Gleiche Rechte für alle – und Deutschland zahlt?
Europas Krisen können spannende Debatten auslösen. Zum Beispiel zwischen Ex-Kanzlerkandidat P. Steinbrück (SPD) und U. Guérot, der Vorkämpferin für die “europäische Republik”. Beim “EuropaCamp” in Hamburg trafen sie aufeinander.
Steinbrück machte den ersten Aufschlag. Europa befinde sich nicht in einer Krise, sondern in einer “Zeitenwende”. Mit einem aggressiven Russland und einer unzuverlässigen USA müsse sich die EU neu aufstellen.
Gemeinsame Verteidigung, neue Afrikapolitik, neue Flüchtlingspolitik – das sind nur drei Punkte auf Steinbrücks 6-Punkte-Agenda. Damit habe die EU alle Hände voll zu tun, so der ehemalige Finanzminister.
Für U. Guérot war das alles zu kleinteilig. Sie fordert nicht nur die “europäische Republik”, sondern – als Antwort auf Frankreichs Macron – auch eine gemeinsame Sozialversicherung. Schon 2025 soll sie starten.
Man müsse sich ein Datum setzen und dann loslegen, so die Essayistin (“Der europäische Bürgerkrieg”). Genauso habe es die EU bei der Einführung des Euros gemacht. Warum sollte es nicht auch diesmal gehen?
“Das ist nackter Wahnsinn”, hielt Steinbrück dagegen. Es sei ja eine schöne Idee, dass die Deutschen für die Arbeitslosen in Kroatien oder Griechenland zahlen. Doch wie wolle man dafür eine Mehrheit organisieren?
Buhrufe für Steinbrück, Beifall für Guérot. Doch dann wurde das Publikum nachdenklich. Schließlich gibt es bisher ja nicht einmal eine Mehrheit dafür, eine gemeinsame Einlagensicherung zu schaffen.
Von “Bild” bis “FAZ” mobilisiert das Establishment gegen die “Vergemeinschaftung der Schulden”. Und Kanzlerin Merkel setzt dem nichts entgegen, im Gegenteil: Sie steht bei der Einlagensicherung auf der Bremse.
Guérot traf die Stimmung, Steinbrück brachte es auf den Punkt.
Peter Nemschak
4. Februar 2018 @ 09:53
Warum hat sich die SPD nicht für Steinbrück sondern für Schulz an ihrer Spitze entschieden? Ersterer hätte ein ungleich größeres intellektuelles und politisches Gewicht auf die Waage gebracht.
Claus
4. Februar 2018 @ 13:53
Deutscher Bundestag, Online-Dienst:
„Peer Steinbrück: „Ich kann das Wort „Nein“ wieder buchstabieren“
Bundestagswahlkampf 2017 nicht mehr „sein Ding“
Jetzt zieht sich Peer Steinbrück aus einem langen und intensiven Leben in und mit der Politik zurück. Schon nach der verlorenen Bundestagswahl 2013 hatte er sich das Ziel gesetzt, eigentlich Mitte der Legislaturperiode zurückzutreten. „In der Verliererrolle als Spitzenkandidat der SPD vor drei Jahren konnte ich mir nicht vorstellen, mich an einem weiteren Bundestagswahlkampf im nächsten Jahr mit notwendigen Zuspitzungen zu beteiligen. Das ist nicht mehr mein Ding“, sagt Steinbrück.“
Ein kluger und integrer Mann. Was er einmal sagt, das gilt.
Anonymous
3. Februar 2018 @ 17:01
U. Guérot hätte wahrscheinlich gegen ein kleines, feines Ermächtigungsgesetz gar nicht mal so viel auszusetzen, um das EUropa-heilsgeschichtlich Notwendige durchsetzen zu können…?
Peter Nemschak
3. Februar 2018 @ 16:14
Wie soll bei einer Vergemeinschaftung der Schulden sichergestellt werden, dass nicht manche am Rücken der anderen es sich gut gehen lassen? Wie löst man das Problem des Trittbrettfahrens? Fazit: eine Vergemeinschaftung von Schulden darf es nur in Bereichen geben, in denen die Verantwortung und der Nutzen aus der Verschuldung und Mittelverwendung klar zurechenbar sind. Daher muss es eine Rangordnung der Haftung geben, wobei die supranationale Haftung erst nach Ausschöpfen der nationalen Haftungen zum Zug kommen darf. Sonst entsteht Verantwortungslosigkeit.
ebo
3. Februar 2018 @ 16:34
Von einer Vergemeinschaftung der Schulden war keine Rede, auch nicht bei Guérot. Es geht um eine gemeinsame Sozialversicherung, wie sie unter bismarck in Deutschland eingeführt wurde – was wesentlich dazu beitrug, das Deutsche Reich zusammenzuhalten.
