EUropa rückt nach rechts, Klima wird unwichtig & “Russiagate” bleibt nebulös
Die Watchlist EUropa vom 11. April 2024 – Heute mit der umstrittenen Verschärfung des Asylrechts, einer neuen EU-Strategie und Verschwörungstheorien im Europaparlament.
Der Weg zu einer massiven Verschärfung des europäischen Asylrechts ist frei. Das Europaparlament hat für alle zehn Gesetzesvorschläge der so genannten GEAS-Reform gestimmt. Sie soll die „irreguläre“ Migration in die EU begrenzen und dafür sorgen, dass Asylbewerber künftig schon an den Außengrenzen geprüft und abgeschoben werden können.
Über die Reform war jahrelang heftig gestritten worden. Einigen EU-Staaten ging sie zu weit, anderen nicht weit genug. Auch Deutschland war zunächst dagegen. Doch im vergangenen Jahr lenkten Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ein. “Es ist an Europa, jetzt Handlungsfähigkeit zu beweisen“, forderte Baerbock kurz vor dem Votum.
Die meisten Europaabgeordneten der Grünen haben dennoch mit Nein gestimmt; nur zwei Gesetzestexte haben sie mitgetragen. Ihr Sprecher Eric Marquardt begründete die Ablehnung mit der Einschätzung, dass die Reform „nicht zu weniger Asylanträgen, sondern zu Chaos, Leid und mehr Sekundärmigration in Ländern wie Deutschland führen“ werde.
Ähnlich argumentiert die Linke. Sie lehnt den „Migrations- und Asylpakt“ – so der offizielle Name – komplett ab. Das Asylrecht werde beerdigt, kritisierten Cornelia Ernst und andere deutsche Linken-Abgeordnete, die in einer symbolischen Aktion vor dem Parlament einen Kranz niederlegten. Später kam es auch im Parlament zu Protesten; Aktivisten riefen “This pact kills – vote no“.
Letzte Chance?
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Letztlich hat sich aber die EU-treue große Koalition aus Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen durchgesetzt, die in Brüssel den Ton angibt. Ihr Argument: Dies sei die letzte Chance für eine Reform vor der Europawahl im Juni – und ein wichtiges Signal an die Wähler, dass die EU die Sorgen der Bürger verstanden habe und die Probleme beim Asyl löse.
Allerdings wird die Reform erst in zwei Jahren in Kraft treten. Den aktuellen Migrationsdruck kann sie daher nicht lindern. Auch den befürchteten Rechtsruck bei der Europawahl dürfte sie kaum stoppen. Vielmehr rückt die EU mit der Verschärfung des Asylrechts selbst nach rechts. Das liberale Asylsystem wird repressiver, die Solidarität wird zum Alibi…
Weiterlesen auf taz.de. Siehe auch “So wird die Flüchtlingskrise nicht gelöst” (zum neuen Asyldeal)
P.S: Wenn die EU wirklich ein Signal zur Europawahl senden wollte, müsste sie wirksame Sofortmaßnahmen gegen die neue Flüchtlingskrise ergreifen und zugleich die Fluchtursachen bekämpfen – etwa durch aktive Hilfe zur Beilegung kriegerischer Konflikte, auch in der Ukraine. Doch das ist (anders als 2015/16) tabu…
News & Updates
- EU-Strategie: Klimapolitik wird zur Nebensache. EU-Ratspräsident Charles Michel arbeitet an einer “strategischen Agenda” für die kommende Legislaturperiode. Die Klimapolitik sei darin kein Thema mehr, kritisiert der BUND. Während der Klimaschutz zu einer Randnotiz degradiert werde, blieben die Biodiversitätskrise und der Umweltschutz komplett unerwähnt. Die EU drohe, ihre internationalen Verpflichtungen, etwa aus dem Kumming-Montreal-Abkommen, zu untergraben. – Das “passt” zum vorläufigen Scheitern des Green Deals, mehr dazu hier
- Gericht kippt Strafen gegen russische Oligarchen. Das Gericht der EU hat Sanktionsbeschlüsse gegen die russischen Oligarchen Michail Fridman und Pjotr Awen gekippt. Der Rat der EU habe bei den Entscheidungen zwischen Februar 2022 und März 2023 keine hinreichenden Belege für die Aufnahme in die Sanktionsliste geliefert, entschieden die Richter. – Das Urteil könnte das gesamte Sanktions-Regime durcheinander wirbeln! – Mehr hier (Blog zum Wirtschaftskrieg)
- Schweiz will Friedenskonferenz ausrichten. Die Schweizer Regierung hat eine hochrangige Friedenskonferenz zur Ukraine angekündigt. Zu dem Treffen am 15. und 16. Juni in Bürgenstock würden Vertreter aus Dutzenden Staaten erwartet, teilte die Regierung in Bern mit. Russland ist allerings nicht dabei, China wohl auch nicht. Bundespräsidentin Viola Amherd sagte, auf der Konferenz in Bürgenstock werde kein Friedensvertrag unterzeichnet. – Derlei Konferenzen gab es schon viele, gebracht haben sie alle nichts…
