GroKo im Eilverfahren? – Großer Krieg aus Versehen?
Am Donnerstag haben im Europaparlament Gespräche über eine Art Koalitionsvertrag begonnen. Bereits am Montag wollen Konservative, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne ein Ergebnis vorlegen. Kann das gut gehen?
Fünf Arbeitsgruppen im Parlament verhandeln über Klimapolitik und Umwelt, Wirtschaft und Soziales, Digitalisierung, Rechtsstaatlichkeit und Europas Rolle in der Welt. Beteiligt sind 41 Abgeordnete – allerdings fast nur Altgediente, denn die neu gewählten fangen erst am 1. Juli in Straßburg an.
„Solche Verhandlungen sind für das Europäische Parlament ein Novum„, sagte der Grünen-Abgeordnete Sven Giegold. „Damit zeigen wir als Abgeordnete auch gegenüber den Staats- und Regierungschefs, dass wir nicht einfach einen Kommissionspräsidenten oder -präsidentin abnicken werden“.
Das klingt gut – hat aber einen Haken. Denn die Abgeordneten können sich selbst nicht auf den nächsten Kommissionschef einigen. Deshalb weichen sie dem Problem aus – und verhandeln über eine Art Koalitionsvertrag. Doch warum muß das passieren, bevor das neue Parlament konstituiert wurde?
Und wieso hat es keine der beteiligten Parteien für nötig befunden, ihre Wähler zu informieren? Alle haben sie die Europawahl als „Richtungswahl“ dargestellt, EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber (CSU) warb gar um ein „Mandat“ der Wähler auf der Basis seines (reichlich windigen) Programms.
Doch nun werden vier Wahl-Programme zu einem verschnitten, und das Ganze in Arbeitsgruppen, die nichtöffentlich tagen, also im Hinterzimmer. Hat das Europaparlament nicht mehr Transparenz versprochen? War die GroKo nicht schon seit dem Abgang von SPD-Mann Martin Schulz beendet?
Offenbar nicht, nun wird sie größer denn je! Die etablierten Parteien schließen die Reihen – nicht nur gegen die Staats- und Regierungschefs, sondern auch gegen die Rechten, die sich in einer neuen Fraktion zusammengeschlossen haben und versuchen, die EU von innen auszuhöhlen.
Das wollen die etablierten Parteien verhindern – und zugleich den Parlamentarismus in der EU stärken. Sie führen einen schwierigen Kampf an zwei Fronten. Um ihn zu gewinnen, braucht es Zeit und neue Allianzen. Eine GroKo, noch dazu im Eilverfahren, will dazu nicht recht passen…
Siehe auch „Was das Europaparlament jetzt tun sollte“
Watchlist
- Kommt es nun zum großen Krieg gegen Iran? Die USA machen das Land für die Angriffe auf zwei Öltanker im Golf von Oman verantwortlich. Das sagte US-Außenminister Mike Pompeo bei einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz in Washington. Demgegenüber sprach das Mullah-Regime von „dubiosen Zwischenfällen“ – und wies jede Verantwortung zurück. Experten warnen nun vor einem „Krieg aus Versehen“…
Was fehlt
- Der Kick-Start des EU-Angstgegners Boris Johnson. Der Brexit-Hardliner und Ex-Außenminister hat die erste Wahlrunde für den Tory-Vorsitz mit deutlichem Vorsprung gewonnen. Drei Bewerber für den Parteivorsitz schieden bei der geheimen Abstimmung aus, damit sind jetzt noch sieben Kandidaten im Rennen. Mit einer Vorentscheidung wird nächste Woche gerechnet, pünktlich zum EU-Gipfel am Donnerstag…
- Die Klatsche für Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und seine Europa-Spitzenkandidatin Nathalie Loiseau. Nach ihren umstrittenen, abfälligen Bemerkungen mußte Loiseau ihre Bewerbung um die Leitung der Liberalen-Fraktion im Europaparlament zurückziehen. Nun ist die Französin genau das, was sie anderen EU-Politikern vorgeworfen hat: ein Ektoplasma… Mehr dazu hier
Peter Nemschak
14. Juni 2019 @ 19:20
@Kleopatra Das EU-System ist weder Fisch noch Fleisch. Eine bundesstaatliche Lösung würde das Problem bereinigen. Nur, diese wollen die wenigsten Bürger in den reichen Staaten, weil sie bezweifeln, dass sie zu ihrem Vorteil ist. Im übrigen sind relative Mehrheiten für die Gesetzwerdung in nationalen Systemen eher die Ausnahme als die Regel, weil sie implizieren, dass sich der Rest der Stimme enthält. Koalitionen werden gebildet, um zumindest einfache absolute Mehrheiten herzustellen.
