Für Waren bleiben die Grenzen offen – für Menschen nicht
Hurra, wir haben etwas dazugelernt! Beim zweiten Lockdown sollen die Grenzen offen bleiben, sagt Kanzlerin Merkel. Doch das gilt nur für Waren, nicht für Menschen.
Wenn es dafür noch eines Beweises bedurfte, so hat ihn Berlin am Freitag geliefert. Nur wenige Stunden nach Merkels Ansage beim EU-Krisengipfel erklärte die Bundesregierung Österreich und fast ganz Italien zu Corona-Risikogebieten
Mit Kroatien, Slowenien, Ungarn, Bulgarien und Zypern werden zudem fünf EU-Länder komplett auf die Risikoliste gesetzt, wie das Robert Koch-Institut mitteilte.
Erstmals wurden auch Gebiete in Griechenland und Lettland als Risikogebiete eingestuft. Weitere Regionen kommen in Dänemark, Portugal, Schweden und Litauen hinzu. Auch Monaco, San Marino und der Vatikan sind nun Risikogebiete.
In der Praxis bedeutet das, dass Reisen in diese Länder kaum noch möglich sind. Reiseveranstalter streichen ihre Angebote, Flüge werden gestrichen, Tests und Quarantäne-Bestimmungen schrecken noch die letzten Reisewilligen ab.
Wie üblich hat die Bundesregierung ihre Reisewarnungen im nationalen Alleingang erlassen. Von einer Abstimmung, wie sie Merkel beim EU-Videogipfel anmahnte, keine Spur.
Ihr Bekenntnis zu offenen Grenzen ist denn auch ziemlich verlogen. Die Grenzübergänge sollen nur für deutsche Exporte (und nötige Importe) geöffnet bleiben, Reisende werden abgeschreckt und schikaniert.
Merkel geht es um den Binnenmarkt, also um die deutsche Exportwirtschaft – und nicht um Schengen, also um die Menschen. Dies ist der harte Kern ihrer so genannten „Corona-Präsidentschaft“.
Die Gesundheit hingegen ist keine Priorität. Wäre es anders, so hätte der Corona-Krisengipfel viel früher stattfinden müssen – und nicht erst an dem Tag, da die WHO EUropa erneut zum Epizentrum der Pandemie erklärt hat…
Siehe auch „Corona: Die EU kommt schon wieder zu spät“
P.S. Mit den jüngsten Reisewarnungen führt Berlin auch die neue EU-Reiseampel ad absurdum. Die weist zwar einheitliche grüne Zonen aus, in die man noch reisen darf – doch nun färbt sich die Europa-Karte rot ein…
P.P.S Selbst die EU-Kommisison zweifelt am Sinn der Reisewarnungen und Quarantäne-Regeln. Das Virus breite sich derzeit rasend schnell aus, der Grenzverkehr trage da nur sehr wenig bei, so Gesundheitskommissarin Kyriakides. Darauf hätte man allerdings auch früher kommen können…
Kleopatra
2. November 2020 @ 06:46
War es für Sie wirklich eine Überraschung, dass die EU demonstriert, dass sie eine Wirtschafts- und keineswegs eine Bürgerunion ist? Dass die EU nicht zuletzt gut dafür ist, einzelstaatliche Sozialvorschriften als einem schrankenlosen Handel entgegenstehend auszuhebeln, kann man doch bereits in den einschlägigen Reden Margaret Thatchers nachlesen (die bekanntlich in den 70er Jahren entschieden für den Verbleib Großbritanniens in der EU eintrat).
Peter Nemschak
31. Oktober 2020 @ 13:14
Waren sind nicht ansteckend, Personen schon. Alle haben schlicht und einfach die Massivität der zweiten Welle unterschätzt. Allein in Deutschland war die Konsensfindung zwischen Ländern und Bund ein mühsames Unterfangen. Ausgangsperren wären vor zwei Wochen noch von vielen als Untergang der Grundrechte abgelehnt worden. Dass es Grundrechte nicht nur des Einzelnen sondern auch der Gesellschaft als Ganzes gibt, wurde bisher geflissentlich übersehen, übrigens auch in den westeuropäischen Verfassungen. Das Problem ist die gesellschaftliche Akzeptanz von Einschränkungen. Asiatische Demokratien wie Taiwan und Südkorea tun sich leichter damit als unsere stark individualistisch geprägten Gesellschaften.
Holly01
2. November 2020 @ 08:14
“ Waren sind nicht ansteckend “
DAS ist gar nicht so sicher. Ab einer gewissen Feuchte, ist ein längeres Überleben der Corona Viren nicht ausgeschlossen.
Bei Fleischwaren ist es sogar komplizierter.
Also Hygiene sollte man schon im Auge haben und praktizieren.
vlg