Das Letzte
Das “Russiagate” bleibt nebulös. Haben Sie schon ‘mal von der Website “Voice of Europe” gehört? Nein? Kein Wunder, selbst im Europaparlament kannte die bisher kaum einer. Umso eifriger verfolgen die EU-Abgeordneten die vom tschechischen Geheimdienst gestreuten Meldungen, das ominöse Portal sei von Russland ferngesteuert und zur Bestechung von AfD-Abgeordneten genutzt worden. Jetzt gab es zu dieser Verschwörungstheorie aus Prag sogar eine Aussprache in Brüssel. Man müsse „Propagandanetzwerke des Kremls aufdecken“, forderten Abgeordnete von SPD, CDU und Grünen unisono. Doch Beweise legten sie nicht vor. Die Parlamentsführung hat offenbar auch keine. Der angebliche “Angriff auf das EU-Parlament”, von dem Bundesinnenministerin Faeser sprach, lässt sich nicht nachvollziehen, das “Russigate” bleibt nebulös…
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european
11. April 2024 @ 11:19
EUropa driftet nach rechts seit dem man die Finanzkrise auf dem Ruecken der Buerger alternativlos geloest hat. Sozialismus umgekehrt quasi. Die Taeter blieben allesamt in Amt und Wuerden. Aufweichung der Strukturen, unsichere Leiharbeitsvertraege, Sozialkuerzungen, Austeritaet. Die Krise ausgeloest durch die unkontrollierte Grenzoeffnung hat diesen Prozess verstaerkt. Wobei man auch hier tiefer graben muss. Die letzten Kriege von USA und NATO fanden rund um EUropa statt mit entsprechend im voraus berechenbaren Fluchtbewegungen. Die Griechenlandkrise kam noch obendrauf.
Deutschland wusste, wohin das fuehrt. Es waren die Bruening’schen Spargesetze, die die Buerger regelrecht in die Arme der Nazis getrieben haben. Die mussten nur noch die Arme ausbreiten. Und weil das so erfolgreich war, haben wir mit diesem Rezept gleich die ganze EU beglueckt. Deutschland selbst befindet sich eher am Ende dieser Entwicklung, aber auch dort ist sie angekommen.
KK
11. April 2024 @ 15:04
Und in der Ukraine werden die Nazis schon mal vorsorglich bewaffnet…
Daniel Kreutz
11. April 2024 @ 09:50
@Kleopatra: Woher wollen Sie wissen, dass der Rückgang der Fluchtmigeration eine Folge der Grundgesetzänderung war? Zwischen 1992 und 1996 ging die Fluchtmigration nach EUropa insgesamt zurück, stieg dann bis 2001 wieder an, um danach erneut zurückzugehen etc. Ist es nicht weitaus wahrscheinlicher, dass hier “Konjunkturen” von Fluchtursachen wirken? Und kam nicht die harte Rechte in Deutschland trotz diverser Bemühungen um “Begrenzung” der Fluchtmigration – allein im Windschatten von Merkels “Wir schaffen das” vier “Asylpakete” – umso massiver zurück? Die Erfahrung lehrt, dass “Abschottung” nicht möglich ist, und dass das vermeintliche “Scheitern” von Begrenzungsmaßnahmen zum Ruf nach härteren Maßnahmen führt – Menschenrechte werden immer egaler. Die ‘extreme Mitte’ rückt nach rechts und bestätigt die Propaganda der harten Rechten…
KK
11. April 2024 @ 15:02
@ Daniel Kreutz:
“@Kleopatra: Woher wollen Sie wissen…”
Kleopatra weiss einfach alles!
Stef
11. April 2024 @ 09:36
Durch die Übernahme der Forderungen von Rechtsradikalen kann man ggfs. mit viel Glück deren Existenzgrundlage erodieren. Um den Preis der Umsetzung ihrer Politik. Darin kann ich weniger eine erfolgreiche politische Strategie zur Gegnerbekämpfung erkennen, als ein Agieren mit geteilten Aufgaben.
Was Republikaner seinerzeit und AfD heute machen, ist die Themen Asyl und Migration zu vermischen.
Asyl ist ein Grundsatz, der so tief mit unserer Moral verbunden ist, dass wir ihn nicht ungestraft negieren können. Die Strafe erlegen wir uns dabei quasi selbst auf: Bilder von leidenden Flüchtlingen werden immer das Bedürfnis auslösen, zu helfen, zu starke Einschränkungen des Asylrechts schaffen sich damit von selbst ab. Von daher ist für mich eine Einschränkung des Asylrechts abzulehnen und Flüchtlingsströme sind sanft zu steuern. Wenn wir die Grenzen sichern wollen, müssen wir Asylverfahren an der Grenze effizient (= mit viel Geld und Ressourcenaufwand) durchführen. Wenn durch Flüchtlinge die innere Belastung zu hoch wird, haben wir das Recht uns zu schützen und die Aufnahme entsprechend einzuschränken, was zugegebenermaßen leichter gesagt als getan ist.
