Gaskrise: Der entfesselte Markt macht alles noch schlimmer
Der Energiekonzern Uniper ist nicht nur wegen russischer Gaskürzungen in die Schieflage geraten. Er verbrennt auch Unsummen am europäischen Spotmarkt TTF, der von Angst und Spekulation getrieben wird. Gegen die überfällige Regulierung sperrt sich ausgerechnet Deutschland.
Bis zu hundert Millionen Euro am Tag: So hoch waren die Verluste, die der Energiekonzern Uniper im Handel mit Gas gemacht hat. Insgesamt hat Uniper einen Verlust von mehr als zwölf Milliarden Euro eingefahren, wie Vorstandschef Klaus-Dieter Maubach einräumte. Deshalb muß der Konzern nun gestützt werden – mit der umstrittenen Gasumlage.
Zum Verhängnis wurde den Uniper-Händlern nicht nur, dass Russland am Gashahn dreht, was das lukrative Geschäft mit Gazprom kaputt gemacht hat. Als massives Problem hat sich auch die Unberechenbarkeit des europäischen Gasmarkts erwiesen, auf dem Uniper für Ersatz sorgen mußte.
Dort schwanken die Preise in einem Ausmaß, das selbst Experten für übertrieben und ruinös halten. So sprang der Gaspreis am Mittwoch auf dem maßgeblichen niederländischen Marktplatz TTF auf 230 Euro pro Megawattstunde. Damit geht der Preis erneut auf Rekordjagd.
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Doch das liegt nicht etwa am Ukrainekrieg oder an den Gaslieferungen aus Russland. Der Markt habe sich von der realen Welt abgekoppelt und werde von Angst und Spekulation getrieben, fanden die Experten der EU-eigenen „Agency for the Cooperation of Energy Regulators“ (ACER) heraus.
So kletterte der Gaspreis bereits im Oktober 2021 – fünf Monate vor Beginn des Krieges – auf schwindelerregende Höhen. Die Preiskrise beherrschte den EU-Gipfel, Spanien und Griechenland forderten eine bessere Regulierung. Doch Deutschland sträubte sich gegen Markteingriffe.
Seither vergeht kaum ein EU-Gipfeltreffen, ohne dass die Gaskrise für hitzige Diskussionen unter den Staats- und Regierungschef sorgte. Im März legte der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis einen Sechs-Punkte-Plan vor. Seine Hauptforderung: Ein Preisdeckel beim Gas.
Doch wieder war Deutschland dagegen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) setzte die marktliberale Politik seiner Amtsvorgängerin Angela Merkel (CDU) fort und wehrte alle Vorstöße aus Athen, Madrid oder Paris ab. Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ist auf Linie.
Auch der Strompreis geht nach oben
Der Grünen-Politiker setzt auf das „Preissignal“, das von den Märkten ausgeht und nicht nur zu Einsparungen, sondern indirekt auch zum Klimaschutz beitragen soll. Auch die Gasumlage, mit deren Hilfe die Bundesregierung den Uniper-Konzern vor der Pleite retten will, soll ein solches Signal sein.
Doch wenn die Preise durch die Decke gehen – wie derzeit wieder – ist die Steuerungswirkung dahin. Dann trägt der Markt nicht zu einer rationalen Wahl, sondern zu Chaos bei – Uniper ist dafür das beste Beispiel. Die Debatte über eine Marktreform geht deshalb weiter.
Diese Reform ist überfällig – nicht nur wegen der Gaskrise, sondern auch wegen des Strompreises. Der ist durch einen komplizierten Mechanismus – den so genannten Margin Call – an den Gaspreis gekoppelt. Deshalb kennt auch der Strompreis nur noch eine Richtung: nach oben.
Siehe auch unseren Update “Preise steigen weiter, Rezession rückt näher“ sowie Energiekrise, Sanktionen und spekulative Märkte: So fährt die EU gegen die Wand
KK
20. August 2022 @ 17:46
Heute Nacht habe ich sogar schon von Umlagen geträumt… man glaubt gar nicht, was alles umgelegt werden kann.
ebo
20. August 2022 @ 18:39
Nanana…
harry
19. August 2022 @ 23:56
Hallo Herr Bonse,
was ich in den Artikeln über die Gaskrise noch nicht gefunden haben – unter anderem auch in diesem Artikel von Ihnen nicht
https://makroskop.eu/39-2021/merkel-und-die-energiekrise-fataler-marktglaube-bis-zuletzt/
ist eine explizite Erklärung, wessen Einnahmen durch diese höheren Gaspreise an der Börse steigen.
Soweit ich informiert bin, gibt es mit Russland langfristige Lieferverträge, bei denen der Preis langfristig konstant bleibt. Von daher spielt für russische Erlöse aus dem Gasverkauf das Preisniveau auf dem Gasmarkt gar keine Rolle.
Dann würde der Erstimporteur sozusagen den ganzen Reibach machen, und die Gasumlage etc. dienen nur dazu, dass Energieversorger, die in der Verwertungskette dahinter liegen, dann diese Extra-Gewinne des Erstimporteurs finanzieren können.
Und die Politik weigert sich, daran irgendetwas zu ändern, weil man weiter „dem Markt“ huldigen möchte, wobei im Fall des Gaspreises dieser Markt erst vor ca. 10 Jahren eröffnet wurde und zuvor der günstige Preis des russischen Lieferanten einfach mehr oder weniger durchgereicht wurde.
