EUropa ist falsch aufgestellt, Freibrief für Frankreich und Kritik an Deutschland
Die Watchlist EUropa vom 21. Januar 2025 – Heute mit News und Analysen zur zweiten Amtszeit von Donald Trump, zu den neuen EU-Schuldenregeln und zu griechischen Reform-Forderungen an Berlin.
Vier Jahre hatte die EU Zeit, um sich nach der ersten Amtszeit von Donald Trump (2017-2021) von den USA zu emanzipieren und die viel beschworene “strategische Autonomie” zu entwickeln.
Doch passiert ist fast nichts. Von Russland und China hat sich EUropa zwar abgekoppelt bzw. distanziert. Doch von den USA sind die Europäer noch abhängiger geworden. Sogar der deutsche Handel hängt nun an den USA.
Die längst überfällige Strategiedebatte wurde nicht geführt. Bei der Europawahl 2024 wurden alle kritischen Fragen ausgeblendet, um der deutschen Kommissionschefin von der Leyen eine zweite Amtszeit zu sichern.
Keine Strategie
Das Ergebnis: die EU hat gar keine Strategie – weder beim Krieg um die Ukraine, noch im Verhältnis zu westlichen Vormacht USA. Bei den beiden heikelsten Themen der nächsten Jahre ist sie blank und sprachlos.
Es hätte zwar die Möglichkeit gegeben, eine strategische Debatte zu führen – der ungarische Ratsvorsitz unter Viktor Orban hat dies im Juli 2024 sogar angestoßen. Doch die EU-Staaten haben sich verweigert.
Sie haben nicht einmal versucht, Orbans gute Kontakte zu Trump zu nutzen, um sich auf den Machtwechsel in Washington vorzubereiten. Nun müssen sie improvisieren. Doch dafür ist Brüssel denkbar schlecht aufgestellt.
Altes Denken
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Kommissionschefin von der Leyen steht für das alte, “transatlantische” Denken. Ratspräsident Costa ist ein guter Organisator und Conférencier, aber kein mächtiger Politiker, der Trump beeindrucken könnte.
Die neue EU-“Außenministerin” Kallas interessiert sich fast nur für den Krieg gegen Russland, der Rest der Welt ist ihr ziemlich egal – wie die deutsch-französische “Mission” nach Syrien gezeigt hat.
Und Verteidigungskommissar Kubilius? Ein Mann von gestern, der weder über eine Armee zur “Verteidigung” EUropas noch über ein nennenswertes eigenes Budget verfügt. Er muß nun um Geld betteln…
Unter Beschuss
Der einzige Bereich, in dem die EU stark aufgestellt war – die Internet-Regulierung – ist schon vor Trumps Amtsantritt unter Beschuss geraten, zuletzt von Facebook-Chef Zuckerberg. Brüssel hat bisher kaum Widerstand geleistet…
Bleibt die Frage, warum EUropa so schlecht aufgestellt ist. Meine – zugegeben polemische – Antwort: Weil es keine Wahl hatte. Die Europawahl war von vornherein darauf ausgerichtet, den Status Quo zu sichern.
Demgegenüber ist Trump angetreten, um mit dem alten System zu brechen. Seine “disruptive” Politik, die er im Hau-Ruck-Verfahren durchdrücken will, ist so ziemlich das Gegenteil der konsensorientierten und lahmen Europapolitik…
Dieser Beitrag beruht auf Passagen aus meinem E-Book “Die Kommission der letzten Chance”. Mehr Infos und Bestellung hier oder bei Amazon / Kindle (siehe unten)
P.S. Gar nicht aufgestellt sind Deutschland, Frankreich, Belgien und Österreich, wo es aktuell keine oder nur eine Regierung ohne parlamentarische Mehrheit gibt. “Gut” aufgestellt ist eigentlich nur Italien – Regierungschefin Meloni ist sogar zur Trump-Feier nach Washington gereist 🙂
News & Updates
- Defizit: Freibrief für Frankreich. Die neue französische Regierung rechnet für 2025 mit einem noch höheren Staatsdefizit als im Jahr zuvor. Die EU billigt die Zahlen trotzdem – im Rekordtempo. Bereits beim heutigen Treffen der Finanzminister in Brüssel soll das grüne Licht kommen. Der Grund: Man will sich nicht mit Frankreich und dem EU-freundlichen Präsidenten Macron anlegen, denn das könnte neue Krisen auslösen. Auch Österreich kann mit Milde rechnen, trotz Kickl…
- Mehr Handhabe gegen Hassrede. Im Kampf gegen Hassrede im Internet haben sich zahlreiche Online-Plattformen europäischen Behörden gegenüber zu einem härteren Vorgehen verpflichtet. Firmen wie Facebook, X, TikTok oder YouTube hätten eine entsprechende Verpflichtung unterzeichnet, teilte die EU-Kommission mit. Diese werde Teil der europäischen Regeln für die Branche – die Regeln soll im Internet-Gesetz DSA verankert werden.
