Gaskrise: Der Wirtschaftskrieg gegen Russland fällt auf Deutschland zurück
Nach dem Hilferuf des größten deutschen Gasimporteurs „Uniper“ fürchtet die Bundesregierung eine Kettenreaktion. Offenbar ist Berlin doch nicht so gut auf die Gaskrise vorbereitet wie behauptet.
Die Gaskrise in Deutschland nimmt bedrohliche Ausmaße an. Nach dem Hilferuf des größten deutschen Gasimporteurs „Uniper“ fürchtet die Bundesregierung eine Kettenreaktion.
Wirtschaftsminister Robert Habeck warnte vor einer möglichen „Preisexplosion“ bei den Stadtwerken. Niemand wisse, ob Russlands Präsident Wladimir Putin die Gaslieferungen nach Deutschland wirklich stoppe.
Man habe es vor dem Hintergrund des russischen Überfalls auf die Ukraine mit „einer quasi wirtschaftskriegerischen Auseinandersetzung“ zu tun, empörte sich Habeck bei einer Veranstaltung der „Zeit“.
Die Empörung wirkt allerdings reichlich deplatziert. Schließlich hatte Habeck bisher immer behauptet, er sei auf alle Evantualitäten vorbereitet. Seit seinem ersten Arbeitstag habe er sich auf eine Gaskrise vorbereitet.
Offenbar hat er den Ernstfall dann aber doch nicht eingeplant. Putin werde brav weiter das Gas nach Deutschland liefern, so die naive Annahme in Berlin. Und wenn die Gasspeicher im Herbst voll sein würden, wäre man nicht mehr erpressbar.
Das hat Habeck so oft und so laut hinausposaunt, dass er geradezu als Einladung verstanden werden konnte, den Gaszufluß schon früher zu kappen. Genau das ist nun bei Nordstream 1 passiert.
Doch nicht etwa Putin hat den Wirtschaftskrieg begonnen – der Westen war es. Erst hat Habeck das Genehmigungsverfahren für Nord Stream 2 gestoppt – jetzt hätte man die zweite Röhre gut brauchen können!
Dann begannen die USA und die EU mit Sanktionen gegen Kohle, Öl und Gas aus Russland. Spätestens beim Ölembargo, das die EU im Juni verhängt, war klar, dass Putin darauf reagieren würde.
Nun ist es so weit – und die Folgen schlagen voll auf Deutschland durch…
Siehe auch: „Deutsche Handelsbilanz im freien Fall„. Mehr zum Wirtschaftskrieg hier
P.S. Auch peinlich für Habeck: Die Ölimporte aus Russland lagen im Mai offenbar mehr als doppelt so hoch wie erwartet. Laut einem Bericht der „Welt am Sonntag“ lag der Anteil bei knapp 28 Prozent, Habeck hatte von nur noch zwölf Prozent gesprochen. Damit steht aber auch das Ölembargo auf wackligen Füßen…
Thomas Damrau
4. Juli 2022 @ 11:34
Alles, wie schon seit Jahrzehnten gewohnt: Wir stolpern planlos von einer Krise in die andere.
Das Prinzip ist immer dasselbe: Basierend auf der optimistischten Annahme planen und keinen Plan B in der Schublade.
Wir erleben das permant bei der Aufheizung der Atmosphäre: „Irgendeine Wundertechnologie, eine gigantische Steigerung bei der Verfügbarkeit der erneuerbaren Energien, wird uns schon aus der Bredoullie helfen.
Und ähnlich lief es beim Thema NATO-Osterweiterung: „Die Russen haben zwar seit 1994 gemerkert, aber ernsthaft dagegengehalten haben sie nicht. Wird wohl auch weiter so gehen.“
Dass irgendwann aus Drohung Handeln werden könnte, hat niemand in Erwägung gezogen – obwohl alle wussten, dass Putin im Zweifelsfall brutal sein kann.
