Wie Deutschland die EU ruiniert
Schaut man auf die Wirtschaftsdaten, konkurriert Deutschland gerade die Welt – oder zumindest die EU – in Grund und Boden. Auf Dauer kann das nicht gut gehen, eine neue Eurokrise ist programmiert. Ein Gastbeitrag.
Von Mister Ede
[dropcap]W[/dropcap]ährend sich die Zinslast der Länder der Eurozone von 2,8% des BIP auf 2,4% reduziert hat, konnte Deutschland sogar einen Rückgang von 2,7% des BIP auf 1,6% des BIP verzeichnen.
Zusätzlich zu den niedrigen Leitzinsen der EZB, die sich im Rückgang der Zinslastquote um 0,4 Prozentpunkte für die gesamte Eurozone ausdrücken, profitiert die BRD somit durch die Kapitalflucht aus Südeuropa von einem weiteren Rückgang der Zinskosten um ca. 0,7% des BIP, also etwa 20 Mrd. Euro pro Jahr.
Umgekehrt müssen allerdings andere Euroländer diese rund 20 Mrd. Euro mehr an Zinsen zahlen. Ähnliche Zinsvorteile gibt es daneben auch für hiesige Unternehmen oder Banken, die auf diese Weise im internationalen Wettbewerb eine bessere Ausgangslage haben als z.B. griechische Unternehmen.
Hinzukommt zu dieser Entwicklung das deutsche Lohn- und Sozialdumping seit der Jahrtausendwende, durch das die Produktionskosten in Deutschland gesenkt und gleichzeitige die Binnennachfrage niedrig gehalten wurde.
Dies hat zu erheblichen Exportüberschüssen bzw. Importdefiziten von knapp 2 Billionen Euro seit 2004 geführt, zu denen in diesem Jahr weitere grob 200 Mrd. Euro dazukommen werden.
Deutschland wird also von Anfang 2004 bis Ende 2016 über 2 Billionen Euro mehr an Waren und Dienstleistungen in die übrige Welt exportiert haben als von dort importiert – und für das Kapital gilt übrigens dasselbe.
Hierbei hilft Deutschland auch noch, dass der Euro wegen der anderen kränkelnden Wirtschaften im Euroraum relativ schwach ist und deutsche Unternehmen so die Exportpreise niedrig halten können – ein Schelm, wer böses dabei denkt.
Den deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble dürfte es zumindest freuen, dass auf der einen Seite die Zinskosten des Bundes, aber auch des Staates insgesamt, auf ein historisches Tief zurückgegangen sind und auf der anderen Seite die Steuereinnahmen dank des Exportgeschäfts kräftig um 12,4% von 551,8 Mrd. Euro im Jahr 2012 auf 620,3 Mrd. Euro im Jahr 2015 gestiegen sind.
Und auch bis zum Sommer 2016 hat sich dieser Trend fortgesetzt, so dass das Steueraufkommen in Deutschland um weitere 5,6% gegenüber dem Vorjahreszeitraum angestiegen ist.
Werden diese Spielräume nun allerdings nicht genutzt, um die Binnennachfrage hierzulande zu stärken, werden die entstandenen Spielräume vermutlich wieder durch ein kollabierendes Euro-Land aufgezehrt.
Auch wenn in Deutschland zurzeit Arbeitsplätze entstehen und die Steuereinnahmen sprudeln, ist deshalb zu bezweifeln, dass es auf lange Sicht sinnvoll ist, immer wieder Länder erst gnadenlos nieder zu konkurrieren und dann zu retten.
Dieser Beitrag ist ein Crosspost vom Blog Mister-Ede, das Origial steht hier. Siehe zu diesem Thema auch „Deutschland, das China der Eurozone“ und „Maximale Überschüsse, minimales Wachstum
Peter Nemschak
17. Oktober 2016 @ 20:50
@Winston Kapitalismus ohne Staat hat es nie gegeben.
kaush
17. Oktober 2016 @ 16:10
Privatisierung: Man entlässt viele angeblich unproduktive MA und stellt dafür einige wenige unproduktive MA ein. Nennt sich dann z.B. Vorstand. Diese werden dann extrem überbezahlt. Praktisch ein bedingungsloses Grundeinkommen – in siebenstelliger Höhe – für einige wenige.
kaush
17. Oktober 2016 @ 08:45
Es ist schlicht ein politischer und ökonomischer Schwachsinn, Länder mit komplett unterschiedlichen Ökonomien, unterschiedlichen Sozialstandards, unterschiedlichen Steuersystemen in eine Währungsunion zu pressen.
Das kann nicht funktionieren.
Und was hier Rettung genannt wird, ist doch nur feinstes Neusprech.
Wenn der griechische Staat, infolge dieser „Rettung“, Staatseigentum privatisieren muss und deutsche Staatsunternehmen (z.B. Fraport) sich das dann unter den Nagel reisen, ist das für mich eine Form von Wirtschaftskrieg. Diese s.g. Rettung ist ein Raubzug.
Peter Nemschak
17. Oktober 2016 @ 12:46
Was die Problematik einer Währungsunion von so ungleichen Wirtschaften betrifft, wie sie im Euro versammelt sind, gebe ich Ihnen recht. Dass der Staat kein guter Unternehmer ist sollen alle jene zur Kenntnis nehmen, die vom Sozialismus schwärmen. Staaten als Unternehmer produzieren tendenziell versteckte Arbeitslosigkeit. Das konnte man bei Privatisierungen deutlich sehen, wenn unproduktive Mitarbeiter gekündigt wurden.