- Orban sieht Rechte im Aufwind. “Der große Angriff kann also beginnen. Hiermit starte ich die zweite Phase der Offensive, die darauf abzielt, Brüssel zu besetzen.” Mit diesen Worten hat Ungarns rechtslastiger Regierungschef die Amtseinführung von Trump 2.0 begrüßt. Die neue US-Regierung werde auch den Rechten in EUropa helfen, gab sich Orban sicher. Allerdings war er selbst nicht nach Washington eingeladen… – Mehr hier (Blog)
Das Letzte
Griechenland fordert Reformen – in Deutschland. Vor zehn Jahren hat Deutschland versucht, Griechenland aus dem Euro zu werfen – und am Ende harte Reformen durchgesetzt, an denen das Land heute noch knabbert. Jetzt kommt die Revanche: In einem Interview mit Europe.Table fordert der griechische Premier Mitsotakis radikale Reformen in Deutschland! “Ohne ein wettbewerbsfähiges Deutschland können wir uns keine wesentlichen Fortschritte in der Europäischen Union und eine Stärkung der europäischen Wirtschaft vorstellen”, so Mitsotakis, der CDU-Chef Merz unterstützt. “Deutschland muss sich also zusammenreißen.” – Wer hätte gedacht, dass die deutschen Oberlehrer einen Tages von den “Pleite-Griechen” ermahnt würden?
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european
21. Januar 2025 @ 10:22
Gestern habe ich gelesen, dass Friedrich Merz dem neuen US Praesidenten Trump einen handgeschriebenen Brief schicken will.
Jetzt suche ich nach der message. 😉
Thomas Damrau
21. Januar 2025 @ 10:44
… hoffentlich auf blasslila Papier.
Trump hat in der EU bereits seine Groupies gefunden und wird weitere finden – prominentes Beispiel: Jens Spahn (https://www.rnd.de/politik/jens-spahn-bei-republikaner-parteitag-auch-parteifreunde-sehen-zu-viel-naehe-zu-trump-AHVWZQGATRCS5KW27EL7ZTDGN4.html).
Und das ist auch nicht weiter verwunderlich: Die weltanschaulichen Gräben zwischen einem rechts-libertären Trump und der neoliberalen EU sind geringer als dies in der Öffentlichkeit dargestellt wird. “Mehr Trump bzw. Milei wagen” ist für so manchen Wirtschaftsführer oder marktkonformen Politiker ein attraktiv/er Ansatz.
Siehe auch meinen Blog-Beitrag über Neoliberalismus.: https://redfirefrog.wordpress.com/2025/01/14/das-progressiv-8-analyse-neoliberalismus
Titi
21. Januar 2025 @ 09:35
Ja, man hatte stets immer Vorurteile gegenüber die „faulen Südländer, die mit dem Finanzbudget nicht umgehen können“ gehabt, doch jetzt kommt die Retourkutsche, wenn auch auf die freundliche Art (wie im Falle Mitsotakis).
Thomas Damrau
21. Januar 2025 @ 08:29
Mitsotakis’ Forderung ist weniger ein Revanche-Foul für die Foltermethoden des Herrn Schäuble (CDU) in den 2010ern, sondern lediglich Wahlkampfhilfe für EVP-Kumpel Merz – wie sie ja auch selbst andeuten.
Immerhin: Das “Am deutschen Wesen soll Europa genesen” wird Mitsotakis nicht so einfach von den Lippen gekommen sein. Aber was tut man nicht alles für Gute Frende …