Für Europa, nicht für die(se) EU
Ob beim „March for Europe“ oder beim „Pulse of Europe“: Die Medien verwechseln ständig die EU mit Europa – dabei gehen die Menschen für Europa auf die Straße, nicht für die(se) EU.
„Zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge haben am Samstag in Berlin Tausende Menschen mit einem „March for Europe“ für die Europäische Union demonstriert.“
So berichtet die „FAZ“ über die Kundgebung, an der rund 6000 Menschen teilgenommen haben sollen. Ähnliche Berichte finden sich in fast allen deutschen Medien.
Sie führen in die Irre. Denn der „March for Europe“, „Pulse of Europe“ und andere Bewegungen identifizieren sich eben nicht mit der Krisen-EU, sondern mit einem liberalen und weltoffenen Europa.
Sie warnen vor Abschottung und Nationalismus – dabei haben diese Tendenzen längst die EU erfasst. Kanzlerin Merkel macht die Abschottung zum (Wahl-)Programm, der deutsche Wirtschafts-Nationalismus beherrscht die Schlagzeilen.
Angesichts dieser Konfusion müssen die Organisatoren der Bürgerbewegungen aufpassen, sich nicht von der EU und von Deutschland vereinnahmen zu lassen.
Vor allem der „Pulse of Europe“ wird zunehmend von der Bundesregierung für sich reklamiert – einer Regierung, die gerade das Kindergeld für „EU-Ausländer“ kappen will…
Siehe auch „Hoffnung aus Rom (nicht vom Gipfel)“
Meyer-Durand
28. März 2017 @ 14:35
In dem vorherigen Text hat sich ein Fehler eingeschlichen. Gemeint ist natürlich „Brexit“ und nicht der „Grexit“.
Meyer-Durand
28. März 2017 @ 11:05
@Cottin
Das Interail Ticket ? Während die EU auseinanderbricht, in Spanien, Portugal und Griechenland über 50% Jugendarbeitslosigkeit herrschen, die Iren sich – gezwungen durch W. Schäuble, die EU-Kommission und der EZB (als willige Gehilfin – siehe Drohung mit der generellen Schließung aller irischen Banken in 2010) – mit über 14.000 Euro pro Kopf verschulden müssen (!), um irische Banken zu retten (und damit die Einlagen deutscher Institute wie z.B. jener der Deutschen Bank, der Commerzbank, der Allianz, etc.), die Mehrheit der Briten dem Establishment zeigt, wie „pissed off“ sie sind (gerade auch durch polnische Billigarbeiter), etc. ?
Und da sorgen Sie sich um das Interail Ticket ? Es zeigt mal wieder, wie toll die Mediatisierung läuft. Wieder eine typisch deutsche Sichtweise mit den üblichen Scheuklappen auf die komplexe europäische Realität. ?
ebo’s kritische Einschätzung erscheint auch mir berechtigt. Die Initiative wird bereits gerne von Politikern vereinnahmt. Z.B. Martin Selmayr,; graue Imenenz von Junckers Kabinets, vermutlich die Quelle diverser Leaks an Pressevertreter (wie z.B. an Rolf-Dieter Krause) während der Griechenlandkrise in 2015, sendet gerne retweets zu Pulse of Europe.
Wofür Pulse of Europe genau steht, ist insgesamt recht diffus. Immerhin, Ausgangspunkt sind die 10 Grundthesen http://pulseofeurope.eu/doe-10-grundthesen-des-pulse-of-europe/
Viele wichtige Punkte universeller Natur werden dort genannt, z.B. : „Bedenken gegen die Europäische Union müssen gehört und an deren Ursachen muss gearbeitet werden, so dass Ängste in Zuversicht gewandelt werden können.“ Das ist schon mal gut so, könnte aber durchaus nachdrücklicher formuliert werden.
Insgesamt erscheint dieses kleine Manifest nicht mehr als eine Version „ultra-light“ der europaweit bestens etablierten Kritik an den Zuständen in der Eurozone und der EU zu sein – darum gefällt es – vermute ich – ja auch vielen deutschen Politikern so gut – endlich einmal eine europäische Bewegung welche für ein weitestgehendes „weiter so“ steht, wenn auch mit soften kleinen Anpassungen (um die Massen zu beruhigen ?). Es ist halt einfacher zu glauben, dass das Hauptproblem eher die Wahrnehmung eines Großteils der Bevölkerung ist, und nicht die (tatsächliche) Krise der EU (Bankenkrise, Staatsschuldenkrise durch Bankenrettungen, Krise der EU-Institutionen, Flüchtlingskrise, Mangel an demokratischer Legitimation technokratischer Einrichtungen wie der Eurogruppe, des ESM, der EZB, der Kommission, des Rat, angesichts der Krise der Steuereinnahmen, etc.). Diesen Diskurs über die angeblichen Probleme der „Wahrnehmung“ war in der letzten Zeit häufig von Vertretern der EU-Komission, aber auch von deutschen Politikern zu hören.