Selbst nachdem es 2014 zum ersten Mal geknallt hat, haben die USA die Ukraine weiter ermuntert, mit dem Feuer zu spielen. Und nachdem es seit Anfang des Jahres wirklich brennt, geht es mit den abenteuerlichen Selbsttäuschungen weiter:
– Die brutalst-möglichen Sanktionen werden Putin schnell in die Knie zwingen: Kein Gedanke, dass die Nachfrage nach Energie und Rohstoffen weltweit immer noch genug ist, so dass Russland andere Vertriebskanäle offen stehen. Kein Gedanke, dass die EU genauso abhängig von Russland ist wie umgekehrt. „Wir schon gut gehen.“
– Wenn uns in der EU die Verbraucherpreise davonlaufen, werden die Bürger schon einsehen, dass ihr Lebensstandard für eine gute Sache schrumpft. Im Zweifelsfall müssen wir halt wieder Geld drucken, um Unruhen zu vermeiden.
– Der Rest der Welt hat keinen sehnlicheren Wunsch, als bei der Streiterei zwischen zwei imperialistischen Mächten im Niedergang (USA und Russland) Partei zu ergreifen. Vor allem, wenn auch die ehemaligen Kolonialmächte (EU) so nett um Unterstützung bitten.
– Der Rest der Welt hat keinen sehnlicheren Wunsch, als den Ersatzlieferanten für Energie und Rohstoffe zu spielen.
– Wenn wir nur an den guten Willen der Bevölkerung appellieren, wird der Energiebedarf schon sinken.
– Wenn wir der Ukraine nur genügend Waffen liefern, kann die Ukraine Russland besiegen: Keine Überlegung, was „Sieg“ konkret bedeuten soll. Kein Gedanke, ob eine militärische Niederlage Russlands wirklich Frieden bedeuten würde. Kein Gedanke, wie sehr ein möglicherweise jahrelanger Krieg auf dem Gebiet der Ukraine dem Land die Existenzgrundlagen entzieht. „Der Endsieg ist sicher.“
Ich wünsche mir endlich Politiker, die nicht unter dem Motto „Wir stehen auf der Seite der Gerechtigkeit und daher wird uns der liebe Gott schon helfen“ das Denken einstellen. Vermutlich ein vergeblicher Wunsch.
ebo
4. Juli 2022 @ 12:05
Treffend auf den Punkt gebracht, danke!
Burkhart Braunbehrens
4. Juli 2022 @ 10:49
Die einzige, die in diesem Bloc nicht die Orientierung verloren hat, ist Kleopatra.
ebo
4. Juli 2022 @ 11:03
Dies ist kein Bloc, sondern ein Blog.
Das kommt von Weblog und heißt so viel wie Netztagebuch.
Bei „Lost in EUrope“ geht es um Artikel zur Europapolitik, die sie in anderen Medien nicht finden. Wenn Sie lieber dem Mainstram folgen, empfehle ich die Blogs der EU-Kommission. Ihnen dürften vor allem die Text von J. Borrell gefallen, z.B. dieser hier:
The geo-political imperative for the EU is to both widen and deepen
Pjotr56
5. Juli 2022 @ 11:37
Kleopatra repräsentiert exakt den Teil unserer Bevölkerung, der uns diesen Mist letztlich einbrockt, indem sie die entsprechende/n Polkitik/er unterstützt:
Von nichts eine Ahnung, aber zu allem eine Meinung.
Übrigens: Während wir Gasnotfallpläne schmieden, exportieren wir massenweise Erdgas nach Polen
https://www.nachdenkseiten.de/?p=85534
ebo
5. Juli 2022 @ 12:29
Da muß ich Kleopatra in Schutz nehmen: Er kennt sich sehr gut mit der EU-Politik aus!
Kleopatra
4. Juli 2022 @ 09:48
Wozu „hätte man die zweite Röhre (also NS 2) gut brauchen können“? Worum es geht, ist doch, dass Gazprom als Instrument der russischen Außenpolitik bzw. Wirtschaftskriegführung kein Gas liefert; und wenn Gazprom kein Gas liefert, ist irrelevant, durch wie viele Röhren kein Gas strömt.
ebo
4. Juli 2022 @ 09:54
Zur Gasdurchleitung. NS1 ist wegen (angeblicher) Wartungsarbeiten gestört, also könnte man NS2 nutzen, um Gas nach Deutschland zu leiten.
Kleopatra
4. Juli 2022 @ 10:31
Dass es an technischen Schwierigkeiten liegt, glauben Sie ja nach Ihren eigenen Worten nicht („angeblich“!). Wollen Sie suggerieren, wenn NS2 zugelassen würde, würde Gazprom sich nicht trauen, seine Gaslieferungen einzuschränken?
