EU-Tabak-Lobby-Krimi

Der Skandal um den zurückgetretenen EU-Kommissar Dalli zieht immer größere Kreise. Nun müssen sich auch der deutsche Bürokratieabbau-Beauftragte Stoiber (ja, DER Stoiber) und der Chef der EU-Antibetrugsbehörde OLAF rechtfertigen. Warum musste Dalli gehen, wieso wurde bei Anti-Tabak-Aktivisten eingebrochen? Die Affäre entwickelt sich zu einem Politkrimi, nichts scheint unmöglich.

Man nehme: einen unbekannten und ziemlich schwachen Gesundheitskommissar aus Malta, der eine massive Verschärfung der EU-Tabakrichtlinie vorbereitet. Sein Entwurf, der in diesen Tagen vorgelegt werden sollte, sah wesentlich größere Warnhinweise und die Möglichkeit vor, auch Einheitspackungen ohne Logo  waren im Gespräch.

Einen großen Tabakkonzern, Swedish Match, der das EU-Importverbot für schwedischen Kautabak abschaffen will. Einen mysteriösen maltesischen Geschäftsmann, der 60 Millionen Euro dafür verlangt, Dalli in diesem Sinne zu beeinflussen.

Und einen hochnervösen Kommissionspräsidenten Barroso, der Dalli binnen kürzester Frist formlos feuert – angeblich musste er nach 30 Minuten den Hut nehmen.

Allein das reicht schon, um von einem “Tabak-” oder “Dalligate” zu sprechen, wie es in Brüssel üblich geworden ist. Doch nun kommt es noch dicker. Erst wurde bekannt, dass die Büros von zwei Anti-Tabak-NGOs aufgebrochen und sensible Daten entwendet wurden – kurz nach Dallis Rausschmiss. Dann kam raus, dass es bisher weder eine schriftliche Rücktrittserklärung des Kommissars noch sonst irgendwelche nachprüfbare Dokumente gibt.

Zwar hat die EU-Antibetrugsbehörde OLAF einen Ermittlungsbericht angefertigt, nachdem sie von Swedish Match auf die Spur des maltesischen Dunkelmanns gesetzt worden war. Doch der Bericht ist vertraulich. Bisher sickerte nur durch, dass er nicht reicht, um Dalli vor ein Brüsseler Gericht zu zerren.

Rechtlich liege nichts gegen den Ex-Kommissar vor, er sei politisch nicht mehr haltbar, ließ Barroso nach tagelangem Schweigen erklären. Das Europaparlament wollte es genauer wissen – und stieß auf eine Mauer des Schweigens. OLAF-Chef Kessler möchte seinen Bericht nicht rausrücken, was für Empörung sorgt: Der FDP-Abgeordnete M. Theurer verlangte die Herausgabe des Rapports und drohte sogar mit einem Untersuchungsauschuss, wie der EUObserver berichtet. Zuvor war der Chef des OLAF-Kontrollausschusses zurückgetreten – warum genau, ist unklar, wie fast alles in diesem unglaublichen Politkrimi.

Heute kam eine neue. noch abenteuerlichere Wendung: Der Fachdienst Euractiv berichtet, der deutsche CSU-Politiker Stoiber habe ebenfalls versucht, auf Dalli Einfluss zu nehmen. Obwohl er nur für den EU-Bürokratieabbau zuständig ist, soll Stoiber bereits im Mai versucht haben, den Gesundheitskommissar von den Vorteilen bayerischen Schnupftabaks zu überzeugen. Es sei um einen mittelgroßen Tabakhersteller gegangen, berichtet Euractiv unter der Headline: “Tobacco lobby focus switches from Dalli to Stoiber”.

Wie passt das alles zusammen? Gab es einen groß angelegten Versuch der Tabaklobby, die ungeliebte Tabak-Richtlinie zu stoppen? Oder wollten einzelne Lobbyisten die Gunst der Stunde nutzen, um Vorteile für ihre Produkte – Kau- bzw. Schnupftabak – herauszuschlagen? Wurde Dalli Opfer eines Komplotts, wie er selbst vermutet?

Oder herrscht in der EU-Kommission eine Art “Lobby-Panik”, die Behördenchef Barroso dazu brachte, Dalli Hals über Kopf zu chassen – aus Angst, politisch angreifbar zu werden?

Fest steht, dass die Tabakrichtline erst mal verschoben wurde, was der Konzernlobby gefallen dürfte. Fest steht auch, dass diese Affäre noch lange nicht vorbei ist. “Smokescreen or smoking gun” fragt das Corporate Europe Observatory. Wenn wir hier rauchende Colts sehen, könnten am Ende noch andere, Größere stürzen…