Maximale Überschüsse, minimales Wachstum
Da stimmt doch etwas nicht: Nach den neuesten Schätzungen wird der deutsche Leistungsbilanz-Überschuss in diesem Jahr größer als in China ausfallen. Gleichzeitig lässt das Wachstum nach.
Der deutsche Überschuss wird auf 8,9 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen, sagt das Ifo-Institut voraus. Der zulässige EU-Grenzwert liegt bei 6 Prozent, er wird seit Jahren überschritten.
Das Wachstum in Euroland schwächt sich dagegen schon wieder ab. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte in der Eurozone im zweiten Quartal nur noch um 0,3 Prozent zu, in Deutschland um 0,4.
Damit ist die herrschende deutsche Lehre widerlegt, derzufolge hohe Überschüsse der Ausweis einer gesunden Wirtschaft und Garant für kräftiges Wachstums sind. Das Gegenteil ist der Fall.
Deutschland überschwemmt Europa und den Rest der Welt mit seinen Waren, und macht sich damit vom Ausland abhängig. Das schwächere Wachstum in China und der Brexit lassen grüßen!
Zudem bleibt das Wachstum in Euroland hinter der EU-28 und dem Rest der Welt zurück. Wann schlägt die EU-Kommission endlich Alarm? Sie müsste gegen den Überschusssünder vorgehen…
Johannes
7. September 2016 @ 18:46
“Erst wenn andere Länder wie Italien, Frankreich oder auch Finnland aufmucken könnte sich vielleicht etwas ändern…”
Das wäre schön, denn wir Deutschen werden den Politikern die Hölle heiß machen, wenn sie dann auch nur einen Wunsch Süd Europas erfüllen.
Oh ja, ich sehne diesen Tag herbei, innenpolitisch wird es rund gehen in Deutschland, der Hass von uns Bürgern auf die Politker im Bundestag wird immens sein *hahaha
Ute Plass
7. September 2016 @ 16:24
@ebo – “Wann schlägt die EU-Kommission endlich Alarm? Sie müsste gegen den Überschusssünder vorgehen…”
“Wie die Ereignisse in Griechenland im Sommer 2015 deutlich gezeigt haben, ist die Governance-Struktur der Eurozone nicht offen für politische Maßnahmen, die dem ausdrücklichen Mehrheitswillen der Menschen folgen, sofern dieser der neoliberalen Agenda zuwider läuft.” – http://lexit-network.org/aufruf
Peter Nemschak
7. September 2016 @ 19:10
Mehrheitswillen???
Skyjumper
7. September 2016 @ 12:17
Ich meine dass die Betrachtungsebene des Beitrags zu oberflächlich ist.
Zunächst einmal wird hier erneut die 6 % – Grenze der EU-Regeln falsch angewendet.
“Als stabilitätsgefährdend wird ein Leistungsbilanzüberschuss eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union gegenüber den anderen EU-Staaten eingestuft, wenn dieser mehr als 6 % beträgt, oder mehr als 3 % bei gleichzeitigen negativen Staatshaushalt.”
Man darf also nicht den weltweiten Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands betrachten, sondern muss den eu-internen Leistungsbilanzüberschuss heranziehen. Dann sprechen wir nicht mehr über einen Überschuss von 8,9 %, sondern “nur” noch von etwa 3 %. (2014 ca. 60 Mrd. eu-weit von weltweit 215 Mrd.) Da wurden also Äpfel und Birnen zusammengeschmissen.
Desweiteren sollte man sich den Grund für den 2016 überproportional angesteigenden Überschuss ansehen. Ein nicht ganz unbedeutender Bestandteil auf der deutschen Importseite sind bspw. die Auslandsreisen der Deutschen. Letztes Jahr wurden dafür noch 70 Mrd. € ausgegeben. Glaubt man den Vorhersagen für 2016 reduziert sich diese Zahl (bedingt dürch Terrorängste und Türkei) deutlich. Jeder Euro der da weniger ins Ausland geht erhöht bei ansonsten gleichbleibenden Wirtschaftsaktivitäten die deutsche Leistungsbilanz.
Ausserdem stört mich, dass immer so getan wird als hätte Deutschland (gemeint ist doch vermutlich die deutsche Regierung) da einen Einfluß drauf. Natürlich gibt es für eine Regierung Stellschrauben um Exporte und Importe zu regulieren. Die wichtigsten hierbei sind Einfuhr- und Ausfuhrzölle. Es liegt jedoch an der EU und an der Mitgliedschaft in der WTO, wenn Deutschland hiervon so gut wie keinen Gebrauch mehr machen darf.
