Frankreich erholt sich (Euroland auch)
So kann’s gehen. Gerade erst hat die britische “FT” einen vernichtenden Bericht über die Schwäche der französischen Wirtschaft veröffentlicht – da kommen gute Zahlen aus Paris.
Das Wachstum hat im ersten Quartal 2016 überraschende 0,5 Prozent erreicht – fast doppelt so viel wie erwartet. Zum ersten Mal seit langem geht auch wieder die Arbeitslosigkeit zurück.
Wie in Frankreich üblich, wird die Konjunktur von der Binnennachfrage angezogen (nicht vom Export, wie in Deutschland). Ich vermute, dass die Angststarre nach den Attentaten nachgelassen hat.
Interessant ist, dass dieser Aufschwung einsetzt, obwohl die Regierung ihre angeblich alternativlosen Arbeitsmarkt-Reformen noch gar nicht umgesetzt hat – die teils gewalttätigen Proteste halten an…
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P.S. Auch die Eurozone ist stärker als erwartet gewachsen. Mit 0,6 Prozent lag das Wachstum doppelt so hoch wie erwartet – und erstmals besser als im EU-Durchschnitt…
Andreas Meyer
17. Mai 2016 @ 12:01
@Peter Nemschak @Ute Plass Danke für die intensive Diskussion!
Wichtig ist, dass eine respektvolle Debatte über das Pro & Kontra geführt werden kann.
Wie so häufig, sind die Argumente beider “Parteien” stichhaltig – die Frage ist, wie die jeweils berechtigten Anforderungen zusammengeführt werden. Wo ist die Grenze “freier Marktwirtschaft” (siehe z.B. Wasserwerke, Elektrizitätswerke Berlin, Umweltschutz, Klimaerwärmung, Zugriff zu fossilen Energiequellen, Grundsicherung, recht auf freie Entfaltung, etc.) – wo beginnt das Gemeinwohl? Wo hat die freie Marktwirtschaft – nicht zuletzt in der Krise versagt (Kapitalkonzentration, Monopolbildung, Liberalisierung der Finanzmärkte, Geiselhaft von Politik und Gemeinwohl durch letztere, etc.)? Wieso ist die öffentliche Debatte zu vielen Themen so stark polarisiert und so wenig fruchtbar – welche Rolle spielen die Medien dabei? Wie konnte eine demokratiefreie Zone (EU-Institutionen, Troika, Euro Working Group, etc.) außerhalb jeder Kontrolle entstehen, welche die Souveränität und wichtige demokratische Prinzipien in vielen Ländern der EU außer Kraft setzen? Warum ist Europa’s Idee in Gefahr und welche Verantwortung trägt die Politik der GroKo hierfür? Die Zusammenhänge sind komplex und der in Deutschland vorherrschende Diskurs, in Symbiose mit der Politik hat den Kontakt zur Wirklichkeit längst verloren.
Noch kurz zu Peter: wissenschaftliche Studien (basierend auf empirischen Untersuchungen) haben längst nachgewiesen, dass eine freie Preisentwicklung (Kernaussage der Theorie des liberalen Kapitalismusses) durch den Mechanismus aus Nachfrage und Angebot sowie freier Konkurrenz der Anbieter nur noch die Ausnahme darstellt. Ute hat natürlich Recht: eine zu wenig regulierte Marktwirtschaft führt uns zurück in die Zeit der Klassenkämpfe. Soziale Marktwirtschaft (siehe Deutsches Grundgesetz) funktioniert nur mit Regulierung (welche im übrigen schon alleine für die Sicherung der Konkurrenz notwendig ist – also zum Schutz des Unternehmertums). Eine Gesellschaft kann nur existieren, wenn das Prinzip der Gleichheit (vor allem der Chancengleichheit und sozialen Gleichheit) gesetzlich verankert ist – für alle innerhalb einer Währungs- und Wirtschaftsunion lebenden Bürger (siehe Ulrike Guérot).
Ute Plass
30. April 2016 @ 16:06
@Peter Nemschak – Eisler spricht nicht von platter Gleichmacherei menschlicher Lebensverhältnisse, sondern verweist auf eine wirtschaftliche Ungleichheit in dominatorischen Kulturen ‘ in der eine Gruppe von der anderen ausgebeutet wird, wobei diese Ausbeutung meist nicht offen geschieht bzw. geschah, sondern durch noble Schlagworte verschleiert wurde und wird: Freiheit, Gottes Wille, Gerechtigkeit usw. Doch aus einer partnerschaftlichen Perspektive wird klar, dass jegliche Art von Ausbeutung und Gewalt unmenschlich und unmoralisch ist – unabhängig davon, wie sie gerechtfertigt wird. ‘
Dass Sie aus Eislers Text solch abstruse Schlussfolgerungen von “…im Grunde nicht menschengerechter Utopie…” ableiten finde ich mehr als erstaunlich. Was bezwecken Sie mit solchen Unterstellungen?
