Griechenland verteidigen – und die Türkei schmieren?
In der neuen Flüchtlingskrise verfolgt die EU eine seltsame Doppelstrategie. Einerseits will sie Griechenland und die EU-Außengrenze verteidigen. Andererseits will sie die Türkei erneut mit Milliardenhilfen schmieren – pardon: unterstützen.
Wie geht es weiter mit dem Flüchtlingsdeal, den der türkische Despot Erdogan seit Tagen bricht? Die EU weiß es auch drei Tage nach Beginn der Feindseligkeiten nicht.
Einerseits wollen die meisten Mitgliedstaaten an der – rechtlich unverbindlichen und auf vier Jahre befristeten, also eigentlich überholten – Vereinbarung festhalten.
Andererseits wollen sie aber auch nicht den Eindruck erwecken, der Erpressungs-Taktik Erdogans nachzugeben.
“Niemand kann die Europäische Union erpressen und einschüchtern”, sagte Migrationskommissar Schinas in Berlin, wo er mit Kanzlerin Merkel den weiteren Kurs absteckte, natürlich hinter verschlossenen Türen.
Doch das ist nicht das einzige Dilemma. Außerdem ist da noch die ungelöste Frage, wer für eine „Reaktivierung“ des Merkel’schen Deals zahlen soll, wie sie vor allem in Deutschland gefordert wird.
Die Kanzlerin hat zwar Bereitschaft signalisiert, Erdogan mit neuen Milliardenhilfen unter die Arme zu greifen. Doch im EU-Budget ist kein Geld dafür da – nicht zuletzt, weil Merkel die Taschen zuhält.
Und eine direkte Überweisung in die türkische Staatskasse, wie sie Erdogan neuerdings fordert, galt noch bis vor kurzem als völlig undenkbar. Das wäre ja fast wie auf einem türkischen Basar!
Die EU müßte neue Hilfen also an Bedingungen binden – nur welche? Das Mindeste wäre, die Rücknahme der Migranten zu fordern, die Erdogan gen Griechenland schickt. Doch das traut sich keiner.
Und dann wäre da noch ein drittes Problem: Das zynische Junktim, das Erdogan herstellt, indem er die Flüchtlingshilfe mit seinem Angriffs-Krieg in Syrien verbindet, bereitet vielen große Bauchschmerzen.
Der türkische Sultan fordert ja nicht nur politische Rückendeckung für seinen Einmarsch in Nordsyrien, er will auch noch Hilfe beim Aufbau der so genannten Schutzzone in den türkisch besetzten Gebieten.
Wenn die EU geopolitisch denken und handeln würde, würde sie dies brüsk zurückweisen. Doch das traut sich auch keiner, jedenfalls nicht öffentlich.
Die meisten Staats- und Regierungschefs verlegen sich daher auf die einfachste (und scheinbar billigste) Lösung – und bekunden ihre Solidarität mit Griechenland.
Am Dienstag wollen sogar die Präsidenten der drei EU-Institutionen – von der Leyen, Michel und Sassoli – an die griechisch-türkische Landgrenze reisen.
Dort wollen sie sich mit dem griechischen Premier Mitsotakis treffen. Es soll ein Zeichen der Solidarität sein – und den Eindruck vermitteln, die EU habe die Lage irgendwie im Griff.
Derweil droht Erdogan schon damit, nicht nur Tausende, sondern über ein Million Flüchtlinge gen EU zu schicken. Man nennt das psychologische oder auch hybride Kriegsführung – doch psst, bitte nicht weitersagen.
Es könnte die Geheim-Verhandlungen stören, die gerade mit Erdogan laufen…
Siehe auch “Nie wieder 2015 – Nun ist es doch passiert” und das Update mit guten Nachrichten aus Berlin: “Kein neues 2015″
Watchlist
Welche Message bringen die drei EU-Präsidenten mit, wenn sie am Dienstag an die EU-Außengrenze in Griechenland reisen? Am Nachmittag ist eine Pressekonferenz geplant. Vielleicht wissen wir dann, ob die drei einen Plan haben. Und vielleicht erfahren wir auch, was sie von Wasserwerfern und Tränengas gegen Frauen und Kinder halten – und von der Aussetzung des Asylrechts in Griechenland!?