Peter Nemschak
3. Februar 2018 @ 16:41
Eine gemeinsame Sozialversicherung muss im Hinblick auf das unterschiedliche Leistungsniveau der Volkswirtschaften verteilungsneutral gestaltet werden. Sonst wird sie politisch nicht durchsetzbar sein. Entscheidend sind Impulse, welche den Aufholprozess der Nachzügler beschleunigen.
Oudejans
3. Februar 2018 @ 00:19
Man denke in folgende Richtung: Europäische Sozial(Gesundheits-/Renten-/Alo-)versicherung ja, aber als wachsendes Zubrot. Eine EUSV, die über vielleicht dreißig Jahre in die Rolle wächst, die heute die nationalen SVen ausfüllen. In dieser Übergangsperiode werden die Ansprüche und Pflichten (Beiträge) der einzelnen Rechtssubjekte aus einem regredienten (alten) nationalen System und einem progredienten (neuen) EU-System additiv ermittelt. In einigen Ländern entstehen so überhaupt erst Ansprüche, in den Ländern mit bestehenden oder gar komfortablen Systemen gibt es eine lange, weiche Landung, ohne daß deren Einwohner dem Eindruck anheimfielen, den Gegenwert bereits geleisteter Beiträge der Vergangenheit nun an unbestimmte Gruppen außerhalb des Hoheitsgebiets zu verlieren.
Claus
2. Februar 2018 @ 23:09
Wer auch immer die Kạnapees auf dieser Tagung gesponsored hat – hört man sich nach U. Guérot um, findet man wenig Substantielles, außer dass sie ihrem kleinen Geschäftsmodell namens „Vereinte Staaten von Europa“ unter dem Mäntelchen eines fragwürdigen „European Democracy Lab (EDL)“ nachzugehen scheint und auch auf ähnlichen Veranstaltungen herumgereicht wird wie ein Wanderpokal.
Gräbt man dann etwas weiter, scheinen sich auch Verbindungen aus Richtung George Soros und seiner Open Society-Aktivitäten zu offenbaren. Also alles das, was man in einer seriösen Veranstaltung nicht braucht.
ebo
3. Februar 2018 @ 08:39
Organisiert und finanziert wird das Europcamp von der ZEIT-Stiftung. Wie kommen Sie darauf, Soros stehe dahinter – und was wäre daran zu beanstanden?
Claus
3. Februar 2018 @ 19:37
Einfach mal bei Google die Begriffe „Soros“ und „Guérot“ verknüpfen, und schon springen dem interessierten Leser ca. 19.800 Treffer entgegen, in denen beide offenbar etwas miteinander zu tun haben. Dies nicht nur bei „European Democracy Lab (EDL)“,sondern auch im Berliner European Council on Foreign Relations (ECFR), das auch von Soros alimentiert wird. Wie auch in anderen Kombinationen. Und wenn die ZEIT-Stiftung etwas zu Europa oder EU macht oder schreibt, scheinen Frau Guérot und ihre steilen Thesen meistens nicht weit weg zu sein. Alles Zufall?
Und zumindest in meiner Wahrnehmung ist George Soros nicht der Philanthrop und selbstlose Mäzen, als der er sich vermutlich selbst gern sieht.
Itchy Balzac
4. Februar 2018 @ 11:59
Joffe hat sich ja damals so aufgeregt, daß ‘die Anstalt’ seine Verquickungen ans Licht gezerrt hat. Dabei hatten die seine exponierte Rolle bei Bilderberg noch nicht mal erwähnt. Und was Bilderberg, CFR, ECFR, Atlantikbrücke, OpenSociety Foundation, Bertelsmann et al mit der alten Elitenvision einer ‘Neuen Weltordnung’ unter dem freimaurerischen Motto ‘ordo ab chao’ zu tun haben, ist fast lückenlos historisch nachvollziehbar. Aber hey, wir haben ja nen Aluhut auf, also hört bloß nicht auf uns Spinner. Die Guerot hat doch so schöne Locken.. ausgeschlossen, daß sie mit jenen Kräften DIREKT kooperiert, die an anderer Stelle aus strategisch-humanitären Gründen gerne auch mal Söldnerfirmen wie Blackwater in Academi oder Al Qaida in Al Nusra umlabeln, bevor dann TOWs und Sarin geliefert werden.
Peter Nemschak
2. Februar 2018 @ 20:12
Guérot konnte nicht überzeugen. Wo ist der Vorteil für jeden von uns, wenn man das verfolgt, was Guérot sich wünscht? Daran muss sich ein föderales Europa messen lassen. Sonst bleibt es Utopie. Hat Steinbrück so unrecht? Solidarität gibt es nur dann, wenn sie letztlich zum eigenen Vorteil ist. Das war seinerzeit das Motiv für die Gründung von Gewerkschaften.