Ute Plass
30. April 2016 @ 12:33
@Peter Nemschak:
“Nanny-Staat” ist Ihre Interpretation und hat nichts mit einer Wirtschaft der Fürsorge zu tun, die nicht dominatorisch bevormundend daher kommt, sondern partnerschaftlich entwickelt gehört.
“Eisler weist darauf hin, dass wirtschaftliche Ungleichheit, nicht ihren Ursprung im Kapitalismus hat, sondern, dass die Ungleichheit im Kapitalismus nur Ausdruck einer viel tiefer liegenden Vorstellung von „gerechter“ Ungleichheit ist, die Kinder in dominatorischen Kulturen von klein auf als gegebene Tatsache kennenlernen. In ihrem Unterbewusstsein wird festgelegt, dass es „unterlegene“ und „überlegene“ Gruppen gibt und die eine Gruppe der anderen dienen muss. Eisler weist darauf hin, dass dies kein alleiniges Problem kapitalistischer Systeme ist, sondern dass auch im Kommunismus und Sozialismus „die Oberen Kaviar aßen“, während die anderen stundenlang um Essen anstehen mussten. Diese Ungleichheit ist also nicht Ausdruck einer bestimmten Wirtschaftsform, sondern einer bestimmten geistigen Haltung. Ein weiterer Ausdruck dieser dominatorischen Geisteshaltung ist die Korruption. Wer denkt, die westlichen Länder seien davon nicht betroffen, kann sich überlegen, in welche Kategorie beispielsweise die Einflussnahme der Pharmaindustrie auf Politik und Ärzteschaft eingeordnet werden kann.”
Dieser Abschnitt findet sich unter der Übeschrift: “Schieflage im Kopf”
http://www.bzw-weiterdenken.de/2013/08/partnerschaftliche-systeme-brauchen-die-entsprechende-geisteshaltung/
Peter Nemschak
30. April 2016 @ 15:18
Für alle Zivilisationen der Menschheit war und ist Ungleichheit ein Faktum. Entscheidend ist nicht die Ungleichheit, sie liegt in der Kultur der Menschen, sondern entscheidend sind Perspektiven für sozialen Aufstieg. Diese nicht zu verbauen sondern zu stärken ist die eigentliche Herausforderung der Politik. Was Sie vorschlagen, ist im Grunde nicht menschengerechte Utopie, weil eben die Menschen anders gestrickt sind als Sie es wünschen.
Ewerth
30. April 2016 @ 11:56
Die Deflation kommt aus Deutschland. Woher auch sonst?
Die Europäische Zentralbank EZB soll Schuld an den Niedrigzinsen sein? Mitnichten. Es ist die Politik Deutschlands, meint der Volkswirt und frühere Chefökonom der UN-Organisation UNCTAD, Heiner Flassbeck.
Eine Tragödie historischen Ausmaßes erleben wir in diesen Tagen in Europa – und Deutschland. Ein Land kämpft nahezu geschlossen gegen die wirtschaftspolitischen Konsequenzen seiner eigenen Fehler, macht aber alle anderen, nur niemals sich selbst, verantwortlich für das, was geschehen ist.
Woher kommt die europäische Deflation, in deren Gefolge die EZB die Zinsen auf null senkte? Ist sie vom Himmel gefallen? Hat die EZB sie gemacht? Haben andere Länder in Europa sie zu verantworten? Diese einfachen Fragen müssten auch kritische Medien in Deutschland jeden Tag stellen, und jeder, der intellektuell auch nur halbwegs ehrlich ist, kann sie sofort beantworten.
Denn die Quelle der europäischen Deflation liegt eindeutig in Deutschland. Und sie sprudelt seit Beginn der europäischen Währungsunion. Ganz eindeutig verantwortlich ist die Politik der Lohnkompression, die von Rot-Grün durchgesetzt und von CDU/CSU bejubelt wurde. Sie sorgte dafür, dass die Lohnstückkosten in Deutschland bis zum Jahr 2007 überhaupt nicht stiegen. Das war ein klarer Verstoß gegen die Regeln der europäischen Währungsunion, in der man sich gemeinsam zum Ziel gesetzt hatte, eine Zielinflationsrate von knapp unter zwei Prozent zu erreichen. Quelle Nachdenkseiten
Ewerth
30. April 2016 @ 11:54
Ach würde es doch genau solche Proteste in Deutschland geben? Aber hier wird nach Oben gebuckelt und nach Unten wie immer getreten. Mit der Einführung des Euro, hat Deutschland alles niederkonkurriert, weil Deutschland als einziges Land, sich nicht wie vereinbart daran gehalten, die Löhne jährlich entsprechend der Produktivitätssteigerungen plus Inflationsausgleich jährlich zu erhöhen. Aber die Indoktrination in Deutschland ist so weit fortgeschritten, dass mehrheitlich die Schuld andere Länder wider besseren Wissen wieder einmal in die Schuhe geschoben wird. Aber Deutschland hatte ja noch nie zu seiner Schuld sich bekannt, immer waren es andere, vornehmlich kleine Länder die sich nicht wehren können. Der Geisterfahrer in Europa war und ist und bleibt Deutschland.
