Europa verschwindet

Die Wahl in den USA wird von wirtschafts- und sozialpolitischen Themen beherrscht. Außenpolitik spielt diesmal keine große Rolle, Europa kommt so gut wie gar nicht vor. Das dürfte sich auch nach der Entscheidung zwischen Obama und Romney nicht ändern. Abgesehen von der Eurokrise ist die EU aus US-Sicht kaum noch der Rede wert. Daran trägt die EU mit Schuld – sie hat es nicht verstanden, sich von den USA zu emanzipieren und eine eigene Agenda zu setzen.

“Diese Woche kriegen wir leider nichts unter, alles steht im Zeichen der US-Wahl. Und nächste Woche sind wir auch schon dicht, dann kommt China dran”. Diese Auskunft einer taz-Redakteurin ist typisch für die aktuelle Nachrichtenlage. Europa verschwindet gerade vom “Radarschirm” der Politiker und der Medien – alle stehen im Bann der großen Weichenstellungen in Washington und Peking.

Zwar stehen auch in Brüssel wichtige Entscheidungen an. Ein falscher Schritt in der Griechenland-Krise, und schon könnte nicht nur die Eurozone, sondern auch die US-Wirtschaft in gefährliche Turbulenzen geraten. Doch damit ist schon alles gesagt: Die EU zählt eigentlich nur noch als potentieller Störfaktor. Eine aktive, gestaltende Rolle in der Weltpolitik hat der alte Kontinent schon lange nicht mehr inne.

Dies liegt nicht nur an der verfehlten Wirtschaftspolitik, die ich in diesem Blog immer wieder aufgreife (siehe z.B. “Das Ende aktiver Wirtschaftspolitik”). Es liegt auch an der Außenpolitik, die nach einem viel versprechenden Neustart nach dem Irakkrieg in eine selbst verschuldete Unmündigkeit zurückgefallen ist. Alle drei großen Themen, mit denen die EU-Diplmaten punkten wollten, haben sich als Flops erwiesen.

Ob im Iran, im Nahen Osten oder im Kosovo – die EU hat unter der unprofessionellen “Führung” ihrer Außenbeauftragten Ashton überall an Boden verloren.

Am deutlichsten ist dies im Iran. Mit der jüngsten Runde von Wirtschaftssanktionen hat die EU auch ihren letzten Trumpf – die Handelspolitik – aus der Hand gegeben. Die Sanktionen treffen nicht mehr wie geplant das Mullah-Regime, sondern das iranische Volk (siehe “Wirtschaftskrieg gegen Iran”). Gleichzeitig hat die EU jede eigenständige Politik gegenüber Israel aufgegeben. Nicht zuletzt mit Rücksicht auf Deutschland wird auf alles verzichtet, was Israel von einem Krieg gegen Iran abhalten könnte. Pressionen, gar Sanktionen? Don’t even think about it!

Damit zusammen hängt die europäische Kapitulation im Nahen Osten. Die Zwei-Staaten-Doktrin gegenüber Israel und Palästina steht nur noch auf dem Papier, wie “Le Monde” völlig zu Recht anmerkt. De facto hat die EU die Hoffnung auf einen unabhängigen Palästinenserstaat längst begraben, die Proteste gegen Mauerbau und Siedlungspolitik sind nur noch leere Rhetorik. In das Vakuum stößt nun die Türkei, die sich zum Anwalt der Palästinenser und sogar der Araber aufschwingen möchte.

Ein Trauerspiel ist auch die Politik auf dem Balkan. Der bisher größte außenpolitische Einsatz, die EU-Mission Eulex im Kosovo, ist gescheitert, wie sogar der europäische Rechnungshof moniert. In Serbien und Bosnien ist keine klare Linie erkennbar, selbst der EU-Beitrittskandidat Kroatien wird neuerdings wieder auf Distanz gehalten – übrigens ausgerechnet von Deutschland, das Kroatien einst voreilig anerkannte und so mit zum Ausbruch der Balkankriege beitrug.

Die Amerikaner rufen am liebsten EZB-Chef Draghi an

Europa verschwindet, und das selbst in seiner Nachbarschaft. Kein Wunder also, dass die EU den US-Kandidaten Obama und Romney kein Wort im Wahlkampf wert war. Kein Wunder auch, dass die US-Administration am liebsten bei EZB-Chef Draghi anruft, und nicht bei “Außenministerin” Ashton, wenn es etwas zu besprechen gibt. Schließlich zählt die EU derzeit nur als Krisenherd.

Europa bewegt die Märkte, aber nicht die Menschen. Auch deshalb heißt dieser Blog “Lost in EUrope”…