Ein Jahr Corona: Merkel & Co. halten die Bürger hin


Die Watchlist EUropa vom 25. Februar 2021 –

Während die Briten schon ihren Sommerurlaub buchen, müssen die EU-Bürger weiter auf die Reisefreiheit warten. Bei einem EU-Sondergipfel am Donnerstag und Freitag, der als Videokonferenz abgehalten wird, zeichnen sich noch keine Lockerungen bei den Reisebeschränkungen wegen Corona ab.

Um die Ausbreitung des Virus einzudämmen, seien weiterhin restriktive Maßnahmen für nicht erforderliche Reisen notwendig, schrieb Gipfelchef Charles Michel in seiner Einladung an die 27 Staats- und Regierungschefs.

Solche Maßnahmen haben unter anderem Belgien und Deutschland erlassen. In Belgien gilt ein Verbot von Auslandsreisen, in Deutschland wird die Einreise erschwert.

Dies führte zu einem heftigen Streit mit der EU-Kommission. In einem Brief an Deutschland, Belgien und vier weitere EU-Staaten mahnte die Brüsseler Behörde die Regierungen, auf die Verhältnismäßigkeit zu achten.

Auch Corona-bedingte Grenzkontrollen und Reisebeschränkungen dürften nicht diskriminierend wirken; der Binnenmarkt und die Freizügigkeit müssten gesichert werden.

Ratspräsident Michel setzt andere Akzente. Er betont in seiner Einladung den Binnenmarkt und den ungehinderten Handel mit Waren und Dienstleistungen – und “vergißt” die Reisefreiheit.

Damit kommt Michel Deutschland und Belgien weit entgegen, die Reisewünsche der Bürger werden hintan gestellt. Dahinter steht die Sorge vor neuen Virus-Mutationen und einer „dritten Welle“, die Kanzlerin Angela Merkel anrollen sieht.

Appell zur Freigabe der Patente

Weitere Themen beim Gipfel sind die schleppende europäische Impfkampagne und der Streit um mögliche Impfpässe für Touristen. Michel fordert, die Zulassung und Produktion von Impfstoffen zu beschleunigen.

Die Freigabe von Patenten an den Vakzinen fordert der Ratspräsident allerdings nicht mehr. Dies führt zu Unmut im Europaparlament, das schon lange mit der EU-Strategie hadert.

Nun fordern mehr als 100 EU-Parlamentarier die Kommission und die EU-Staaten dazu auf, dem Antrag Südafrikas und Indiens bei der Welthandelsorganisation statt zu geben, Patentrechte für Covid-Impfstoffe und Medikamente temporär auszusetzen.

Streit um Impfpass für Reisende

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„Eine Freigabe der Patente und Lizenzen wäre kein unzulässiger Markteingriff“, so der grüne Finanzexperte Sven Giegold, denn es gehe um eine Notlage.

Der Appell dürfte jedoch ebenso wenig erhört werden wie die Forderung aus Griechenland und anderen EU-Staaten, schnell einen Impfpass für Reisende einzuführen, um den Tourismus anzukurbeln.

Immerhin soll das Thema beim Videogipfel zur Sprache kommen. Mit Entscheidungen wird aber nicht gerechnet – Merkel & Co. halten die Bürger hin. Nicht einmal das Impfdebakel wird aufgerbeitet.

Irgendwie haben es die Briten besser, oder?.

Siehe auch “Ein Jahr Corona: die USA trauern, die EU duckt sich weg” und “Grenzkontrollen: Der Ton wird rauer”

Watchlist

Wie wird sich Italiens neuer Premier Mario Draghi bei seinem ersten EU-Gipfel schlagen? Wird er Merkel und Macron die Show stehlen – oder gleich in ein neues Triumvirat aufgenommen? Die Erwartungen an den ehemaligen EZB-Chef sind jedenfalls hoch – vielleicht zu hoch, wie W. Langthaler vom “Makroskop” meint. Die Frage sei nicht nur, ob er die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen kann, sondern um welche es sich genau handelt, heißt es unter der Überschrift “Salvadore Draghi ‒ Das letzte Ass der EU”.

Hotlist

  • Geht es nach dem Willen der EU-Kommission, werden Verbraucherinnen und Verbraucher in Europa auch weiterhin vom Wegfall der Roaminggebühren profitieren. Die Kommission schlug am Mittwoch vor, die bestehenden Regeln über Ende Juni 2022 hinaus für weitere zehn Jahre zu verlängern, berichtet der “Spiegel”.Das ist erfreulich, kostet die EU aber auch nichts. Offenbar war man in Brüssel auf der Suche nach einem Stimmungsaufheiterer…
  • Sloweniens Staatschef Janez Janša hetzt gegen Journalisten, die kritisch über ihn berichten. Per Gesetz will die Regierung zusätzlich Druck ausüben. Redakteure berichten von Selbstzensur und Angst. Droht dem EU-Land das Ende der Pressefreiheit? Dies fragt L. Bayer von “Politico” nun auch in der “Welt” (deutsche Übersetzung, Springer ist an “Politico” beteiligt) – Nicht mehr ganz neu, aber weiter wichtig. Slowenien übernimmt am 1.7. den EU-Vorsitz…
  • Wandelt Österreichs Kanzler Kurz nun auf Orbans Spuren? Das fragt sich der Wiener “Standard”. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) soll zerschlagen werden, berichtet das Blatt in seinem Podcast. Die Arbeit von ermittelnden Behörden wird gezügelt und jene von Journalisten beschnitten. – Österreich, Slowenien, Spanien – ich bin gespannt, wann sich die EU-Kommission auch um diese Länder kümmert!