Peter Nemschak
30. April 2016 @ 10:28
@Ute Plass Dass es zumindest in entwickelten Ländern Europas den Sozialstaat und eine breite fürsorgliche Zivilgesellschaft gibt, sollte man der Vollständigkeit halber hinzufügen. Die wenigsten Bürger wollen den Nanny-Staat.
Ute Plass
29. April 2016 @ 15:40
@Peter Nemschak – Das BIP ist lediglich ein schlichter quantitativer Wachstumsindikator und blind in Bezug auf Aussagen über Lebensqualität von Gemeinwesen u. Individuen. Vielleicht kennen Sie ja die Wachtumszauberformel,
die dem guten Leben aller dienlich ist?
Das TINA-Prinzip kann es wohl nicht sein, nährt dies doch vor allem das kapitale Pferd, von dessen Ausscheidungen sich die lohnabhängige Masse nähren darf, die den Gaul zuvor durch ihre Arbeit gemästet hat.
Ihre Einlassungen, Herr Nemschak, lassen vermuten, dass sie sich als Wachstumsgläubiger gerne von der unsichtbaren Hand des Marktes führen lassen 😉
S.B.
29. April 2016 @ 17:17
@Ute Blass: Nunja, Ihre Einlassungen lassen vermuten, dass Sie sich als Sozialismusgläubige gerne von der Hand der Planwirtschaft und der staatlichen Bevormundung führen lassen. 😉
Ute Plass
29. April 2016 @ 21:20
@S.B. – freut mich, dass Sie auch Humor haben 🙂
Ich habe nichts gegen sozial- humane Verhältnisse, die Mann u. Frau in Freiheit
mit gestalten und nicht alles dem sog. freien Markt überlassen (den es eh nicht gibt).
Ich plädiere für eine *Wirtschaft der Fürsorge*, wie sie z.B. Riane Eisler andenkt:
http://www.bzw-weiterdenken.de/2013/05/die-entwicklung-einer-wirtschaft-der-fursorge/
Ute Plass
29. April 2016 @ 12:07
@Peter Nemschak: Hinsichtlich der Thematik “Wettbewerbsbedingungen”, findet sich
hier ein lesenswerter Beitrag:
http://blog.arbeit-wirtschaft.at/wettbewerbsfaehigkeit-2-0-alternatives-konzept-des-ewsa/
Peter Nemschak
29. April 2016 @ 13:59
Dahinter verbergen sich grundsätzlich wettbewerbs- und marktfeindliche Vorstellungen. Im übrigen, so die Wirtschaftsforscher, sollen die relativ wirtschaftsliberalen USA heuer stärker als die Eurozone wachsen. Ohne Wachstum können sie auch nichts verteilen. Das wird von den Umverteilungsbeseelten gerne vergessen, ebenso dass der Staatsanteil bereits 50 und mehr Prozent vom BIP beträgt.
Peter Nemschak
29. April 2016 @ 10:53
Warum soll Frankreich seine arbeitsmarktpolitischen Rahmenbedingungen nicht jenen Deutschlands anpassen? Damit wäre ein Schritt zur Kongruenz der Wettbewerbsbedingungen der Wirtschaften beider Länder getan. Sind die Bedingungen in Deutschland tatsächlich so menschenfeindlich wie manche glauben machen wollen? Es geht wohl eher um die Bewahrung der schwindenden Macht der Gewerkschaften in Frankreich.
ebo
29. April 2016 @ 10:55
Bitte lesen Sie doch einmal, was ich schreibe. In Frankreich wird die Konjunktur seit jeher von der Binnennachfrage getrieben, wie in den meisten Ländern dieser Welt. Deutschlands Exportabhängigkeit ist ein Sonderfall und mittlerweile schon krankhaft zu nennen. Angesichts der allgemeinen Wachstumsschwäche in der Welt würde es mich nicht wundern, wenn DE bald wieder hinter FR zurückfällt, wie es bis zur Finanzkrise der Fall war…
Peter Nemschak
29. April 2016 @ 12:30
Frankreich hat ebenso wie Deutschland eine offene vom Außenhandel abhängige Wirtschaft. Ihr Argument spricht nicht gegen eine Angleichung der Arbeitsmarktbedingungen.