Möchte ausserdem wirklich irgendjemand hier als Verbraucher vorgeschrieben bekommen, das er nun schon 2x Addidas-Schuhe gekauft hat und das 3. Paar nun gefälligst von Nike zu sein hat? Ich denke eher nein. Ein gesteigerter Binnenkonsum ist nun einmal nicht gleichbedeutend mit einem reduzierten Leistungsbilanzüberschuss. Das zeigen gerade das letzte Jahr und die Schätzungen für das aktuelle Jahr sehr deutlich.
Es gibt in einer freiheitlichen Gesellschaft nur eine nachhaltige Methode zur Beschränkung von Leistungsbilanzdefiziten/überschüssen, nämlich die Währungsabwertung/aufwertung. Das ist allerdings durch den Euro derzeit unmöglich. Alternativ, aber nicht mehr freiheitlich, wäre ein Protektionismus denkbar. Das ist derzeit durch die EU-Verträge (und Ziele) sowie die WTO-Richtlinien allerdings so gut wie ausgeschlossen.
Immer wieder ist auch zu lesen, dass der Staat mehr investieren müße. Stimmt. Aber am Leistungsbilanzüberschuß würde das null,null ändern (wenn man mal von so fragwürdigen Investitionen wie den geplanten Bauaktivitäten des Bundes in Incirlik absieht).
Gleichfalls häufig wird so getan, als wenn der Leistungsbilanzüberschuß für Investionen zur Verfügung stände. Dem ist aber leider nicht so. In gleicher Höhe wie wir einen Handelsüberschuß erzielen erleidet Deutschland einen Kapitalabfluß ins Ausland damit das Ausland unsere Waren und Dienstleistungen überhaupt bezahlen kann. @der Dicke hat mit seinem Link bereits darauf hingewiesen.
Der mittlerweile völlig abstruse Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands ist ein riesiger stinkender Misthaufen mit großen Nachteilen für ALLE Beteiligten. Aber die Ursachen dafür liegen nur zu einem Teil in Deutschland begründet. Die handelspolitischen Ziele der EU und die währungspolitischen Handlungen der EZB sind hier die Haupttreiber.
Ute Plass
7. September 2016 @ 10:15
Denkfehler: „Exportüberschüsse sind prima“.
http://www.nachdenkseiten.de/?p=34559
Skyjumper
7. September 2016 @ 12:33
Auch hier würde ich die Überschrift durchaus unterschreiben. Aber auch Frau Wagenknecht tut so, als wenn sich das private Konsumverhalten im Ausland (Exportregulierend) und das private Konsumverhalten im Inland (Importregulierend) durch politische Ziele regeln lassen würde. Und dies ist mitnichten so.
Um mal eine immer wieder gern genommene Floskel von Herrn Flassbeck aufzunehmen welche grob verkürzt lautet: Mehr Einkommen = mehr Konsum = weniger Leistungsbilanzüberschuss.
Finde den Fehler. Ja, mehr Einkommen (in der Breite) führt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu mehr Konsum. Aber mehr Konsum führt NUR dann zu einen reduzierten Leistungsbilanzüberschuss wenn der Konsum sich auf importierte Waren und Dienstleistungen bezieht. Das wird also immer nur ein Teil des gestiegenen Konsums sein (auch unter Berücksichtigung von importierten Rohstoffen).
Peter Nemschak
7. September 2016 @ 14:13
…so ferne der aus den Exportüberschüssen entstehende Kapitalexport gut rentierlich für das Exportland angelegt wird und in Zukunft Zinsen und Dividenden zurückfließen. Die spanische Immobilienblase oder griechische Anleihen waren keine gute Veranlagung.
CHS
6. September 2016 @ 20:08
Leider hat der deutsche Sachverständigenrat keine Ahnung, wie der Kapitalismus funktioniert. Ebensowenig wie die meisten Kommentatoren hier. Ich habe es schon mehrfach erwähnt: Man kann gegen die Ahnungslosigkeit etwas tun. Sich auf die Klassiker, wie Smith und Marx besinnen. Als Einstieg helfen die Bücher von Ulrike Herrmann.
derdicke
7. September 2016 @ 06:22
Für den Anfang würde schon ein Hauch von Ahnung von der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und deren Auswirkung reichen. Vor allem für Herrn Nemschak…. und auch Herrn Schäuble und den Rest dieses Haufens.
https://de.wikipedia.org/wiki/Volkswirtschaftliche_Gesamtrechnung
Summe Überschuß Private Haushalte + Unternehmen + FinanzInstitute + Staat + Ausland = 0!!!