Alle Argumente, Russland habe geliefert und werde liefern, stützen sich auf deutsche Erfahrungen aus dem kalten Krieg. Andere Staaten, auch EU-Mitglieder, haben bereits vor Jahren ihre Erfahrungen mit Gazprom als russischem Erpressungsinstrument gemacht; und im Kalten Krieg war klar, dass die westlichen Staaten Sowjetrusslands Anspruch, ungehindert jederzeit in „ihrem Machtbereich“ in jedes Land einzumarschieren und die dortige Bevölkerung beliebig zu unterdrücken und umzubringen, respektieren. Diese Prämisse liegt seit Anfang der 1990er Jahre nicht mehr vor, daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass Russland jederzeit Gas liefert, wenn es dazu in der Lage ist, zumal durch eine Einstellung der Gaslieferungen vor allem die einfachen Leute in Russland leiden, und die waren russischen Staatsführungen immer egal.
ebo
4. Juli 2022 @ 10:58
Seit die EU angekündigt hat, sich von allen fossilen Energie aus Russland „unabhängig“ machen zu wollen, ist auch das Gas ein Politikum. Dass Moskau darauf reagieren würde, war absehbar. Es ist daher unglaubwürdig, wenn Habeck und andere EU-Politike so tun, als seien sie unschuldige Opfer. In Wahrheit hat die EU mit dem Wirtschaftskrieg angefangen.
Abgesehen davon gibt es auch noch das Wartungsproblem bei NS1. Und da ist von kanadischen Sanktionen auf nötige Ersatzteile die Rede. Wenn das der Hintergrund it, so wäre der Fehler bei Kanada und der EU zu suchen…
Hier ein Bericht aus dem „Tagesspiegel“: Eine bei Nord Stream 1 fehlende Turbine kann wegen der Sanktionen nicht von Kanada nach Russland geliefert werden. Kanada will aber einen Weg finden.
Kleopatra
4. Juli 2022 @ 14:31
In einem Punkt stimme ich Ihnen zu: Es ist (und war immer) naiv, gegen Russland Wirtschaftssanktionen zu verhängen und sich gleichzeitig einzubilden, die Russen würden das uns gegenüber nie tun. Die ersten EU-Sanktionen gegen Russland stammen jedoch aus dem Jahr 2014 und waren eine Antwort auf die Krim-Annexion bzw. den Abschuss des Verkehrsflugzeugs durch Russlands „separatistische“ Verbündete im Donbass. Dass Deutschland noch danach die Vereinbarung über NS2 mit Russland abgeschlossen hat, anstatt möglichst unauffällig die Gasversorgung zu diversifizieren, dass der deutsche Staat sogar den Verkauf von Gasspeicherkapazität an Gazprom zugelassen hat (obwohl das sogar der Freihandelsideologie widerspricht, nach der eigentlich strikt zwischen dem Eigentum an der Infrastruktur und dem Gashandel selbst zu trennen ist), spricht für die Naivität und Dummheit der beteiligten Politiker, jedoch betrifft das vor allem die früheren Regierungen; die jetzige hätte außer einem weniger großspurigen Auftritt nicht mehr viel ändern können, somit sind vor allem SPD und Merkel verantwortlich, nicht die Grünen.
ebo
4. Juli 2022 @ 14:44
In diesem Punkt stimme ich Ihnen zu! Nach 2014 noch in Russland „Business as usual“ zu machen, war grob fahrlässig.
Dem lag allerdings keine spezielle Russland-Freundlichkeit der SPD oder Merkels zugrunde, sondern der tief verankerte deutsche Glaube an den Freihandel, der durch die EU-Liberalisierung des Energiemarktes gestützt wurde.
Dementsprechend hieß es in Berlin bis zuletzt, NS2 sei kein staatliches Projekt, sondern ein privatwirtschaftliches. Die Treiber waren die Energiekonzerne, die im Gegenzug ja Zugriff zu russischen Gasfeldern erhielten.