Kleopatra
15. Juni 2019 @ 08:22
Das englische Unterhaus publiziert die Ergebnisse seiner namentlichen Abstimmungen mit Stimmenzahlen; und da werden sehr viele Anträge mit mehr Ja- als Nein-Stimmen, aber weniger als der Hälfte der Mitgliederzahl, angenommen. Im Europäischen Parlament hätten entsprechende Stimmenzahlen nicht ausgereicht, um im Ordentlichen Gesetzgebungsverfahren in der zweiten Lesung Änderungen einzubringen oder einen Rechtsakt abzulehnen.
Dass in vielen Staaten die Bürger die EU nicht zu einem Bundesstaat umwandeln wollen, ist offensichtlich. (Sonst hätte der Verfassungsvertrag nicht durchfallen dürfen). Ich erlaube mir allerdings, zu bezweifeln, dass das vor allem in reichen Staaten der Fall ist.
Kleopatra
14. Juni 2019 @ 11:00
Eine Reihe von Entscheidungsprozeduren im Europäischen Parlament sind so konstruiert, dass jeweils eine absolute Mehrheit gebraucht wird, um eine Entscheidung durchzusetzen. Das gilt vor allem für das Ordentliche Gesetzgebungsverfahren (früher Mitentscheidungsverfahren). Wenn ein Änderungswunsch des Parlaments nicht von einer absoluten Mehrheit getragen wird, kann der Rat den Akt ohne diese Änderung auch ohne Rücksicht auf des Parlament beschließen. Das Parlament kann einen Legislativakt auch nur mit absoluter Mehrheit verhindern.
Diese Konstruktion bewirkt, dass das Parlament dazu gedrängt wird, extrem umfassende Bündnisse zu konstruieren, andernfalls besteht das Risiko, dass an ihm vorbei entschieden wird. Dazu kommt ein gewisser Korpsgeist erfahrener Mitglieder, der seine positiven wie negativen Seiten hat. Alles das trägt dummerweise dazu bei, dass die Wahlergebnisse unter Umständen für die Richtung der EU-Politik weniger entscheidend sind als man gerne hätte. Dass die bisherigen Abgeordneten eine Koalition im künftigen, neu gewählten Parlament bereits jetzt ausverhandeln, ist freilich eine Anmaßung, die im Grund implizit die Wahlen für irrelevant erklärt (bzw. sie allenfalls als Argument zur eigenen Legitimation benutzt, aber nicht als verbindliche politische Willensäußerung ansieht).
Peter Nemschak
14. Juni 2019 @ 13:53
Gilt dies nicht auch auf nationaler Ebene ? Absolute Mehrheit heißt einfache Mehrheit, nicht qualifizierte Mehrheit, wenn ich Sie richtig verstanden habe.
Kleopatra
14. Juni 2019 @ 16:25
Wenn ich „absolute Mehrheit“ schreibe, meine ich die Mehrheit der Mitglieder des Parlaments (gegenwärtig mehr als die Hälfte von 751). Siehe Art. 294 AEUV, insbesondere Absatz 7.