Die Haushalte können sich zum Großteil nicht mehr verschulden, die Unternehmen haben aufgrund der Wirtschaftsaussichten keinen Grund, die Finanzinstitute können auch nicht, der Staat will aus Ideologischen Gründen nicht – also bleibt nur das Ausland zum verschulden übrig.
So einfach kann Volkswirtschaft sein.,..
Ein Europäer
6. September 2016 @ 20:06
Der deutsche Überschuss wird auf 8,9 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen, … Der zulässige EU-Grenzwert liegt bei 6 Prozent, er wird seit Jahren überschritten.
Und was unternimmt die EU-Kommission dagegen um das Gleichgewicht innerhalb der EZ zu halten? Oder noch besser, was unternimmt dagegen die Fr. Vestager dagegen ?
Da bildet sich eine Blase und niemand tut was dagegen, nicht mal die dt. Regierung.
Peter Nemschak
6. September 2016 @ 17:56
@ebo Ihrer Argumentation folgend dürfte es keine Überschüsse in dieser Größenordnung geben. Überhaupt, wie groß ist der deutsche Leistungsbilanzüberschuss gegenüber den anderen EU-Mitgliedern verglichen mit dem Rest der Welt? Warum soll der deutsche Steuerzahler für eine Transferunion sein, solange die Nationalstaaten eine autonome Wirtschaftspolitik betreiben können? Bei einem föderalen Bundesstaat sieht die Situation naturgemäß anders aus. Wir sollten am Boden der Realität bleiben. Die Mehrheit nicht nur der Deutschen wünscht keine Transferunion. @Moritz Wie es mit der Währungsunion auch ohne Transferunion weitergehen kann, geht aus einem lesenswerten Gutachten des deutschen Sachverständigenrats hervor, auf das ich unlängst hingewiesen habe.
Moritz
6. September 2016 @ 17:47
@ebo
Die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes gibt es schon, es ist die konsolidierte Wettbewerbsfähigkeit aller Unternehmen und Branchen. Und in Deutschland ist sie in vielen Branchen hoch, wobei es natürlich auch viele nicht so wettbewerbsfähige Branchen und Unternehmen gibt. Abzulesen ist sie z.B. an der Veränderung der Leistungsbilanz oder an Weltmarktanteilen über einen Zeitraum. Wobei Deutschland natürlich durch den niedrigen Euro gedopt ist !
Zur Transferunion : Für einigermaßen einheitliche, wirtschaftliche Verhältnisse wären in Europa hohe Transfers nötig. Nach Studien ( leider auf die Schnelle keine Links ) müsste D zwischen 100 Mrd und 150 Mrd pro Jahr zahlen um ein weiteres auseinanderdriften der Euroländer zu stoppen. Also ein Drittel bis zur Hälfte des Bundeshaushaltes. Völlig illusorisch !
Dabei wird noch dazu völlig vom Problem abstrahiert, dass Transfers sich meistens negativ auf Wachstum und Entwicklung auswirken. Siehe, Süditalien etc..
ebo
6. September 2016 @ 18:13
Das ist volkswirtschaftlich nicht belegt. Sind die USA und UK jetzt nicht mehr Wettbewerbsfähig, weil sie seit Jahren Defizite einfahren? Was ist mit Ländern wie Griechenland, die fast die gesamte Energie importieren müssen, was zwangsläufig zu Defiziten führt? Nein, diese Betrachtung macht nur für Unternehmen und Branchen Sinn. Übrigens verzeichnet Euroland nun auch Überschüsse, trotzdem lahmt die Konjunktur…
Peter Nemschak
7. September 2016 @ 10:28
Auch Staaten können mehr oder minder wettbewerbsfähig sein. Zur Wettbewerbsfähigkeit von Staaten tragen bei: Mentalität der Gesellschaft, materielle und immaterielle Infrastruktur, liberale demokratische Institutionen (Rechtssicherheit, ein moderates leistungsfreundliches Steuersystem, ein geringes Ausmaß an Korruption) – Voraussetzungen, die in den meisten Staaten des Südens nicht gegeben sind und eine der Hauptursachen für die starken Migrationsbewegungen in Richtung Europa darstellen.
