Game over (II)

Mit einer “politischen Kommission” wollte J.-C. Juncker die EU aus der Krise führen. Doch nun steckt die Juncker-Kommission  selbst in der Krise. Dabei ist die Personalie Selmayr nur ein Symptom für tiefer liegende Probleme. – Ein Kommentar (Teil 2)

Teil 1 steht hier

Im Streit um die Schuldenkrise in Griechenland 2015 mussten Kommissionschef Juncker und sein Adlatus Selmayr klein bei geben. Seither geben wieder die Hauptstädte den Ton an, allen voran Berlin.

Juncker hat sich als zu schwach erwiesen, um den Staats- und Regierungschefs dauerhaft etwas entgegen zu setzen. Und er ist zu müde oder zu krank, um die Kommission weiter aktiv zu führen.

Nach dem britischen EU-Referendum 2016 kündigte Juncker an, bei der Europawahl 2019 nicht für eine neue Amtszeit zu kandidieren. Seither hat Selmayr freie Bahn.

Dass er nun auch noch zum Generalsekretär befördert wurde, zeigt, wie tief Juncker gesunken ist. „Wenn er geht, gehe ich auch“, soll er auf einem Parteitreffen der Konservativen gedroht haben.

Juncker hätte genauso gut „Game over“ rufen können. Ohne Selmayr geht nichts mehr. Er hat nun einen unbefristeten Vertrag und will wohl auch Junckers Nachfolger seinen Kurs vorgeben.

Der eigentliche Skandal

Dies ist der eigentliche Skandal. Wenn Selmayr bestimmen darf, wer „unter ihm“ die EU führt, dann können wir uns die nächste Europawahl gleich sparen.

Dann macht es keinen Sinn mehr, Spitzenkandidaten zu nominieren, die um die Führung in Brüssel kämpfen. Wenn ein nicht gewählter Beamter darüber wacht, dass das „System Juncker“ auch nach 2019 weiter besteht, wird die Wahl zur Farce.

Dass Selmayrs Nominierung handstreichartig erfolgte, wie das Europaparlament klagt, ist im Vergleich dazu fast eine Nebensache. Fast alle wichtigen EU-Posten werden im Hinterzimmer ausgekungelt.

Das deutsche Europa ist längst Realität

Im Europaparlament ist es nicht anders – unter Ex-Präsident Schulz ging es zum Schluß sogar noch schlimmer zu als derzeit in der EU-Kommission.

Auch dass nun ein weiterer Deutscher einen Führungsjob bekommt, ist nur ein Symptom. Das „deutsche Europa“ (Ulrich Beck) ist längst Realität; Selmayr symbolisiert es nur besonders drastisch.

Dabei wird er von dem deutschen EU-Kommissar G. Oettinger (CDU) unterstützt. Merkels Mann in Brüssel hat sogar Selmayrs Verteidigung übernommen – obwohl er dessen Blitz-Beförderung normalerweise hätte verhindern müssen.

Junckers Nachfolger könnte Selmayr wieder absetzen

Doch nun konzentrier sich die Debatte auf Selmayr. Der Mann, der sich selbst als überzeugten Europäer sieht, ist zum Symbol für die tiefe Krise der EU geworden. Eine traurige Ironie der Geschichte.

Immerhin gibt es einen kleinen Trost: Der nächste Kommissionspräsident könnte Selmayr wieder absetzen – genauso handstreichartig, wie er eingesetzt wurde.

Und das Europaparlament hat auch noch ein Wörtchen mitzureden. Hoffentlich traut es sich. Bisher sieht es leider nicht so aus…

Eine kürzere Fassung dieses Kommentars ist in der” taz” erschienen, die “Klüngelei aus dem Hinterzimmer” steht hierMehr zum “Selmayrgate” hier, zum “deutschen Europa” hier