Europa ohne Merkel denken

Der große Knall ist ausgeblieben, noch. Im Streit um die Flüchtlingspolitik spielen CDU und CSU auf Zeit – nach dem EU-Gipfel Ende Juni will man weitersehen. Doch das ist kein Sieg für die Kanzlerin, im Gegenteil: Es wird höchste Zeit, Europa ohne Merkel zu denken.

Denn die CDU-Chefin ist schwächer denn je. Sie hängt jetzt nicht nur von CSU-Chef Seehofer, sondern auch von Zugeständnissen in Italien, Griechenland oder Österreich ab, das am 1. Juli den EU-Vorsitz übernimmt.

Wenn sich die Salvinis, Straches und andere Hardliner dieser Welt nicht drängen (erpressen?) lassen und Merkel hinhalten, dann könnte sie schon bald ihren Job verlieren. Dann müsste die EU ohne sie weiter machen.

Wäre das wirklich so schlimm? Nein, denn Merkel steht nicht für eine „europäische Lösung“. Es geht ihr nicht mehr um das Schicksal von Migranten – sondern nur noch darum, ihre Kanzlerschaft zu retten, schreibt SPON.

Auch die „europäische Lösung“, die sie auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 suchte, war gar keine. Es war eine deutsch-türkische Notlösung, die die EU abhängig von Sultan Erdogan gemacht hat.

Kurz zuvor, im Sommer 2015, hätte Merkel die EU beinahe in eine Existenzkrise gestürzt – mit der Drohung, Griechenland aus dem Euro zu werfen. Frankreich und Italien konnten dies gerade noch verhindern, in letzter Minute.

Nicht verhindern ließ sich hingegen der Brexit im Juni 2016, für den Merkels Missmanagement im Flüchtlingsdrama gewiß nicht die geringste Schuld trägt. Auch der Bruch der Briten hat die EU nicht wirklich vorangebracht.

Und dann wären da noch Macron und der Bundestags-Wahlkampf. Hat sich Merkel da irgendwie als große Europäerin hervorgetan? Hat sie das Schlimmste verhindert – oder den Erfolg der AfD überhaupt erst möglich gemacht?

Hier geht es nicht darum, Merkels Sturz herbei- oder gar schönzureden. Doch wir täten gut daran, Europapolitik auch mal ohne die „ewige“ Kanzlerin zu denken. Denn die Gleichung „Merkel = EU“ geht schon lange nicht mehr auf.

Und das „deutsche Europa“ (U. Beck), für das die CDU-Chefin jahrelang stand, steht von allen Seiten unter Druck. Deutschland wird bewundert, die deutsche Dominanz wird gehasst. Nur Merkel hat es nicht gemerkt…