EU-Krise: Zwischen Nostalgie und Nationalismus

Noch nie war die Zustimmung zur EU so hoch wie heute, heißt es in Brüssel. Noch nie war aber auch die Nostalgie so groß wie heute, wie eine neue Studie belegt. War früher wirklich alles besser – und ist das Wasser auf die Mühlen der Populisten?

Mit dieser Frage beschäftigt sich eine groß angelegte Studie des „European Policy Centre„. Bei einer repräsentatien Erhebung im Februar 2019 – also kurz vor der Europawahl – kam sie zu teilweise beunruhigenden Ergebnissen:

  • Fast jeder zweite Europäer (44%) sagt, dass sich die Lebensqualität in den letzten Jahren verschlechtert hat. Nur 29% sehen eine Verbesserung.
  • Besonders ausgeprägt ist der Pessismsmus in Griechenland, Italien, Spanien und Frankreich, wo rund zwei Drittel über wirtschaftlichen Niedergang klagen.
  • Drei Viertel der Befragten sagen, dass ihre Nation enger zusammenstehen sollte. 60% identifizieren sich zuerst mit ihrem Heimatland, dann erst mit Europa.
  • Nationalistische und patriotische Gefühle sind immer noch – oder wieder – stark ausgeprägt. 37% sind „sehr stolz“ auf ihre Nation, 40% „ziemlich stolz“.
  • Demgegenüber scheint das Vertrauen in die Demokratie abzunehmen. Nur 37% der Befragten bekennen sich eindeutig zur Demokratie, 63% sind so la-la.

All dies sei Wasser auf die Mühlen der Populisten und Nationalisten, sagte die Autorin der Studie in Brüssel. Die EU-Politiker müssten sich ernsthaft mit der „Gefahr“ auseinandersetzen, die die Nostalgie darstellt.

Als tiefere Ursache wird vor allem die Finanzkrise 2008 benannt. Diese Krise wirke bis heute nach, warnen die EPC-Experten. Sie habe das Vertrauen in das politische System tief erschüttert.

Und das völlig zu Recht, würde ich sagen. Denn kaum ein Verantwortlicher wurde bestraft, die Ursachen wurden nicht beseitigt, die Verluste der Sparer und Anleger nicht ausgeglichen.

In der Eurozone folgte auf die Finanzkrise auch noch die hausgemachte Eurokrise, die durch eine widersinnige, von Deutschland diktierte Finanzpolitik künstlich verlängert wurde.

Auch das Vertrauen in die deutsche Politik schwindet

Und dann hatten wir auch noch die Flüchtlingskrise, die weit vor 2015 begann, seit dem Kurswechsel von Kanzlerin Merkel aber auch das Vertrauen in die deutsche Politik nachhaltig beschädigt…

Ohne diese Krise wäre die AfD längst in der Versenkung verschwunden…

Siehe auch „Die verdrängte Krise“ (nach dem Brexit) und unsere Schwerpunktseite zur EU-Krise

Watchlist

Stimmt das Europaparlament dem Freihandelsabkommen mit Vietnam zu? Es geht um den bisher größten Deal mit einem Entwicklungsland, das allerdings längst nicht westlichen Standards entspricht. Eine kommunistische Regierung, hunderte politische Gefangene, keine freien Gewerkschaften – Vietnam ist nicht gerade ein Wunschpartner. Linke und Grüne lehnen das Abkommen daher ab, doch die Mehrheit der Freihändler scheint sicher… Mehr zur Handelspolitik hier

Was fehlt

  • Brexit: Von der Leyen fordert von London Garantien gegen Dumping bei Löhnen und Umwelt – Der Standard Eine wohlfeile Forderung, in Osteuropa ist das Dumping gang und gäbe
  • Brexit: Barnier warnt London vor Illusionen über Zugang zum EU-Finanzsektor – Reuters Das ist auf die City of London gemünzt, also ernst zu nehmen
  • EU-Budget: Kurz signalisiert Flexibilität im EU-Budgetstreit – Die Presse Vor kurzem hatte Kurz noch mit Veto gedroht, nun weicht er die Front der Nettozahler auf
  • Erweiterung: Nordmazedonien ratifiziert NATO-Beitrittsprotokoll – Salzburger Nachrichten Offenbar ist das Land auch ohne EU-Beitritt nicht verloren!?
  • Handelspolitik: Trump: EU created to ‚treat us badly‘ – EU Observer Die bisher klarste Warnung, dass Trump den Handelskrieg mit der EU sucht, mehr hier