Auch dieser pikante Aspekt wird gern vergessen…
Kleopatra
4. Juli 2022 @ 16:31
Naja: Deutschland hat NS2 entschieden und geradezu brutal auch gegen die EU durchgedrückt, so dass man die EU-Freihandelsideologie und -politik nicht gerade verantwortlich machen kann. Zu dieser gehört ja auch das Prinzip der Trennung von Infrastruktur und Energielieferant, also die sogenannten EU-Energiepakete, die von Putin stets scharf kritisiert, geradezu bekämpft wurden, während NS 1 und 2 für Gazprom vor allem unter der Prämisse attraktiv waren, dass es eine wenigstens befristete Ausnahme von den Energiepaketen und bekam, wofür sich auch wieder Deutschland, dh. die Merkelkabinette, massivst einsetzte. Also es ging nicht entsprechend der EU-Liberalisierung, sondern deutsche Bundesregierungen drückten im Gegenteil ein temporäres russisches Monopol durch.
Holly01
4. Juli 2022 @ 09:55
Ach Kleo,
den Quatsch kauft doch keiner.
Die Russen haben geliefert und werden liefern.
Fragen Sie die Ukraine …… läuft.
Oder besser Polen und die Ukraine haben die Leitungen gesperrt oder teilweise gesperrt.
Es würde also laufen, wenn die Abnehmerseite nicht so doof wäre.
LD3000
4. Juli 2022 @ 18:21
Naja, kann schon sein, dass das weniger Liefern nicht nur technisch begründet ist. Wenn die EU Russland sanktioniert, dann ist doch eine Gegensanktion logisch und verständlich. Wir setzen zum Beispiel unsere Zentralbanken als Sanktionsmittel ein, das ist nicht weniger hart als dasselbe mit der Gasversorgung zu tun.
Es ist die Entscheidung der EU Staaten, im Konflikt Russland vs. Ukraine&USA Partei zu ergreifen. Aus meiner Sicht eine dämliche Entscheidung, weil sie die Wirtschaft einer 750Mio Einwohner EU für 44 Mio.Ukrainer aufs Spiel setzt. Die entgegen dieser lächerlichen Behauptungen vom Vernichtungskrieg auch nicht von phyischer Vernichtung bedroht sind sondern „nur“ davon, anstatt von Oligarch A und B danach von Oligarch C ausgeplündert zu werden. Der Krieg tötet, das Ergebnis des Krieges wäre nur eine geringfügige Verschiebung auf den hinterletzten Plätzen der Korruptions und Demokratierankings…
Armin Christ
4. Juli 2022 @ 08:47
Fehlt noch die Behauptung dieses Herrn Habeck, daß Putin alles getan hat damit Nordstream 2 nicht in Betrieb genommen wurde.
european
3. Juli 2022 @ 18:51
Das war alles absehbar und dazu brauchte man kein Hochschulstudium.
Was soll man davon halten, wenn Habeck vor einer Krise warnt, die die Regierung, allen voran er selbst, verursacht hat?
Neue Duschköpfe gegen Putin….
Immerhin 😉
Holly01
4. Juli 2022 @ 07:18
Ich habe jedenfalls meine Antwort auf die Frage “Wie war Hitler überhaupt möglich?” bekommen.
Hitler war möglich, weil das gesamte Klima in der Elite so vergiftet war, das man genau jemanden wie Hitler haben wollte.
Da die ja offensichtlich jeden in den Stuhl setzen können, ist die “Wahl” kein Hindernis.
Heute bräuchten wir nicht einmal einen Hindenburg. So ein Steini nickt jeden ab.
Die Frage “Warum haben da nicht viel mehr Leute etwas dagegen getan?” wurde uns ja schon während Corona beantwortet.
Weil es wahnsinnig unbequem sich zu wehren, ja es ist sogar sehr unbequem nicht mitzumachen.
Es ist nicht einfach jeden Tag aufzustehen und ein ganz kleines bisschen Mensch zu sein.
Zu North Stream 2 habe ich ja von Anfang an eine klare Position:
Benutzen und die Speicher füllen aka den Verbrauch sichern.
Dann sollen die Polen mal einmarschieren. Kann ich kaum erwarten. Die Amis sind ja schon da. Das UK auch wieder.
Ob wir so untergehen oder anders, die haben für uns offensichtlich keinen gangbaren Weg.
Dann nehmen wir doch lieber den US Wahnsinn mit ins Grab.