Was fehlt
- Erweiterung: EU-Kommission empfiehlt erneut Beitrittsgespräche mit Albanien und Nordmazedonien – und das kurz nachdem der albanische Präsident zum Sturz der Regierung aufgerufen hat, weil die dem organisierten Verbrechen nahe stehe…
- Flüchtlingspolitik: Österreich und Ungarn verkünden Einigkeit bei Kampf gegen illegale Migration – Orban hat einen neuen Partner gefunden – es ist der “schwarz-grüne” Kanzler Kurz…
- Post-Brexit: EU und Briten starten Verhandlungen über Handelsvertrag – Johnson gibt Brüssel nur bis Juni Zeit – dann will er entscheiden, ob er die Verhandlungen ohne Deal beendet…
- Handelspolitik: UK strategy for US trade talks promises to protect NHS, food safety standards – Das klingt ja schon fast wieder vernünftig…
- Coronavirus: EU-Parlament sagt 130 Veranstaltungen ab – Bei der Krisensitzung der EU-Kommission am Montag war davon noch keine Rede. Kann sich die EU nicht einmal selbst koordinieren? – Mehr hier
margarete52
4. März 2020 @ 13:35
die westliche “Wertegemeinschaft” und Friedensnobelpreisträger EU muss nun das auslöffeln, was sie sich mit der hündischen Gefolgschaft den USA gegenüber eingebrockt hat. In der Türkei befinden sich mehr Flüchtlinge als in der gesamten EU. Und durch die Kriegsspiele Erdogans in Syrien werden es immer mehr. Nun will Erdogan mehr Geld für seinen Krieg in Syrien und erpresst die EU. Dass die EU erpressbar geworden ist, das verdankt sie wiederum ihrer hündischen Gefolgspolitik gegenüber den USA. Schließlich haben die USA mit ihren unseligen regime changes diverse Staaten in der Region destabilisiert und Kriege angezettelt, die es nicht gäbe, wenn sich die USA, einschließlich ihrer Vasallen, sprich EU, aus den Angelegenheiten fremder Staaten heraus gehalten hätten. Nun bekommen wir die Quittung dafür. Aber bezahlen dürfen die Flüchtlinge. Denn diese werden aus ihrer zerstörten und zerbombten Heimat vertrieben und müssen in schlecht unterstützten Lagern dahin vegetieren.
Die Lage auf den griechischen Inseln ist bereits seit Jahren katastrophal und wird immer schlimmer, seit sich die Einheimischen nun noch gegen die Flüchtlinge wenden. Aber die Werteunion EU verweigert Griechenland seit Jahren jede Hilfe bei der Bewältigung des Flüchtlingsproblems. Nun eskaliert es! War früher oder später zu erwarten. Und was tut der Friedensnobelpreisträger EU? Er schaut weiter tatenlos dabei zu, wie Menschen sterben müssen, weil ihnen unsere Werteunion nicht helfen will. Was ist von einer Staatengemeinschaft zu halten die sich so menschenverachtend verhält? NICHTS!
Die EU braucht sich nicht über einen Erdogan zu beschweren, da sich sich selber keinen Deut besser verhält. Ich schäme mich für unser Deutschland und die EU 🙁
Holly01
3. März 2020 @ 08:52
Wenn da in der Presse steht das der Corona an allem Schuld sei, dem empfehle ich dies:
” https://ec.europa.eu/eurostat/documents/2995521/10159464/4-12022020-AP-DE.pdf/230feac2-5163-30ee-4953-85190a727d16 ”
Der Index auf Basis 2015 ist von 103,9% (12.18) auf 96,6% (12.19) abgesackt. Ganz und gar ohne Corona hat Deutschland bei der Industriepoduktion in den letzten 4 Jahren 7,3% verloren.
Da sich alles auf die Industrieproduktion als Basis bezieht (Import, Export, Gewinnerwartungen usa usf) würde ich extrem vorsichtig sagen:
” Die Zahlen der Bundesregierung zum deutschen Wachstum sind extrem optimistisch”.
Nun kommt Corona on top.
Das sieht bei allen OECD Staaten so aus, diese Korrektur an den Börsen war also mehr als überfällig.
Das Alles ganz und gar ohne Corona, Corona ist nur die storyline ….
vlg
Holly01
3. März 2020 @ 08:26
Schon erstaunlich. Die Türkei kann die türkische Grenze zu Syrien abriegeln. Das haben die gemacht und halten das durch.
Die EU kann aber die Grenze zur Türkei NICHT schließen.
Vielleicht sollten wir da know how einkaufen.
Ansonsten halte ich es für offensichtlich, die Türkei benutzt das Geld für seine militärischen Aktionen, die Flüchtlinge bekommen am Wenigsten davon.
Wenn man die Flüchtlinge mit Hilfe versorgen will, gibt es das UNHCR. Die wurden zwar auch extrem politisiert und haben immer wieder diese sonderbaren “Weisshelme” im Schlepp, aber immer noch besser als der Geldfilter durch das türkische Militär, der tatsächliche Hilfe nur verhindert.
Was ist eigentlich aus der UN Geschichte geworden, wo Merkel für Deutschland unterschrieben hat.
War das ein vollkommen unverbindlicher und rein formaler völkerrechtlicher Vertrag an den sich Deutschland nur halten MUSS?
Ich bin ja schon so gespannt …..
vlg
Peter Nemschak
3. März 2020 @ 08:14
Wenn man politisch und militärisch so schlecht aufgestellt ist wie die EU, hat man wenige Optionen. Durch den Wegfall der USA wird die schlechte Aufstellung deutlich sichtbar. Ohne USA hätte die EU weder am Balkan noch in Libyen die Herrschaftsverhältnisse ändern können. Dass ein Regimechange langfristig nicht immer das Zweckmäßigste ist, hat Libyen gezeigt. Dass militärische Optionen, wenn gezielt und mit einer klaren Strategie unterfüttert, wirkungsvoll sein können, muss die EU erst lernen. So konfliktreich das Verhältnis zwischen der Türkei und Russland ist, sind sich beide darin einig, wenn es darum geht der EU zu schaden. In Idlib haben daher weder die Türkei noch Russland besondere Eile. Die nationalen Interessen der Türkei in der Region decken sich nicht mit denen der EU. Das lässt sich mit Geld allein nicht lösen.