Ist das eine korrekte Darstellung des Sachverhalts?
ebo
20. August 2022 @ 09:25
Nun, es gewinnen all jene, die mit Gas am Spotmarkt handeln und nicht gezwungen sind, es zu einem Festpreis abzugeben. Das ist das Problem von Uniper. Es bekommt nicht mehr genug günstiges Gas aus Russland und muß nun teuer am Markt dazukaufen, kann den spekulativen Preis aber nicht an seine Kunden (z.B. Stadtwerke) weitergeben. Dazu kommen nun Milliarden-Abschreibungen wegen Nord Stream 2.
Ihre Darstellung ist also korrekt.
KK
19. August 2022 @ 23:26
Die Sanktionen sind eine Art Nero-Befehl der EU… Selbstgeisselung bis zum Untergang. Der europäische Lemming rennt auf Geheiss aus Washington auf den Abgrund zu…
Alexander
19. August 2022 @ 18:27
“Gazprom: Nord Stream 1 wird vom 31. August bis zum 2. September wegen Wartungsarbeiten unterbrochen”
Quelle: RTde
ebo
19. August 2022 @ 18:37
Könnte wohl auch länger dauern 😉
Alexander
19. August 2022 @ 18:53
Die Technik! Man steckt einfach nicht drin …
(Ich habe aber gehört, dass das Streichen von Sanktionen total gutes Karma geben soll! Kann aber auch nur ein Gerücht sein.)
ebo
19. August 2022 @ 18:58
Immerhin gibt es nun eine Debatte um NS2 – doch ich glaube nicht, dass die Bundesregierung sich bewegt.
Alexander
19. August 2022 @ 19:11
Ich würde auch nicht darauf wetten, dass Russland bereit wäre, uns insgesamt mehr als 33 Millionen Kubikmeter pro Tag zu liefern.
Mein neuer Schlafsack (Komforttemperatur -2 Grad C) ist da, die Taschenlampe auch. Eneloops sind geladen, Essensvorräte für etwa 2 Monate sind gebunkert.
Was tut man nicht alles für eine gute Sache! ;->
ebo
19. August 2022 @ 20:20
Hab den Kommentar gekürzt, ich möchte hier keine grausamen Details zum Krieg. Davon liest man eh schon mehr als genug…
KK
18. August 2022 @ 18:07
@ european (irgendwie funktioniert das Antworten an meinem alten Rechner nicht):
Woher sind Sie so sicher, dass “die EU-Länder niemand zu den Sanktionen gezwungen” habe? Den USA ist m.E. diesbezüglich alles zuzutrauen, von Wirtschaftssanktionen bis zum Kaputtbomben der Pipelines und anderer Infrastruktur. Haben die doch schon in vielen Situationen bewiesen, dass sie dort keine Skrupel kennen. Wurde nicht den Niederlanden, einem sogenannten “Verbündeten” und NATO-Partner, mit militärischer Intervention gedroht, sollte je ein US-Bürger vor das Den Haager Kriegsverbrechertribunal gestellt werden, und beweist das nicht, dass die USA selbst ausserhalb jeder Rechtsordnung auch gegen “Freunde” zu handeln bereit sind, wenn dies nur zur eigenen Zielerreichung opportun erscheint?
Ganz abgesehen von möglichen Abhörerkenntnissen der US-Geheimdienste zu den intimsten Abgründen unserer Entscheidungs-Eliten… die gelöschten SMS von Frau von der Leyen sind da vielleicht nur die Spitze des Eisbergs dessen, was dort alles an Kompromittierendem schlummert.
european
18. August 2022 @ 08:18
Gestern war K. Kühnert bei Lanz. Das Video landete in meiner YT timeline. Es ging um die Gasumlage und die Auswirkungen auf die Bürger. Kühnert wies als erstes wieder darauf hin, dass Putin an allem Schuld ist. Damit war das Thema für mich durch.
Es gibt keine Reflexion, keine Überlegungen, keinen wirklichen Lösungsansatz für die Probleme.
Diese Sanktionen waren völlig freiwillig. Niemand hat die EU-Länder dazu gezwungen und das allgemeine Unverständnis, dass Russland auf die Sanktionen mit Gegensanktionen reagiert, lässt den Beobachter nur noch fassungslos zurück. In welchem Paralleluniversum leben die eigentlich?
nik
19. August 2022 @ 16:49
Und in welchem Paralleluniversum leben Sie? Glauben Sie, dass ein Sieg Russlands in der Ukraine ohne Reaktion des “Westens” völlig folgenfrei für unsere Gesellschaftsordnung sein wird?
european
19. August 2022 @ 20:54
Glauben gehört in die Kirche 😉
Nach Lage der Dinge wäre dieser Krieg verhinderbar gewesen, aber man hat bewusst auf jede diplomatische Lösung verzichtet und sich völlig planlos eine dämliche Sanktion nach der anderen einfallen lassen ohne die Konsequenzen zu bedenken. Selbstüberschätzung, gepaart mit völliger US-Hörigkeit und fehlendem Plan, was man mit dieser Sanktionitis eigentlich erreichen will. Was war das Ziel?
Die eingetretenen Folgen waren absehbar.
Sehr lesenswert dazu heute der offene Brief der Handwerkskammer Halle-Saale an Bundeskanzler Scholz
https://www.nachdenkseiten.de/?p=87080
“Handwerker fordern Ende der Sanktionen: „Wollen Sie der Kanzler sein, der Deutschland in den Ruin getrieben hat?“
„Wir sind bereit, für die Sicherheit der Ukraine einen hohen wirtschaftlichen Preis zu zahlen“ – Annalena Baerbock
Das wird sich jetzt herausstellen. Wer ist “wir”? Im Brief findet man Antworten darauf.