Winston
17. Oktober 2016 @ 18:51
@ Peter
Es gäbe heute keine US High-tech Industrie ohne den US Staat.
Apple, Microsoft, Twitter, Facebook, und und und leben von übernahmen von hervorragenden und sehr innovativen US Start-Ups von US Studenten, die wiederum stark vom Staat subventioniert werden.
Von der Rüstungsindustrie kam schon so manche innovation. Die Rüstungsindustrie ist staatlich.
70% des Deutschen Bankensystem ist staatlich, bzw. gehört den Ländern.
Diese ganze Verteufelung des Staates ist Neoliberaler Bullshit. Eine Ideologie, ein Dogma und nix anders. Angefangen hat das Anfang 80er Jahre und ist heute im Westen fest zementiert. Wenn der Westen nicht aufpasst und dieser ganze Neoliberaler Blödsinn nicht über Bord wirft, wird der Westen Schiffbruch erleiden und untergehen, zugunsten Chinas und Russlands. Russland und vor allem China betreiben die gleiche Wirtschaftspolitik die der Westen zwischen 50er und 80er Jahre betrieb.
1950 bis 1980 war die Wirtschaftspolitik im Westen sehr stark Keynesianisch geprägt. Der Westen blühte regelrecht auf, kein vergleich zu heute.
Winston
17. Oktober 2016 @ 18:55
Kapitalismus ohne Staat wird schneller untergehen als der Real existierende Sozialismus der ehemaligen Sowjetunion.
mister-ede
17. Oktober 2016 @ 19:07
@kaush
Die Griechenland- oder Irland-Hilfe war eine verkappte Bankenrettung. Allerdings spricht man auch im Zusammenhang mit schlimmsten Verbrechen von „Säuberungsaktionen“. Und Sie müssen zugeben, dass auch Sie sofort verstanden haben, welcher Vorgang mit „Rettung“ gemeint war.
Nachdem Sie es genau nehmen, noch der Hinweis, dass nicht die griechischen Flughäfen, sondern lediglich die Betriebsrechte für einige Jahrzehnte an Fraport verkauft wurden. Neben dem Verkaufserlös für diese Rechte erhält Griechenland dafür jedes Jahr einen Festbetrag und dazu einen Gewinnanteil. Außerdem muss Fraport ordentlich in die Flughäfen investieren.
Lina
19. Oktober 2016 @ 13:16
@mister-ede
„Neben dem Verkaufserlös für diese Rechte erhält Griechenland dafür jedes Jahr einen Festbetrag und dazu einen Gewinnanteil. Außerdem muss Fraport ordentlich in die Flughäfen investieren.“
Yep! Griechenland sollte bei so einem tollen Vertag DANKBAR sein, gelle?
„…So sieht der Vertrag vor, dass der griechische Staat Flughafenmitarbeiter entschädigen muss, die Fraport nicht weiterbeschäftigt. Werden Beschäftigte bei Arbeitsunfällen verletzt oder sterben, muss ebenfalls der Staat zahlen. Sollten durch Gesetzesänderungen (etwa im Arbeitsrecht) zusätzliche Betriebskosten entstehen, muss die Regierung Fraport entschädigen. Das Unternehmen hat auch Anspruch auf Entschädigung bei Streiks. Die Kosten für Reparaturen oder Ersatz alter Maschinen muss während der gesamten Vertragszeit der Staat tragen. Dasselbe gilt für Schulden und Bankkredite bei Vertragsende. Planungs- und Umbaukosten darf der Konzern ebenfalls auf den Staat abwälzen. Er kann den bisherigen Vertragspartnern und Mietern in den 14 Flughäfen kündigen und neue Lizenzen vergeben – die gekündigten Firmen muss wiederum der griechische Staat entschädigen.
Damit nicht genug: Den Menschen in Griechenland kommt kein Cent vom Ausverkauf der 14 Flughäfen zugute. Der Erlös wird komplett in die Taschen der Gläubiger fließen. Ausgerechnet der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble bestand darauf, 50 Milliarden Euro als Erlös aus den De-facto-Privatisierungen anzusetzen, wobei die ersten 25 Milliarden Euro komplett in den Schuldendienst gehen müssen…“
Mit „Gläubigern“ meint der Schäuble wohl die Deutsche Bank“.
😉
P.S.:
Das Ganze ist ein Vorgeschmack auf CETA, TTIP und Co.
mister-ede
4. Januar 2017 @ 22:08
@kaush / @Lina
In meinem Blog habe ich nochmal dargestellt, warum der Fraport-Deal durchaus positiv zu bewerten ist. Das heißt ja nicht, dass deshalb die Austeritätspolitik richtig ist.
http://www.mister-ede.de/wirtschaft/fraport-deal-mit-griechenland/5941
Peter Nemschak
16. Oktober 2016 @ 20:54
Soll Deutschland aus Mitleid mehr für seine Staatsschulden zahlen? Gäbe es den Euro nicht, gäbe es trotzdem ein Zinsdifferential zugunsten Deutschlands. Das gab es übrigens schon einmal. Die DM-Zinsen waren vor Einführung des Euro nachhaltig niedriger als die Zinsen in FFR und Ital.Lira. Es wird Zeit, dass sich die Schwachen nach oben strecken. Die Menschen im Süden sind auch nicht dümmer als die im Norden.