Migration ist demgegenüber ein Zuzug nach Wunsch des Einreiselandes. Hier darf und muss harte Steuerung erfolgen. Migration mindert allerdings den Problemlösungsdruck in den Aufnahmeländern, z.B. wenn Fachkräfte lieber angeworben werden statt die heimische Ausbildung zu stärken und die eigenen Reserven zu mobilisieren. Meines Erachtens wird bei Migration ferner unterbelichtet, dass sie in den meisten Fällen ein parasitäres Konzept zu Lasten der Auswanderungsländer ist. Wir absorbieren natürlich am liebsten gut ausgebildete Menschen, deren Ausbildung ein anderes Gemeinwesen bezahlt hat und deren Weggang ein wirtschaftliches Loch reißt. Migration ist in der Regel ein nicht nachhaltiges volkswirtschaftliches Konzept mit sehr hohem Missbrauchspotenzial, aber ganz nach dem Geschmack des Großkapitals und der Arbeitgeber.
Warum ist die AfD also so stark? Weil die Politik sich nicht traut, den nach Migration und Fachkräften rufenden Arbeitgebern zu widersprechen und auf die Förderung des heimischen Arbeits- und Ausbildungsmarktes zu setzen. Das würde den Rechtsaußen in zweierlei Hinsicht das Wasser abgraben: Inländer würden besser behandelt und weniger Migranten würden angezogen, was den gesellschaftlichen Problemdruck mindert. Tatsächlich forciert die Regierung Migration und heizt damit den gesellschaftlich-kulturellen Problemdruck aber an und will zum Ausgleich das “unproduktive” Asylrecht beschränken, was aber nicht gelingen kann. Gleichzeitig liefert sie die Mobilisierung der inländischen produktiven Reserven dem Großkapital und der Schuldenbremse aus, die sich das dann lieber sparen.
Ich würde vorschlagen, beim Thema Asyl lieber die Reihen mit den Kirchen und den Verbänden um einen Kernbestand unserer Moralvorstellungen zu schließen und gleichzeitig die Migration auf null zu setzen.
Werden aber weiterhin die Themen Asyl und Migration vermischt, gewinnt immer die AfD. Auf die eine oder andere Weise.
european
11. April 2024 @ 11:28
@Stef
Sie haben voellig Recht. Es ist leider auch eine unuebersehbare Tatsache, dass man die notwendige Oppositionsarbeit ausschliesslich der AfD ueberlaesst. Waehler, die nicht auf der Seite von Regierung und Scheinopposition sind, haben kaum noch ernstzunehmende Ausweichmoeglichkeiten.
Selbst wenn jetzt Neuwahlen waeren, bekaeme das Land den Blackrock-Lobbyisten Merz als Kanzler mit den Gruenen als Vehikel. Sprich: Es wird sich nichts wesentliches aendern.
KK
11. April 2024 @ 15:01
“Inländer würden besser behandelt und weniger Migranten würden angezogen, was den gesellschaftlichen Problemdruck mindert.”
Richtig – und damit erhielten hier viele Menschen ohne (Aufstiegs-)Perspektive eine solche, was sogar einen äusserst positiven Effekt auf die jährlich mit viel tamtam zelebrierte Kriminalstatistik haben dürfte.
Kleopatra
11. April 2024 @ 07:20
In den 1990er Jahren war in Deutschland eine scharf rechte Partei, die sogenannten Republikaner, eine Zeitlang recht erfolgreich, was (zumindest auch) an hohen Asylbewerberzahlen lag. CDU/CSU und SPD haben daraufhin gemeinsam die Asylregelung im Grundgesetz radikal eingeschränkt (nach dem heutigen Wortlaut des Grundgesetzes könnte jeder Asylbewerber, der versucht auf dem Landweg nach Deutschland einzureisen, sofort zurückgewiesen werden). Danach verschwanden die Republikaner wieder von der Bildfläche.
Diese Erfahrung spricht eher dafür, dass eine entschiedene Politik gegen Asylzuwanderung durchaus gegen rechte Parteien wirksam sein kann; nicht zuletzt, indem dadurch, dass die Asylproblematik gelöst ist, wieder andere fragen wichtig werden. Ob das bei der AfD wirkt, ist ungewiss, weil der Mainstream der gegenwärtigen deutschen Politik in dieser Hinsicht zulange gezögert hat.
Inwiefern wurde Ihrer Ansicht nach 2015/16 aktiv bei der „Beilegung kriegerischer Konflikte“ geholfen? Und würde ein russischer Sieg über die Ukraine angesichts der genozidalen Besatzungspraktiken Russlands nicht für mehrere Dutzend Millionen Ukrainer legitime Fluchtgründe schaffen?