Weiterhin steht dort geschrieben: „Personenfreizügigkeit, freier Warenverkehr, freier Zahlungsverkehr und Dienstleistungsfreiheit – die europäischen Grundfreiheiten – sind historische Errungenschaften“. Mit dieser Feststellung haben wir aber einen entscheidenden wunden Punkt getroffen: Personenfreizügigkeit existiert vorwiegend aus der Sicht von Unternehmen, welche davon finanziell prächtig profitieren, aber nicht für die Arbeitnehmer aus Polen, Portugal und Spanien selbst – für diese gibt es in der EU eben keine soziale Gleichheit (siehe z.B. die gravierenden Unterschiede in den Sozialsystemen der einzelnen Länder. Hierzu könnte man Bücher schreiben). Und gerade dieser Aspekt war eine treibende Kraft für den Grexit (zusammen mit dem „race to the bottom“ durch die Liberalisierung des europäischen Arbeitsmarktes). Dienstleistungsfreiheit und freier Zahlungsverkehr gilt vor allem für Großunternehmen (Apple, Starbucks, Ikea, etc.) und führt zu einem extrem schädlichen Steuerdumping ; es gehen jährlich kolossale Summen an Steuern verloren, welche die krisengeschüttelte EU derzeit mehr denn je dringend bräuchte, gerade auch um die Härten der Krise(n) abzumildern.
Oder „Die Europäische Union war und ist in erster Linie ein Bündnis zur Sicherung des Friedens.“. Mir ist unverständlich, wie man es bei einem solchen Satz (der an sich natürlich sehr wichtig ist) belassen kann: die EU ist ein Binnenmarkt, ein extrem unfertiges Konstrukt aus bilateraler Politilk und der EU-Komission (siehe EU-Verträge) , ein Konstrukt aus technokratischen Strukturen, weitestgehend ohne demokratische Legitimation, usw.. Hier möchte ich gerne einmal auf die Rede des Altbundeskanzlers H. Schmidt auf dem SPD-Parteitag 2011 verweisen, aber auch auf Jürgen Habermas („The Lure of Technocracy“). Und natürlich sind alle Volkswirtschaften eng mit der Währungsunion (Eurozone) verknüpft, dessen gravierende Mängel hauptverantwortlich für die derzeitige Krise sind. Europa lediglich als Friedensbündnis darstellen zu wollen, grenzt entweder an extremer Unwissenheit oder ist der Wunsch, bewusst zu manipulieren. Die Probleme der EU, welche derzeit zu ihrer Desintegration führen, werden damit nicht im Geringsten gelöst. Oder es ist eine Kapitulation vor den enormen Herausforderungen, sodass man bereit ist, sich mit einer europäischen Verteidigungsunion zu begnügen (derzeitiger Status der Europapolitik).
Insgesamt erscheint mir das kleine Manifest aufgrund seiner groben Unvollständigkeit (und damit Einseitigkeit) eher der Ausdruck der vorherrschenden, durch die Medien geprägten deutschen Sicht auf das derzeitige Europa und seine Krise(n) zu sein. Aber im Grunde geht es an der tatsächlichen europäischen Realität vorbei (vgl. z.B. Ulrich Beck „German Europe“, Georg Streeck „Bying Time“, Ulrike Guérot, etc.).
Was Europa braucht, sind echte Lösungen: ein Ende der Steuerparadise und ein harmonisiertes, effizientes Steuersystem. Soziale Gleichheit in allen Ländern des gemeinsamen Binnenmarktes. Recycling-Mechanismen für die immensen Handelsbilanzüberschüsse in den Überschussländern des Nordens (Deutschland, Holland, …), eine Lösung der „doom-loop“ aus Verschuldung, non performing loans und schrumpfender Wirtschaft in Italien, das Ende der Kolonialisierung Griechenlands durch unkontrollierte technokratische Strukturen, welche niemandem Rechenschaft schuldig sind (und welche außerhalb jeglichem europäischen Recht durchgesetzt werden), eine einheitliche Gesetzgebung für die Insolvenz von Staaten, u.v.m.
Voraussetzung dafür wäre aber, dass in Deutschland Medien und Mainstreampolitik die europäische Realität endlich mit Fachkenntnis transparent und offen darstellen.
Cottin
27. März 2017 @ 21:44
Fakt ist das diese wunderbare Bewegung Pulse Europe und andere für einEuropa stehen und den Populismus verneinen. Das ist ein Zeichen, das man Europa und die Eu möchte, politisch ist Pulse of Europe nicht ! Das ist auch gut so ! Leider hat die Eu heute das Interail Ticket für 18 jährige als Geschenk verworfen.. Leider ! Kein Wunder das die junge Abi Generation dann Travel & Work in Australien und Kananda etc. macht. Dann trifft sich halt Europa im Ausland !
F.D.
27. März 2017 @ 17:49
O.K. aber warum schwenken die denn dann andauernd EU-Fahnen, wenn sie „für Europa, nicht für die(se) EU“ auf die Straße gehen? Sind Sie sicher, dass diese Unterscheidung inzwischen nicht doch schon etwas zu sophisticated ist – zumindest für die Öffentlichkeit in denjenigen europäischen Staaten, die der EU angehören und in denen „Puls of Europe“ und „March for Europe“ entstanden sind und Resonanz finden?
Oudejans
27. März 2017 @ 15:54
Lea Rosh letzte Nacht im DLF (ich paraphrasiere): ‚Vorwärts immer, rückwärts nimmer. Wir müssen das den Zivilisten erklären. Wenck wird kommen. Anders kann man das nicht machen.‘
‚Vielen Dank, Frau Rosh.‘
‚Sehr gern.‘
Macht 17,50.
Peter Nemschak
27. März 2017 @ 11:25
Diese EU ist allemal besser als keine EU. Je nach Thema sind die Bürger einmal für mehr, dann wieder für weniger EU. Deshalb sieht die EU so aus wie sie sich derzeit darstellt.