, kurz darauf verschwanden seine Sozialisten in der Versenkung.
Nun rächt er sich – mit ätzenden Bemerkungen über seinen jungen, ehrgeizigen Nachfolger, der in Deutschland so beliebt ist. Macrons Bilanz sei eine Katastrophe, so Hollande. Er spalte die Franzosen, statt sie zusammenzuführen.
In seinem Buch wirft er Macron zudem vor, ihn über seine wahren Absichten betrogen zu haben. Macron habe seine Kandidatur bereits vorbereitet, als er noch Wirtschaftsminister war – doch das Gegenteil behauptet.
“Die Geschichte eines Verrats” nennt “Le Monde” Hollandes Buch. Allerdings taucht das Wort “Verrat” darin nicht auf. Hollande mag sich betrogen fühlen – politisch wirft er seinem Nachfolger eher Hochstapelei vor.
Im Sinn hat er dabei vor allem Macrons Anspruch, die französische Politik zu revolutionieren und dabei auch an linke Traditionen anzuknüpfen. Macrons Politik sei weder links noch progressiv, so Hollande.
Vielmehr sei er ein typischer Vertreter der liberalen französischen Rechten, und sein Aufstieg nicht mehr als eine Laune der Geschichte. Redet so ein schlechter Verlierer – oder einer, der sein Comeback vorbereitet?
Peter Nemschak
27. August 2018 @ 15:30
@ Georg Soltau Feindbilder zwischen Privaten aber auch zwischen Gesellschaften und Staaten wirken identitäts- und gemeinschaftsbildend. Sie sind kurzfristig politisch leichter herzustellen und nachhaltiger als ihre positiven Gegenstücke.
Georg Soltau
27. August 2018 @ 16:48
Das ist nicht von der Hand zu weisen, aber gerade deshalb sollte man dieser Systematik nicht das Wort reden sondern immer wieder dagegen argumentieren… steter Tropfen
höhlt den Stein
Reinard Schmitz
27. August 2018 @ 10:51
Ich denke nicht, dass „Regieren“ eine Frage von einzelnen Personen und deren Können oder Wollen ist. Entscheidend ist, we hinter ihnen steht, sie unterstützt beziehungsweise benutzt. Offensichtlich sind dir lenkenden Kräfte nicht darauf aus, eine harmonische, ausgleichende europäische Lösung umzusetzen. Divide et impera ist immer noch deren gebotenes Mittel zum Zweck.
Peter Nemschak
27. August 2018 @ 12:07
Bedeutet eine „harmonische“ Lösung nicht letztlich Stillstand? Nachdem die Gesellschaften in ständiger Bewegung sind, dürfte es „harmonische“ Lösungen wohl nie gegeben. Dynamik und Harmonie passen nicht zusammen.
Georg Soltau
27. August 2018 @ 12:51
Nein, aber “harmonische” Lösungen setzen Toleranz voraus und an der fehlt es zu oft. Mit mehr Toleranz und einem Verzicht der Dynamik auf Feindbilder würde es schon klappen .
Peter Nemschak
27. August 2018 @ 09:11
Weder die Linken, noch die Konservativen noch die Rechten scheinen, jede auf ihre Art mit der Komplexität unserer modernen Gesellschaften umgehen zu können, so der Soziologe und Ordinarius für Soziologie an der LMU München Armin Nassehi. Trotzdem können sie nicht davon ablassen, mit alten Konzepten, die sich nicht bewährt haben, zu versuchen die Bürger zu begeistern. Der Komplexität moderner Gesellschaften werden sie dabei nicht gerecht. Hollande ist dabei keine Ausnahme. Ist die mitunter sogar gefährliche Fantasie von einer nicht gespaltenen Gesellschaft überhaupt verwirklichbar oder reicht es vielmehr aus, mit Perspektivendifferenz leben zu lernen?