Moritz
6. September 2016 @ 16:02
Na, das ist doch kein Wunder. Es stimmt natürlich, dass es kaum Reallohnsteigerungen seit langer Zeit gab, allerdings gilt das nicht für die Exportindustrie. Der wahre Grund für diesen Exzess liegt im Euro, welcher für Deutschland völlig unterbewertet ist. Der normale makroökonomische Ausgleich für einen zu grossen Leistungsbilanzüberschuss wäre ein Ansteigen des Wechselkurses, was aber im Euro nicht möglich ist.
Die beiden Exportweltmeister China und Deutschland haben beide eine unterbewertete Währung. China macht es mit festen Wechselkursen, Deutschland mit der Mitgliedschaft in einer Währungsunion.
Wenn man nur ein einziges Argument nennen dürfte, warum die Überlebenschancen des Euro bei 0 % liegen, dann ist es die deutsche Leistungsbilanz. Die werden sich andere Länder auf Dauer nicht bieten lassen. Auch das oft geforderte Investieren in Deutschland (was nötig wäre ) würde prozentual kaum etwas am Überschuss ändern.
ebo
6. September 2016 @ 16:12
@Moritz Volle Zustimmung. Deutschland nutzt den Überschuss aber für Moralpredigten nach dem Motto “Ihr wollt doch wohl nicht Wettbewerbsfähigkeit bestrafen” und “Die anderen sollten sich an uns ein Beispiel nehmen, dann wird alles gut”. Sie nehmen das Problem nicht wahr bzw. ignorieren es. Erst wenn andere Länder wie Italien, Frankreich oder auch Finnland aufmucken könnte sich vielleicht etwas ändern…
Peter Nemschak
6. September 2016 @ 16:36
Offenbar sind deutsche Waren besonders begehrt, französische und italienische weniger. Was soll das Aufmucken von Ländern wie Italien, Frankreich oder Finnland bringen? Es ist eine Illusion zu glauben, dass sich das wirtschaftlich erfolgreichste Land einer Währungsunion, unabhängig davon, von welcher Partei es regiert wird, von anderen etwas dreinreden lässt. Der Inlandskonsum in Deutschland ist derzeit eine tragende Säule der Konjunktur, wobei die Ausgaben für Migranten dazu beitragen. Allerdings wäre Deutschland gut beraten, im Interesse seiner Zukunftssicherung in seine Infrastruktur zu investieren. Dies ist auch notwendig, um die Eingewanderten, so ferne sie bleiben, erfolgreich zu integrieren.
Moritz
6. September 2016 @ 17:07
@ebo
Ich befürchte Sie unterschätzen das Grundproblem der Währungsunion, die unterschiedlichen Wettbewerbsfähigkeiten der verschiedenen Länder, welche historisch und kulturell bedingt sind. Dafür eine einheitliche Geldpolitik zu machen, welche Nebenwirkungen wie Niedrigzinsen oder grosse Leistungsbilanzüberschüsse für wenige Länder erlaubt, ist unmöglich !
Auch die vielbeschworene Fiskalunion, bzw. Transferunion ist unmöglich, da die reichen Länder riesige Transfers leisten müssten, die sie innerhalb kürzester Zeit selbst ruinieren würden. Von demokratietheoretischen und politischen Überlegungen
einmal abgesehen.
Ich befürchte es gibt keine andere Lösung als die Auflösung oder Spaltung der Währungsunion. Obgleich ich gestehe, dass die Konsequenzen daraus mir wirklich Angst machen
ebo
6. September 2016 @ 17:17
@Moritz Was ist denn die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes? Das gibt es gar nicht. Es gibt nur Unternehmen und Branchen, die mehr oder wenig wettbewebrsbfähig bzw. – besser – produktiv sind. Kann Deutschland mit der französischen Luxusgüterindustrie mithalten? Mit der italienischen Modebranche? Mit dem griechischen Tourismus? Natürlich nicht. – Zur Transferunion: Natürlich ist sie möglich. Die EU ist bereits ein, siehe Strukturfonds. Deutschland ist auch eine, siehe Länderfinanzausgleich. Sonst wäre Berlin längst pleite. Und überhaupt nicht mehr “wettbewerbsfähig”.