Die Tricks des Musterschülers

Die EU-Kommission zweifelt mal wieder an den griechischen Statistiken. Doch in anderen Ländern scheint sie ein Auge zuzudrücken. Dabei schummeln auch die “Musterschüler” – wie das Beispiel Irland zeigt.


Von Norbert Häring

[dropcap]I[/dropcap]rlands Wirtschaft ist 2015 angeblich um phänomenale 26 Prozent gewachsen.

Anhand dieser Zahl lässt sich nicht nur zeigen, wie das Steuerdumping die Statistiken verfälscht, sondern auch, wie die Regierungen überall die Statistik-Standards so setzen, dass das Volk mit hohem Wachstum beglückt wird – auf dem Papier. Vorreiter sind die USA.

Wer den irischen Nationaldichter James Joyce gelesen hat, weiß, dass die Iren ein Faible für schwierige Dichtung haben. Was das nationale Statistikamt am 12. Juli präsentierte, schien genau in diese Kategorie zu passen.

Die erste Schätzung für das Wirtschaftswachstum 2015 wurde von 7,8 Prozent auf 26,3 Prozent hochgesetzt. Zum Vergleich: Die privaten Konsumausgaben der Iren nahmen nur um 4,5 Prozent zu, der Staatskonsum um ein Prozent.

Viel von dem zusätzlich erwirtschafteten Einkommen scheint aus etwas zu bestehen, wovon sich kein Ire etwas kaufen kann.

In ihrer Pressemitteilung machten die Statistiker deutlich, dass diese Statistik “gemäß den neuesten EU-Standards ESA 2010 erstellt wurde”.

Die absurde Wachstumszahl entlarvt durch Übertreibung, wie die neuen Standards das Wirtschaftswachstum künstlich nach oben treiben und so die Wirtschaftspolitik der Regierungen in besserem Licht erscheinen lassen.

Eine der Änderungen war es, mehr Ausgaben zu den Investitionen zu zählen, insbesondere Rüstung und Entwicklung. Weil das Wachstum als Brutto-Inlandsprodukt (BIP) gemessen wird, mit der Betonung auf “Brutto”, werden Investitionen doppelt gezählt.

Denn brutto heißt, die Abschreibungen für Abnutzung werden nicht abgezogen. Die Leistungsabgabe jedes Jahr wird registriert – etwa Landesverteidigung – , der Gegenposten der Wertminderung aber nicht berücksichtigt.

Irland hat, wie der Dubliner Ökonomieprofessor Aidan Regan darlegt, sei Jahrzehnten Unternehmen aus der Pharma- und IT-Branche angelockt, bei denen Lizenzen und Patente eine große Rolle spielen.

“Die offiziellen Zahlen reflektieren die wirkliche irische Wirtschaftsentwicklung etwa so gut wie Pokémon Go die wirkliche Geografie der Welt abbildet”, kommentierte Regan die Daten.

Exportschlager Steuervermeidung

Die absurd hohe Wachstumszahl ist von Investitionen getrieben. Vor allem “intangible Kapitalgüter” wurden stark erhöht, also etwa Know-how und Patente.

Doch auch die Zunahme des Kapitalstocks in der Industrie verdoppelte sich fast von 5,9 Milliarden Euro auf elf Milliarden Euro.

Statistiker und Ökonomen sind sich einig, dass hinter den exorbitanten Investitionszahlen vor allem drei Steuervermeidungsstrategien internationaler Konzerne stehen.

Große Multinationals regieren auf die Kampagne gegen Steuerparadiese, indem sie ihren Firmensitz in ein als noch respektabel geltendes Niedrigsteuerland wie Irland verlegten oder Patente und Lizenzen an eine Tochter dort übertragen.

In Irland ist zum 1. Januar eines der ersten Patentbox-Gesetze in Kraft getreten. Es erlaubt, entsprechende Einnahmen in Irland vor der Steuer zu schützen.

Also transferieren internationale Konzerne ihre Patente oder gleich ihren steuerlichen Sitz nach Irland. Von der Softwarefirma Apple gibt es Berichte, dass sie das getan habe.

Die Verlagerung geschieht gern dadurch, dass große US-Konzerne kleinere irische Unternehmen kaufen und diese zur Konzernmutter erklären.

“Bemerkenswerterweise wird die Zunahme des intangiblen Kapitalstocks in Irland, die mit dieser Verschiebung auf dem Papier verbunden ist, als Investition gezählt”, bemerkt Regan.

Allerdings gelten, wie John FitzGerald vom Economic and Social Research Institute in Dublin hinzufügt, die intangiblen Kapitalgüter als importiert, was die Importe nach oben treibt.

Das ist erst einmal ein gleich hoher Abzugsposten beim BIP. Was bleibt, ist die Doppelzählung der Leistungsabgabe des erhöhten Kapitalstocks aufgrund der Bruttorechnung.

Eine zweite Gruppe von Steuervermeidern sind Flugzeugleasingfirmen. Sie siedeln sich gern in Irland an, weil sie dort kaum Steuern bezahlen müssen.

Damit landen riesige Flugzeugflotten, obwohl sie von Fluggesellschaften in anderen Ländern gemanagt werden, in den irischen Büchern.

Die weltgrößte Flugzeugleasingfirma AerCap verlagerte Anfang 2015 ihren Sitz nach Dublin, was Irlands Kapitalstock um fast 40 Milliarden Euro anwachsen ließ.

Patrick Honohan, bis vor kurzem Zentralbankchef in Irland, drängt darauf, Leasingfirmen als Finanzunternehmen zu behandeln. Dann würden nur die bescheidenen Kosten und Erträge der Firma in die Statistik eingehen.

Bei genauem Hinsehen haben auch viele der Investitionen in Maschinen und Anlagen wenig mit der irischen Wirtschaft zu tun. Denn dahinter steht oft Vertragsproduktion.

Dabei führt ein multinationales Unternehmen seine Bücher in Irland, die Produktion finden jedoch in anderen Ländern statt. In dem Moment, in dem der gesellschaftliche Sitz dieser Aktivitäten nach Irland verlagert wird, nimmt der irische Kapitalstock entsprechend zu, und die Differenz wird als Investition gebucht.

Ein solcher Fall war die Übernahme der irischen Medizintechnikfirma Covidien durch den größeren US-Konkurrenten Medtronic, der danach seinen Sitz nach Dublin verlagerte.

Ähnlich ging der Botox-Hersteller Allergan vor. Wäre dasselbe dem US-Giganten Pfizer nicht untersagt worden, das irische Bruttoinlandsprodukt wäre in die Stratosphäre geschossen.

Irland taugt nicht als Vorbild

Irland ist ein spezieller Fall, den man anderen peripheren Krisenländern nicht als Vorbild vorhalten sollte, mahnt Aidan Regan. Denn diese hätten weder die englische Sprache noch die jahrzehntelange Ansiedlungspolitik, die ihnen ein Nachahmen Irlands ermöglichen würde.

“Irlands Wirtschaftserholung hatte nichts mit Austerität und Lohnsenkungen zu tun, aber alles mit Niedrigsteuern und Anwerbung attraktiver Branchen”, stellt Regan in einer Studie mit einem Kollegen fest.

Eine weitere Lehre: Zahlen in Relation zum BIP sind suspekt und sollten wenn möglich durch sinnvollere Relationen ersetzt werden. So sank die irische Staatsschuld in Relation zum BIP 2015 von 94 auf 78 Prozent. Bei der Staatsschuld im Verhältnis zu den Staatseinnahmen wäre deutlich weniger Verbesserung registriert worden.

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