Daraus ergibt sich auch, dass ein Rechtsakt auch dann zustandekommen kann, wenn das Parlament sich innerhalb einer bestimmten Frist nicht äußert (weil es z.B. keine Linie zustandebringt, der eine Mehrheit der Mitglieder zustimmen kann). Aber ohne Zustimmung des Rates geht nichts. Somit ist der Rat deutlich mächtiger als das Parlament, und letzteres kann nur dann Einfluss ausüben, wenn es von einer sehr breiten Mehrheit getragene Kompromisse findet. Wird dieser Kompromiss nicht gefunden, tritt der Rechtsakt in einer Form in Kraft, die dem Parlament u.U. überhaupt nicht gefällt.
Die Mehrheit für einen solchen Kompromiss wird immer viel breiter sein müssen als eine einzelne Fraktion; und das trägt m.E. dazu bei, dass ein Einfluss bestimmter Parteien kaum noch geltend gemacht werden kann, dass somit die Entscheidung für eine bestimmte Parteiliste nicht viel Einfluss auf die konkret getroffenen Entscheidungen hat.
Im Gegensatz dazu kann auf nationaler Ebene 1) in der Regel ein Gesetz nie ohne eine Zustimmung des Parlaments in Kraft treten und 2) genügt in den meisten Fällen eine relative Mehrheit (mehr Ja- als Nein-Stimmen). Allgemeine Aussagen über die Verfassungen europäischer Staaten kann ich allerdings nicht machen.
Die „qualifizierte Mehrheit“ ist ein Kriterium im Rat und auf das Parlament nicht anwendbar.
Holly01
14. Juni 2019 @ 10:21
Da läuft wieder eine „false flag“ Aktion mit dem Iran.
Da kam am Anfang ein Video ins Spiel.
Bild(er) vom Angriff? Ich nehme an, dei Amis überwachen die gesamte Straße von Hormus mit Video …
Es gab da übrigens auch 2 Zwischenfälle mit Tankern, denen man (fernzündbare) Minen angepappt hat.
Alles der Russe …. oh mist, umdenken, alles der Iraner …
vlg
Holly01
14. Juni 2019 @ 09:47
Schlusssatz :
„Die Deutschen kehren ihrem politischen Establishment rasch den Rücken und suchen nach Veränderungen, die scheinbar nie kommen. Wie João Batalha so scharfsinnig bemerkt: „Ich befürchte, dass wir zu prozeduralen Demokratien werden, in denen die Bürger ihr Grundrecht haben, sich zu beschweren, sich zu organisieren, zu protestieren oder sogar die Regierung abzuwählen. Sie haben einfach nicht das Recht, Änderungen vorzunehmen. „“
Ende einer ziemlich guten Zusammenfassung für Deutschland und ein Stück weit der EU, zu lesen hier:
https://braveneweurope.com/mathew-d-rose-a-tectonic-shift-in-german-politics
Inhaltlich von diesem Blog nicht so weit weg. Also die nervige Differenz zwischen „sagen“ und „tun“.
Systemparteien … ja ich denke das trifft es. Sie gehören zum System und bilden ein System.
Aber wie wird man die los?
vlg
ebo
14. Juni 2019 @ 10:12
Danke für den Hinweis, hatte ich zufällig auch gerade gelesen. In Brüssel laufen die Prozesse ganz ähnlich – alle reden von Reform, doch ändern soll sich nichts. Dabei gäbe es durchaus Alternativen, wie ich zuletzt hier aufgezeigt habe
Alexander
14. Juni 2019 @ 13:00
Ich habe auch einen Hinweis:
„Neoliberalismus ins Grundgesetz“
„Sozialpolitik soll dem Einfluss demokratischer Mehrheiten entzogen werden“
https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/355318.insm-meldet-sich-zur%C3%BCck-neoliberalismus-ins-grundgesetz.html
Diese furchtbaren Leute machen einfach immer weiter!
(Der Artikel ist leider inzwischen überwiegend hinter einer Paywall verschwunden. Ich konnte ihn vor einer Weile noch komplett lesen.)
Holly01
14. Juni 2019 @ 09:07
„Nathalie Loiseau“
Sauberer Blattschuss der unabhängigen, freien und meinungsoffenen MM ….
Was kostet so ein Hallali eigentlich?
vlg