Flüchtlingspolitik: Der verflixte “Pull-Faktor”

Die geplante neue Marine-Mission vor der Küste Libyens soll keine Flüchtlinge retten. Denn das wäre ein “Pull-Faktor”, der noch mehr Migranten anziehen würde, meint Österreichs Kanzler Kurz. Was hat es damit auf sich?

Mit einem “Pull-Faktor” ist ein Vorgang gemeint, der Menschen in die EU “zieht”. Das können attraktive Arbeits- und Lebensbedingungen sein, aber auch plötzlich offene Grenzen.

Wie dieser “Pull-Faktor” funktioniert, das hat sich im Sommer 2015 gezeigt. Da haben erst die deutschen Polizeibehörden und dann die Kanzlerin zu verstehen gegeben, dass sie keine Flüchtlinge zurückweisen würden.

Die Meldungen haben sich in Sekundenschnelle in ganu Europa und darüber hinaus verbreitet – per Twitter, Facebook und anderen sozialen Medien. Danach machten sich viele Flüchtlinge auf den Weg nach Deutschland.

Aber hat auch die Marine-Mission “Sophia” als “Pull-Faktor” gewirkt? Österreichs Kanzler Kurz ist davon überzeugt, genau wie Bundesinnenminister Horst Seehofer oder die AfD.

Die alte EU-Mission sei ein “Ticket nach Europa“, mit dem “Tausende illegale Migranten” nach Europa kommen, sagte Kurz, der in Wien gemeinsam mit den Grünen regiert.

Doch von einem “Ticket” kann keine Rede sein. Wer in Libyen in ein klappriges Boot stieg, konnte nie sicher sein, von Schiffen aus der EU gerettet zu werden. Es war ein Vabanque-Spiel, das viele das Leben kostete.

“Es gibt keine schlüssigen Nachweise”, heißt es bei der Internationalen Organisation für Migration (IOM), die sich mit Migrationsbewegungen auskennt und diese eingehend analysiert.

Demgegenüber sieht das Centre for International Security der Berliner Hertie School einen direkten Zusammenhang zwischen mehr Überfahrten von Migranten und EU-Maßnahmen.

Es steht also Meinung gegen Meinung. Die Politik kann sich nicht auf die Experten herausreden – sondern muss eine Entscheidung treffen. Und die fällt nun zugunsten von Kurz aus.

Die EU richtet ihre Flüchtlingspolitik neu aus – dabei glaubt selbst die EU-Kommission nicht daran, dass von “Sophia” eine Gefahr ausgegangen ist.

Nimmt man noch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu “Push-Backs” – also Zurückweisungen an der EU-Außengrenze – hinzu, so könnte dies eine neue Etappe im Ausbau der “Festung Europa” sein…

Siehe auch “Neue Libyen-Mission macht Sophia den Garaus”